Rock Meets Classic
17.01.2012, Max-Schmeling-Halle, Berlin
Max-Schmeling-Halle
Rock Meets Classic
Max-Schmeling-Halle, Berlin
17. Januar 2012
Konzertbericht
Stil: Rock & Classic


Artikel vom 23.01.2012


Holger Ott
Ian Gillan Die Beatles haben den Anfang gemacht und in ihre Arrangements Streicher oder andere klassische Instrumente integriert, und waren damit ihrer Zeit weit voraus. Eine musikalische Dekade später lösten Deep Purple mit ihrem "Concerto For Group And Orchestra" eine Revolution im Hard Rock-Segment aus, dem Jahr für Jahr andere Bands folgen sollten. Inzwischen ist die Symbiose von harten Klängen in Einheit mit einem klassischen Orchester aus den Konzertsälen nicht mehr wegzudenken. Großer Befürworter ist nach wie vor Meistersinger Ian Gillan, der seit Beginn der Konzertreihe "Rock Meets Classic" seine Stimme und natürlich seinen Namen leiht. Im Berlin gehört diese Veranstaltung seit einigen Jahren fest in den Kalender der Konzertsaison. Stets Mitte Januar und mit ständig Chris Thompson wachsender Begeisterung der Fans ist das Programm vom bisherigen Standort, dem Tempodrom, in die um ein Vielfaches größere Max-Schmeling-Halle gewechselt. Auch in diesem Jahr geben sich einander absolut hochkarätige Musiker sozusagen die Klinke der Stage-Door in die Hand. Neben Ian Gillan finden sich
Steve Lukather, Gitarrist von Toto, Jimi Jamison von Survivor, Chris Thompson, die markante Ex-Stimme der Manfred Mann's Earthband, und als Vertreterin der Frauenfraktion Robin Beck auf der Bühne ein. Musikalische Unterstützung gibt es gleich in zweifacher Ausführung: zum einen durch die Mat Sinner Band, die den rockenden Kern bildet, und dem Bohemian Symphony Orchestra Prague unter der Leitung von Bernard Fabunja, welches dem Ganzen die klassische Note verleiht.
Chris Thompson Meine Wenigkeit hat sich all die Jahre gegen diese klassische Verunglimpfung von guter Rockmusik strikt gewehrt, aber in diesem Jahr werde ich das erste Mal über meinen Schatten springen, um mir ein persönliches Urteil zu bilden. Also auf in die Max-Schmeling-Halle, ohne Ohrstöpsel, denn Klassik soll ja etwas zum Entspannen und Genießen sein.
Vorab habe ich einen Interviewtermin mit einem der Protagonisten. Da Ian Gillan leider keine Statements geben wollte, fiel meine Wahl auf Chris Thompson, weil er meiner Meinung nach am meisten zu erzählen hat. Das sehr angenehme Gespräch wird in einem separaten Bericht zu lesen sein.
Sinner In Begleitung meiner Kollegin Sabine Kundmüller geht es im Anschluss in die bestuhlte Halle, und wir sind überrascht, dass wir absolute Filetplätze bekommen haben. Direkt vor der sehr niedrigen Bühne, Reihe 7, Platz 9 und 10. Ich merke das so genau an, weil es sich im Verlauf des Konzertes für uns noch auszahlen sollte.
Die Atmosphäre ist wie in einem großen Theater. Die Ordner im feinen Zwirn, überall Kameras, die alles auf Zelluloid bannen und auf große Leinwände links und rechts übertragen. Die Bühne wie gesagt extrem niedrig, sehr breit und tief. Im hinteren Teil als Empore, damit das Orchester ausreichend Platz hat, und über allem thront in einem Glaskäfig der Drummer der Mat Sinner Band. Mit Gongschlägen wird der Countdown eingeleitet und ein Ansager mit gepflegter Stimme gibt die Saalordnung bekannt. Da ich zur Fotografenriege gehöre, muss ich meinen Sitzplatz verlassen und mich rechts neben der Bühne postieren, denn nur von dort darf fotografiert werden. Aus diesem Grund sind alle Bilder nur aus einer Perspektive zu sehen.
Sinner Mit dem letzten Gongschlag legt sich das Orchester ins Zeug und spielt ein ausgedehntes Intro, bei dem sich langsam die Musiker der Mat Sinner Band postieren, um in den zweiten Titel "Jump" einzusteigen. Nun ja, es hört sich alles etwas lasch an, aber mal sehen, wie sich der Abend entwickelt.
Ein Hingucker mit seinen langen, fast weißen Haaren ist Bassist Mat Sinner himself, der die Zwischenansagen macht und jeweils die einzelnen Hauptakteure auf die Bühne bittet. Der erste an diesem Abend ist Survivors Leadsänger Jimi Jamison. Je nach Bekanntheitsgrad ist das Programm klar strukturiert, und so hat Jimi die Gelegenheit, fünf Songs zum Besten zu geben. Darunter natürlich die Gassenhauer wie "Burning Heart" und "Eye Of The Tiger", die Titelmusik aus "Rocky III". Im Publikum kommt leider nur mäßige Stimmung auf, bedingt durch das zwanghafte Sitzen und in erster Linie durch die zweifelhafte Leistung des Survivor Frontmannes. Gegen Ende seines Showblockes gibt er dann auch zu, dass er völlig besoffen ist und gar nicht weiß, was er hier eigentlich macht. Was für ein netter Anfang für diesen Abend. Gut, Mr. Jamison ist abgehakt und wird mich in Zukunft auch nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken.
Robin Beck Robin Beck ist die nächste im Reigen und viele Leser werden jetzt erst einmal überlegen, was die Dame in den vergangenen zwanzig Jahren geleistet hat. Bis auf zwei Top Ten-Hits kam da nämlich nichts weiter, und die liegen schon sehr weit zurück. Ihr gehört deshalb auch der kürzeste Teil der gesamten Veranstaltung. Nach drei Songs, unter denen natürlich besagte Hits sind, ist für sie schon Schluss. Das eigentliche Highlight ihres Auftrittes ist die Nummer mit den Sitzplätzen. In einer Songpause schwingt Robin eine ausgedehnte Rede und plaudert über alles, was ihre gerade durch den Kopf geht, als sie plötzlich ins Publikum direkt vor ihr zeigt und die Sitznummer 10 in Reihe 7 aufruft. Der Sitz ist frei, muss er ja auch, denn es ist mein Sitzplatz da ich immer noch rechts neben der Bühne stehe und Fotos ohne Ende schieße. Robin beharrt weiter auf diesen einen Sitz, und zum Glück schaltet meine Begleitung Sabine rechtzeitig und wechselt den Platz.
Mit der Aufforderung unter den Sitz zu greifen findet Sabine ein festgeklebtes Päckchen dessen Inhalt aus zwei CDs und eine DVD von Robin Beck besteht. Die Nummer ist echt gut gelungen und wir möchten uns an dieser Stelle im Namen der RockTimes-Redaktion tausendmal bedanken. Hier ist auch wirklich nichts abgesprochen oder gefaked, es ist reiner Zufall, dass sie vor der Show das Päckchen unter diesen Sitz geklebt hat.
Chris Thompson Im nächsten Block ist mein Interviewpartner Chris Thompson an der Reihe. Auf diesen Herren freue ich mich besonders, da ich seine Songs sehr liebe und gespannt darauf bin, wie sie mit einem Orchester rüberkommen. Zum ersten Mal kommen auch die Musiker der Mat Sinner Band voll zum Zuge. Bislang waren sie zwar auf der Bühne präsent, haben sich aber stets dezent im Hintergrund gehalten. Allesamt sind das hervorragende Musiker, die perfekt zu dieser Veranstaltung als Begleitung passen. Thompson werden leider nur vier Nummern gegönnt, dabei hätte er doch so viel mehr zu bieten. Er macht seinen Job klasse und ist bis dahin der herausragendste Künstler. Seine Stimme ist markant wie eh und je und ich fühle mich sofort in die Epoche zurück versetzt, als er mit der Manfred Mann's Earthband riesige Erfolge feierte. Zu schnell ist sein Auftritt vorbei, ich hätte mir noch "Father Of Day, Father Of Night" gewünscht, welches im orchestralen Gewand mit Sicherheit gigantisch geworden wäre. Mittlerweile ist die Stimmung im Publikum gestiegen und bei "Mighty Quinn" stehen sogar die ersten Leute von ihren Sitzen auf, um ihre Hüften zu bewegen. Diese kurze Aufbäumen wird allerdings von Stadionsprecher im Keim erstickt, da er eine Pause von zwanzig Minuten ankündigt. Ein echter Wellenbrecher.
Steve Lukather Die üblichen Gongschläge läuten die letzten Teile der Veranstaltung ein und das Symphonieorchester aus Prag spielt das Intro aus dem Musikkatalog von Toto mit dem Titel "Childs Anthem". Mit tosendem Applaus wird Steve Lukather empfangen, und der hat nichts anderes im Kopf, als aus der Halle eine Party-Meile zu machen. "Rosanna" macht den Anfang und die Generation Ü 50 jubelt ihrem Idol zu. Er hat sofort alles im Griff und sprudelt mit so viel Energie, dass es niemand mehr auf den Sitzen hält. Lukather ist auch der einzige, der neben dem Singen Gitarre spielt, und seine Künste gibt er im zweiten Song, dem Beatles-Klassiker "While My Guitar Gently Weeps", zum Besten. Dieses Musikwerk gehört zu meinen absoluten Lieblingssongs und rangiert in meiner persönlichen Tabelle ganz weit oben.
Steve Lukather Lukather singt und spielt wie ein Gott, ich kriege Gänsehaut ... so phänomenal kommt der Titel rüber. Das Gitarrensolo spielt er mit vollkommener Hingabe und das Orchester trägt einen großen Teil dazu bei, dass diese Ballade zu den Höhepunkten des gesamten Abends zählt. Nach diesem kurzen Intermezzo in ruhigere Gefilde dreht er weiter an der Partyschraube. "Africa" und natürlich "Hold The Line", die absoluten Toto-Klassiker sind die Stützen im Programm von Lukather. Beim letzten Song, "Hold The Line", wird er von einer der Chorsängerinnen unterstützt, die die zweite Stimme übernimmt und der eine gewisse Ähnlichkeit zu
Tina Turner anzusehen ist. Beide singen sich die Seele aus dem Leib und das Publikum drängt vor Begeisterung immer weiter vor die Bühne. Die Ordner im feinen Zwirn scheinen machtlos und lassen erst einmal dem Geschehen freien Lauf. Die Party ist fast auf dem Siedepunkt und alles wartet jetzt auf den Mann des Abends.
Ian Gillan Ian Gillan wird von Mat Sinner angekündigt und unter tosendem Applaus betritt einer der größten Helden der Rockgeschichte die Bühne. Gillan ist in toller Verfassung und beginnt seine Show mit "Highway Star". Der Song wird wie zu Zeiten von "Made In Japan" ausgequetscht bis aufs Letzte. Die beiden Gitarristen liefern sich mit Gillan´s Stimme eine Battle wie damals, als diesen Part noch Ritchie Blackmore übernommen hat. Der Saal tobt und nun drängen auch aus den hinteren Reihen immer mehr Menschen vor die Bühne. Den Fotografen wurde vorher angekündigt, dass bei "Highway Star" und "Smoke On The Water" Pyrotechnik zum Einsatz kommt, aber auf Grund des Andranges vor der Bühne, und da keine Absperrungen vorhanden sind, wird diese Einlage kurzerhand aus dem Programm gestrichen. Eine sehr vernünftige Entscheidung der Regie, um Schäden zu vermeiden und dem Ablauf hat es überhaupt nicht geschadet. Gillan schafft seit langem wieder mühelos die hohen Töne bei "Highway Star" und der Titel kommt dadurch mit einem Druck rüber, den Deep Purple nicht hätten besser bringen können. Ohne Pause macht er dort weiter, wo es am schönsten ist und serviert mit "Knocking At Your Backdoor" und "Perfect Strangers" die Kracher aus der Reunion von 1985.
Ian Gillan Inzwischen haben sich große Schweißflecken unter seinen Achseln gebildet, und er lässt es mit "When A Blind Man Cries" etwas ruhiger angehen. Die zweite Gänsehautballade und so schön unter Mitwirkung des Prager Orchesters vorgetragen, dass selbst einige der Streicher unter purpurner Beleuchtung ihre Feuerzeuge schwingen. Noch einmal greift Ian Gillan tief in die Kiste und zaubert "Woman From Tokyo" hervor. War er doch bei den letzten Deep Purple-Konzerten in Berlin sehr maulfaul und nutze jede Sangespause, um von der Bühne zu verschwinden, so ist er heute wie ausgewechselt. Er erzählt immer wieder Geschichten, albert mit den anderen Musikern herum, läuft dabei ständig von der einen zur anderen Bühnenseite und ist sich auch nicht zu fein, während er "Hush" singt Autogramme zu schreiben. So offen habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt, und es ist ihm anzusehen, dass er das Bad in der Menge genießt. Er signalisiert sogar den Ordnern im feinen Zwirn, alles seinen Lauf zu lassen und nicht einzugreifen.
Ian Gillan Gillan gehört der Hauptteil des gesamten Abends und er tobt sich schamlos aus. Kaum ist "Hush" zu Ende und der offizielle Teil somit vorüber, verlässt er keineswegs die Bühne, sondern beordert alle Akteure auf die Bretter, um gemeinsam "Smoke On The Water" zu geben. Geschätzte fünfzehn Minuten wird das Werk zelebriert und jeder darf sich daran versuchen. Mich wundert, dass die Menge nicht die höchstens einen Meter hohe Bühne stürmt. Mit Autogrammen und Shakehands für die erste Reihe verabschieden sich nach fast drei Stunden die Musiker und lassen ein rundherum zufriedenes Publikum zurück. Es war ein grandioser Abend, der auch ohne besonderen Effekte ausgekommen ist. Meine Meinung hat sich nach dieser Erfahrung deutlich geändert, und je nachdem, welche Künstler im nächsten Jahr dabei sein werden, wird mich der Weg vielleicht auch wieder dort hin führen.
Setlist
01:Intro 2012 (Bohemian Synphonic Orchestra)
02:Jump (Mat Sinner Band)

Jimi Jamison
01:Burning Heart
02:Didn´t Know It Was Love
03:The Search Is Over
04:I Can't Hold Back
05:Eye Of The Tiger

Robin Beck
01:Hide Your Heart
02:Tears In The Rain
03:First Time

Chris Thompson
01:The Voice
02:Dave's On The Road Again
03:Blinded By The Light
04:Mighty Quinn

PAUSE (20 Minuten)

01:Childs Anthem (Bohemian Synphonic Orchestra)

Steve Lukather
01:Rosanna
02:While My Guitar Gently Weeps
03:Africa
04:I'll Be Over You
05:Hold The Line

Ian Gillan
01:Highway Star
02:Knocking At Your Backdoor
03:Perfect Strangers
04:When A Blind Man Cries
05:Woman From Tokyo
06:Hush

Zugabe mit allen Beteiligten:
01:Smoke On The Water
Orchester    Sinner
Jimi Jamison     Jimi Jamison    Jimi Jamison
Robin Beck     Robin Beck
Chris Thompson    Chris Thompson    Chris Thompson
Steve Lukather    Steve Lukather    Steve Lukather
Ian Gillan    Ian Gillan    Ian Gillan
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