'Ein irrer Hauch von Welt in Rudolstadt'
65.000 Musikfans beim 'tff' in Thüringen.
In Worldmusic steckt viel Rock und die Stilgrenzen sind keine mehr. Ein Grund das 'tff' - 'Deutschlands größtes Folk-Roots-Weltmusik-Festival' auch einmal hier in RockTimes vorzustellen.
The Chieftains, Marianne Faithful, Country Joe McDonald, Giant Sand, Rabih Abou-Khalil, Eläkeläiset und Hellmut Hattler vom 2005er Line Up sind eh Namen, die auch dem puristischen Rock-Fan schon mal unterkommen. Am ersten Juliwochenende war es wieder soweit und wir fuhren die 100 Kilometer ins ansonsten seeehr beschauliche Rudolstadt. Vor 50 Jahren hatte das Ganze als Tanzfest angefangen und wurde dann Kulturaufmarschgelände des SED-Regimes.
Nach der Wende führte es die Stadt als Tanz&Folk-Fest ('TFF') weiter und lud die Welt erstmals zu sich ein. Und die kam nicht einmal zögerlich in den Thüringer Wald. Aus allen fünf Kontinenten waren Bands zu erleben und Zuhörer über das wiedervereinigte Deutschland hinaus strömten dann alljährlich nach Rudolstadt. Die originell dekorierte Stadt bietet jedoch nicht nur Programm und Feeling, sondern auch eine, schon fast perfekt zu nennende Organisation im Hintergrund. Der aktuelle Etat beträgt 1,23 Mio Euro, wovon rund 2/3 selber erwirtschaftet werden.
Auch dank des hervorragenden (aber untypischen 'tff'-) Wetters konnten die Veranstalter mit 65.000 zahlenden Gästen (+ 3.000 für das Sonderkonzert am Donnerstag) einen neuen Rekord melden.
Wir waren wohl 1997 oder 1998 erstmals dabei und haben seither keins ausgelassen, meist am Freitag und Samstag vor Ort. Selten erlebt man so ein bunt gemischtes Publikum, das absolut tolerant und locker miteinander umgeht. Meine Fotos vom 2004er Festival waren ein Jahr lang auf der 'tff '-Homepage zu sehen und sind auch auf der offiziellen Festival-CD (bin ich schon stolz drauf!).
Heuer sind wir erst am Samstag eingetrudelt und haben von den rund 20 Bühnen 14 Stunden lang die unterschiedlichste Live-Musik eingesogen. Von den vielen Straßenmusikern, die an allen Ecken ohne Gage auftraten, bis zu den bekannten Bands und Solokünstlern. Das 'tff ' ist immer eine aktuelle Entdeckungsreise durch die musikalische Welt und jeder vorher festgelegte 'Fahrplan ' durch das Programm mit seinen gut 1000 Musikern von vorn herein zum Scheitern verurteilt.
Wenn man sich ein paar markante Auftritte sucht und genügend Karenzzeit zwischen den einzelnen Spielorten vom Schloß Heidecksburg bis in den Heinepark jenseits der Saale einräumt, dann ist man gut beraten und kann sich auch unterwegs immer noch ein paar Fetzen Musik anhören. Zu den Preisen: Das 3-Tage-Ticket kostete wirklich günstige 60 Euro (VV 45 Euro), die Einzelkarten pro Tag 20 - 25 Euro. Auch billige Tagekarten für den Altstadtkern wurden angeboten. Die Dauerfans können auch jeweils Übernachtungsplätze in der Turnhalle oder auf dem Campingplatz buchen. Die Acts über die ich hier auszugsweise berichten will, sind Giant Sand, Tri Continental und das Konzert der 'Magic E-Guitars'.
Giant Sand, das Projekt von Howe Gelb, der derzeit mit drei dänischen Musikern auftritt, fand um 23:00 Uhr auf der Großen Open Air Bühne im Heinepark statt.
Das von vielen alten Bäumen bewachsene, weitläufige Gelände ist ideal und beherbergt auch noch ein Tanz- und ein Konzertzelt, ohne dass sich die drei Locations groß soundmäßig beeinträchtigen. Vor der Bühne waren einige tausend Fans, viele lagerten jedoch auch im weiten Umfeld in der warmen Sommernacht, versorgten sich aus den zahlreichen Buden mit Schwarzbier und sonstigen Getränken oder genossen von den typischen Thüringer 'Rostern ' (groben Bratwürsten) bis zum Indianer-Reis ein breites Spektrum an allen möglichen Magenverrenkern. Giant Sand ist ein Quelltopf des Desert-Rock, aus dem auch Calexico hervorging, die vor Jahren an gleicher Stelle die Fans begeisterten. Mastermind Gelb schaffte das auch mit seiner weitaus sperrigeren Musik.
Insgesamt waren die Songs jedoch auch weniger abwechslungsreich, die knarzige Stimme und verzerrte Gitarren sind als alleinige Stilmittel auf Dauer etwas nervtötend. Allerdings will ich mich hier nicht negativ über den Auftritt äußern, da ich während des ganzen Gigs konzentriert fotografiert habe (und dabei weniger von der Musik mitbekomme).
Gelb wechselte bei seinen hervorgeknurrten Songs nur wenige Male von der Gitarre zum E-Piano und erhielt bei den Soundmalereien Unterstützung vom zweiten Gitarristen Anders Pedersen, der auch eine hervorragende Lap-Steel spielte.
Bass (meist E-, mitunter auch Kontrabass) und Schlagzeug, gespielt von Thoger Lund und Peter Dombernowsky, bauten ein solides Gerüst, auf dem sich die beiden Gitarren oft wie Schlangen umeinander winden konnten. Da hörte man schon den Sand aus den ausgedörrten amerikanischen Wüsten unter den Stiefeln knirschen, die Kojoten heulen und die rollenden Büsche im pfeifenden Wind vorbeitrudeln.
Gelb, in abgerissenen Klamotten und mit Strohhut, hatte sichtbaren Spaß und lobte Publikum sowie das ganze Festival immer wieder überschwänglich. Erst nach mehreren Zugaben hatten Fans und Band voneinander genug.
Ein Themenschwerpunkt ist jeweils einem Instrument gewidmet, heuer war es die E-Gitarre. In nur fünf Tagen erarbeiteten sich neun Gitarristen unter der Leitung von Wolfgang Meyering ein Bühnenprogramm, das als 'Magie Konzert' mehrmals aufgeführt wurde. Mit dabei:
Takashi Hirayasu & Ken Ohtake (JAP)
Lance Harrison (USA)
Hellmut Hattler (GER)
Enver Ismailov (USB)
Bo Lindberg (SWE)
Daniel Owino Misiani (KEN)
Alan Prosser (GBR)
Haïg Yazdjian (ARM/GRE)und
Snorre Schwarz (GER) am Schlagzeug.
Die E-Gitarre sorgte im Vorfeld natürlich für Diskussionen, aber als das zeitgenössische Instrument schlechthin, passte es schon zum Programm des 'tff', das eh momentan nach einer Neuorientierung sucht. Ich erwartete wieder Ethno-Beiträge der einzelnen hochkarätigen Saitenzauberer im Kontexte des Konzerts. Davon war jedoch weit weniger zu hören, als bei allen vorherigen Magie Konzerten, die ich miterlebte.
Es war Rock, trotz der aus unterschiedlichen Stilrichtungen kommenden Stars überraschend kompakt und mit viel Spielraum für die einzelnen Projektmitglieder. Kraan-ich Hattler und Klezmer-Vielspieler Schwarz verstanden sich blind und schufen eine pulsende Groove-Plattform für die Solisten.
Unter den exzellenten Könnern ihres Fachs bekam Ismailov die größte Aufmerksamkeit. Zunächst staunten die Fans nur über seine doppelhändige Slap-Technik auf dem Hals einer normalen Godin. So wie sich der Gitarrist jedoch immer mehr in sein Spiel steigerte, geriet das Publikum auch in Rage. Das Solo endete mit einem gewaltigen gemeinsamen Schrei. 'Multiplen Orgasmus' nennt man das wohl.
Lance Harrison, der zuvor mit seiner Partnerin Donna ein starkes Duo-Konzert gespielt hatte, setzte die bluesigen Akzente mit Lap-Steel und Bottleneck. Die Spielfreude war offensichtlich und ansteckend. Die Musiker wechselten sich formationsmäßig ab, bestritten aber auch manche Stücke komplett.
Als Daniel Owino Misiani im Mittelpunkt stand, tanzten Hattler und die beiden Japaner zu seinem ansteckenden Africa-Beat hinter der Bühne herum und bekamen das Grinsen auch nach dem Gig nicht mehr aus dem Gesicht. Schade, dass man diese virtuose und bei aller unterschiedlichen Ausrichtung doch so harmonische Truppe nirgends mehr live erleben wird.
Mein absoluter Höhepunkt war jedoch der Auftritt von Tri Continental am Spätnachmittag auf der Schlossterrasse hoch über der Stadt. Schwer zu beschreiben, einfach schöne Musik an einem schönen Ort zu herrlichem Wetter und unter Vielen, die das gleich empfanden. Und mit einem kühlen blonden Apoldaer im Glaskrug, vier Deziliter zu humanen 2 Euro.
Drei Gitarren, getragen von einer unaufdringlichen, aber sehr akzentuierten Percussion, Stimmen die unter die Haut gingen - Summer-Feeling pur. TC steht für Musik aus den Ursprungskontinenten der Bandmitglieder. Bill Bourne (der wie der Undertaker aus dem Wilden Westen aussieht) verkörpert mit seiner Tannahill Weavers - Vergangenheit die europäischen Elemente, hat jedoch auch den Blues intus. Und seine Stimme - ich sag nur 'Undertaker'!
Die Amerikanische Tradition und ebenfalls viel Blues aus dem Süden bringt Lester Quitzau ein, der oft mit seiner gefühlvoll gespielten Slide der markante Stimmungsträger ist. Aus Madagascar Slims Gitarre hüft der fröhliche Tanzbeat seiner Heimat, 'Salegy ' genannt, von dem der zweite Teil des Konzerts geprägt war.
Mit Ramesh Shotham kommt nun der vierte Kontinent ins Spiel. Er macht die Weltmusik mit seiner auf indischen Rhythmen basierenden Percussion perfekt. Einordnen lässt die sich eh nicht. Auf dem letzten Album "Let´s Play" in der selben Besetzung ist viel davon zu hören. Das Rudolstadt-Feeling bleibt jedoch denen vorbehalten, die dabei sind.
Diesen 'irren Hauch von Welt', wie der 'MDR ' seit Jahren seinen Mitschnitt titelt. Auch für hartgesottene RockTimes Leser zur Entspannung von Gemüt und Ohren nur zu empfehlen!
Über das, was sonst noch abging, kann man sich auf der 'tff:-Homepage informieren (siehe Linkblock unten).
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