Im kommenden Jahr feiert die Gruppe Extrabreit ihr 30-jähriges Bestehen. Extrabreit?
»Ach die NDW-Band mit "Flieger, grüß mir die Sonne"«, wird sicherlich der eine oder andere denken. Aber Extrabreit waren mehr als nur ein schneller NDW-Hype und auch im Jahre 2007, also ca. 25 Jahre nach der Neuen Deutschen Welle, hat die Band immer noch etwas zu bieten. Frontmann Kai Havaii, der vor ein paar Monaten mit "Hart wie Marmelade" sein erstes Buch veröffentlicht hat, weilte an diesem Abend zusammen mit Gitarrist Stefan Kleinkrieg im niederrheinischen Boisheim. Grund war eine Lesung aus Havaiis Buch inkl. einiger alter Extrabreit-Kracher im akustischen Gewand. Vor der Lesung traf ich mich mit Kai Havaii, um mit ihm über das Buch aber auch über Anekdoten aus der alten Zeit zu plaudern.
RockTimes: Dein Buch "Hart wie Marmelade" ist ein humorvoller, aber sicherlich auch etwas kritischer Rückblick auf dein bisheriges Leben und damit verbunden natürlich die vergangenen Jahre mit Extrabreit. Ist das Buch eine Art Tagebuch von damals oder hast du erst im Nachhinein mit dem Schreiben begonnen?
Kai: Das komplette Buch habe ich im Nachhinein aufgeschrieben, da ich noch nie in meinem Leben bisher Tagebuch geführt habe. Es entstand aber komplett aus alten Erinnerungen, wobei ich einige Dinge auch nochmals genau recherchiert habe. Vor allem Jahreszahlen habe ich nachgeprüft. Anhand dieser Zeitschiene konnte ich dann die besonderen Momente oder auch Begebenheiten zuordnen. Das waren dann Geschichten, die sich in meine Erinnerung gebrannt haben, weil sie entweder 'sehr prägend' oder auch 'total absurd' waren, so dass sie nie mehr in Vergessenheit geraten sind. Außerdem erinnert man sich an manche Vorkommnisse natürlich immer wieder im Laufe der Jahre im Kreise seiner Bandkollegen.
RockTimes: Wenn man etwas über Extrabreit liest, z.B. bei Wikipedia, taucht fast immer die Floskel 'NDW-Band' auf. Nervt euch das immer noch oder ist euch das mittlerweile egal?
Kai: Ach Gott, man kann es nicht ändern, es waren sehr erfolgreiche Zeiten für uns und daran wird man immer gemessen. Wir haben uns immer als Rockband gesehen, eine sehr punkinfizierte allerdings. Und wir haben ja mit Songs wie "Polizisten" oder "Der Präsident ist tot" Songs gemacht, die doch über das Image der "NDW-Spaßkapelle" hinausweisen.
RockTimes: Eure Heimatstadt Hagen ist, obwohl eher eine überschaubare kleinere Großstadt, eine der Musikschmieden unseres Landes. Neben euch kommen u.a. auch Nena, Grobschnitt und die Humpe-Schwestern aus dieser Stadt. Wurde Musik damals von der Stadt so sehr gefördert oder woran liegt es, dass Hagen so eine hohe Musikerdichte hervorgebracht hat?
Kai: Von öffentlicher Seite gab es eigentlich nie Unterstützung und man hätte es wohl auch als uncool empfunden, sich 'staatlich' fördern zu lassen. Aber wir hatten so Beispiele vor Augen, wie man es vielleicht als Band über unsere Heimatstadt hinaus schaffen könnte. Z.B. Grobschnitt, obwohl deren Stil unserem regelrecht konträr war. Nicht vergessen darf man aber auch die Ramblers, deren Sänger uns zu unserem ersten Plattenvertrag verholfen hat. Außerdem gab es neben einigen talentierten und kreativen Musikern auch kreative Macher, die genauso wichtig waren und mit viel Engagement und Ideen die Hagener Musikszene prägten. In diesem Zusammenhang muss man natürlich Jörg Hoppe nennen. Jörg, ein alter WG-Kumpel von damals, war ja später auch unser Manager und hat unsere Cover entwickelt. Er war damals wirklich seiner Zeit weit voraus und hat mit Ideen wie Plattencover in 3D plus 3D-Brille schon neue Impulse gebracht.
RockTimes: Nochmals zur Stadt Hagen. Ihr kommt alle aus dem Stadtteil Wehringhausen, was auch scherzhaft als 'Wehr-dich-hausen' bezeichnet wird. Das klingt für mich etwas nach Autonomie und erinnert doch an das Image von Berlin-Kreuzberg.
Kai: Damit liegst du richtig, wobei man jetzt allein von der Größe her, Hagen und Berlin nicht direkt vergleichen kann. Trotzdem gibt es einige Parallelen zu Kreuzberg. In Wehringhausen hausten damals die ersten Spontis in WGs, was ja schon etwas Revolutionäres hatte. Auch die ersten türkischen Familien ließen sich in diesem Stadtteil nieder und durch die vielen Läden hatte Wehringhausen schon eine Art 'Bunte Republik'-Status. Dazu kamen dann auch Künstler, Politaktivisten und natürlich auch jede Menge Musiker.
RockTimes: Du hattest im Laufe der Jahre bei Extrabreit immer wieder sehr ungewöhnliche Duettpartnerinnen wie Hildegard Knef oder Marianne Rosenberg, die aus einem ganz anderen musikalischen Genre kamen. Wie war die Zusammenarbeit mit den Damen?
Kai: Ich hatte die Nummer "Duo Infernal" für unser drittes Album geschrieben und wir dachten uns, dass Marianne gut dazu passen würde. Sie sagte zu und die Zusammenarbeit klappte prima, denn Marianne ist ein sehr geerdeter Typ. Die Nummer wurde zwar kein Riesenhit, aber brachte uns immerhin einige Titelbilder und auch ein paar Auftritte in Fernsehshows ein. Hilde Knef bewunderte ich schon seit jungen Jahren und bei unserem ersten Treffen war ich noch etwas befangen. Die Knef hatte aber, wie ich auch, einen sehr sarkastischen Humor, was das Eis dann schnell zum Schmelzen brachte. Wir verstanden uns sehr gut und sprachen auch viel über private Dinge, wie beispielsweise Suchtprobleme. Sie war natürlich eine Diva, die genau wusste, wie sie sich zu inszenieren hatte. Abends an der Bar war sie aber auch ein echter Kumpel, sehr kollegial. Es hat wirklich Spaß gemacht mit ihr.
RockTimes: Zurück zur bereits angesprochenen Single "Polizisten". In Bayern ist das Lied seinerzeit, dank Franz-Josef Strauß, auf dem Index gelandet und durfte im Radio nicht mehr gespielt werden. Hat euch das damals auch etwas gefreut, das ihr den Bayern ein Dorn im Auge seid?
Kai: Nun ja, sagen wir mal so: Die Zensur hat uns sicher nicht geschadet, denn alles was verboten ist, wirkt ja umso reizvoller. Das Lied lief zuerst im WDR-Radio in der Sendung "Diskothek im WDR" mit dem legendären Mel Sandock und kam bis auf Platz 1 der Hörercharts. Danach haben auch andere Radiosender den Titel gespielt. Als das Lied dann in Bayern lief, hat man dort eingegriffen und das Lied auf den Index gesetzt. Das hat uns aber eigentlich nur in unserer Arbeit bestätigt, denn auch die Sesamstrasse ist, als sie Anfang der 70er in Deutschland anlief, vom bayrischen Fernsehen zunächst nicht ausgestrahlt worden (lacht).
RockTimes: Extrabreit haben im Laufe ihrer Karriere auch gerne das eine oder andere Stück gecovert ("Flieger..." von Hans Albers oder auch "Für mich soll's rote Rosen regnen"). Wie geht ihr mit der Tatsache um, dass auch Extrabreit mittlerweile gerne gecovert werden? Exemplarisch die Versionen von "Polizisten" von den Bates oder auch zuletzt von Oomph!.
Kai: Natürlich interessiert mich das und es freut mich, wenn Kollegen, wie z.B. Oomph! einen unserer Songs covern.
RockTimes: Du bist in diesem Jahr 50 geworden. Im Jahre 2007 ist 50 für einen Rockmusiker kein Alter, was man ja an Kollegen nur zu gut sieht. Wie lange willst du noch weitermachen und hast du dir eine Grenze gesetzt?
Kai: Die Grenze setzt das Schicksal, nicht ich (lacht). Nein, im Ernst, aber ich habe noch keine Ambitionen aufzuhören. Zur Zeit ist die Band gut beieinander und im Dezember spielen wir wieder einige Konzerte. Außerdem nehmen wir im Moment in Hamburg eine neue Platte auf, die im Frühjahr 2008 erscheinen wird und Ende Januar spielen wir mit dem philharmonischen Orchester der Stadt Hagen zusammen einen besonderen Auftritt. Wie du siehst, habe ich noch genug Pläne für die Zukunft. Weiter schreiben will ich aber auch.
RockTimes: Extrabreit gibt es jetzt fast schon 30 Jahre. Glaubst du, dass, wenn ihr statt Ende der 70er heute mit eurer Karriere starten würdet, ihr auch nochmals 30 Jahre schaffen würdet.
Kai: Nein, eher nicht. Damals liefen einige Dinge ganz anders ab und der Geist der frühen 80er-Jahre war ein idealer Nährboden für Bands wie wir es sind. Heute läuft das Geschäft ja völlig anders. Bevor eine Band auch nur den ersten Gitarrenakkord spielt, muss erst mal eine schicke MySpace-Homepage her. Früher konnte man noch etwas verspielter und auch naiver als Band eine Karriere starten. Wir hatten doch keine Ahnung, was die GEMA ist und wie Charts funktionieren. Dieser Untergrundgeist von damals ist heute nicht mehr da und alles läuft direkt in professionellen Bahnen ab, was für die jungen Musiker sicher nicht immer von Vorteil ist.
RockTimes: Zum Abschluss komme ich nochmals auf dein Buch zu sprechen. Wenn sich das Buch gut verkauft, wäre doch auch eine Umsetzung als Hörbuch denkbar, denn Hörbücher sind ja aktuell so gefragt, wie nie zuvor und du als Sänger wärst doch fast prädestiniert dazu, dein eigenes Buch zu lesen?
Kai: Das ist tatsächlich auch so geplant. Eigentlich wollten wir dieses Projekt noch bis Weihnachten umsetzen, aber da es ja doch aufwändig ist und wir ab morgen schon wieder im Studio für die neue Platte aufnehmen, wird es dieses Jahr nicht mehr klappen. Wir sollten dann auch auf dem Hörbuch das gleiche Konzert wie heute Abend umsetzen, das heißt, Lesung gemischt mit ein paar unplugged Extrabreit-Songs.
Vielen Dank an Kai Havaii für die unkomplizierte Akkreditierung und das Interview.
Die Leseprobe
Bei der anschließenden Lesung im 'Conny's Come In' gab es dann einige Leseproben aus dem bereits erwähnten Buch "Hart wie Marmelade". Unterstützt vom Extrabreit-Gitarristen Stefan Kleinkrieg sang Kai zwischen der Lesung Extrabreit-Lieder wie "Hart wie Marmelade", "Sturzflug" und natürlich "Polizisten".
Als besonders Schmankerl gab es mit "Andreas Baders Sonnebrille" sogar einen nagelneuen Song aus dem kommenden Album zu hören. Da braucht man kein Prophet zu sein, dass es sich hier ganz sicher um einen neuen Kracher handeln wird. Der Song handelt über einen Typen, der im Internet die angebliche Sonnenbrille des Terroristen Andreas Bader erworben hat und jetzt stolz damit rumrennt. Dieser Song ist laut Kais Ansage Extrabreits Beitrag zu "30 Jahre Deutscher Herbst". Mal sehen wie die Bayern damit klarkommen werden.
Im weiteren Verlauf des Abends entpuppt sich Kai Havaii bei seiner Lesung als wunderbarer Geschichtenerzähler, der mit seiner Stimme wunderbar als moderner Märchenonkel funktionieren würde. Die Leseproben zeigen Havaiis Sinn für die Liebe zum Detail, die einem die beschriebenen Szenarien so wunderbar real im Kopf erscheinen ließen. Neben einem Bericht aus einer WG voller schräger Vögel, gab es auch Geschichten über die ersten Autogrammstunden in einem Hagener Kaufhaus oder Begegnungen mit Leuten wie Udo Lindenberg und Udo Jürgens. Neben vielen sehr humorvollen Stellen, gab es aber auch einige durchaus ernste Momente im Buch, wenn z.B. der Autor über seine bekämpfte Heroinsucht spricht. Nach über zwei Stunden äußerst kurzweiliger Unterhaltung, ging der Abend mit dem unvermeidlichen "Flieger, grüß mir die Sonne" zu Ende.
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