In den letzten Jahren kam bei Veröffentlichungen aus dem NeoProg-Genre nicht immer ungeteilte Freude auf. Zu oft wurde Altbekanntes zum x-ten Mal neu aufgewärmt und das Ergebnis glich viel zu oft Nudeln, die eine halbe Stunde sprudelnd gekocht haben. Knackig-frisch oder (um in der Metapher zu bleiben) 'al dente' war da eher die Ausnahme denn die Regel.
Völlig anders dagegen die vorliegende Scheibe der deutsch-britischen Progressive-Formation Eyesberg. "Blue" klingt zwar wohlvertraut, doch erfrischend unprätentiös, d. h. ohne jegliches attitüdenhafte Pathos. Die Melodien sind erfrischend mitreißend und abwechslungsreich arrangiert, ohne den Kleistereimer geschmacksverirrten Firlefanzes zu bemühen - und vor allem, ohne sich in endlosen Zitaten von berühmt-berüchtigten Genrekollegen zu verzetteln.
Genau hier liegt die Stärke dieser kurzweiligen knappen Stunde anspruchsvollen NeoProgs, den das Trio mit den zwölf Titeln von "Blue" zelebriert: Das in sich geschlossene Gesamtkunstwerk klingt eindeutig nach Eyesberg, ohne dass die Musiker dabei ihre Wurzeln verleugnen würden.
Einen kleinen Geniestreich stellt auch das Wortspiel im Bandnamen dar - ebenso geistreich der Titel des Albums. Denn was assoziiert man mit dem Wort 'Eisberg' spontan (gut, von 'Titanic' mal abgesehen)? Mir kommt jedenfalls sofort dieses tief-türkis schimmernde Blau in den Sinn...
Was lange währt... Dieses Debütalbum erscheint - genau genommen - mit über dreißig Jahren Verspätung. Gegründet im Jahr 1979, sah sich Eyesberg - damals noch ein Quintett - denkbar ungünstigen Startbedingungen gegenüber. Der Progressive Rock lag in Agonie und der damals neu aufkommende NeoProg befand sich - nach Ansicht nicht weniger Beobachter - von Beginn an in einer Einbahnstraße. Marillions erste Platten hin, IQs
Live-Shows her...
Ohne das anvisierte Album realisiert zu haben, legte Eyesberg die hier vorliegenden Kompositionen erst einmal (Achtung, Wortspiel) auf Eis. Thomas Klarmann hielt zwischenzeitlich sogar mit Argos und Superdrama bei uns Einzug. 2014 sind von der Urformation noch Georg Alfter, Norbert Podien und Sänger Malcolm Shuttleworth auf dem 'Eisberg' - mit jahrzehntelanger Verspätung erblicken diese Stücke nun endlich das Tageslicht der musikinteressierten Öffentlichkeit.
Man weiß ja nie, wofür Erlebtes letztendlich gut war... Vielleicht wäre "Blue" Anfang der Achtziger im Abwärtsstrudel des Prog-Genres gnadenlos untergegangen? Möglicherweise brauchte diese Scheibe oder gar die Musiker diese Reifeperiode? Mit den Chancen der neuen Medien ergeben sich obendrein neue Sprungbretter ins potenziell interessierte Publikum - alles in allem: Die Zeit ist reif für "Blue".
Ich will hier von Anfang an keine hinkenden Vergleiche bemühen! Eyesberg erfinden natürlich das Genre nicht neu. Wie gesagt: Vieles klingt wohlvertraut - es sind aber eine unverbraucht klingende Frische und die abwechslungsreiche Melodiösität, die "Blue" zum Status eines überzeugenden NeoProg-Albums verhelfen. Da finden sich die 'poppige' Hooks (wie bei "Porcelain"), folkige Applikationen (herrlich flockig: "Inquisitive") und knallhart-sägende Riffs (höre: "S II") neben eindeutig Proggigem, wie dem vertrackt-verkopften "Closed Until The Ressurrection" oder dem eleganten "Feed Yourself", wieder.
Wenn ich mir einen einzigen Vergleich erlauben dürfte, würde ich am ehesten auf Genesis' Umbruchphase, zu den "The Lamb Lies Down On Broadway"-Zeiten, verweisen. Mehr als einmal schimmert dieses Album wie ein Leitmotiv durch "Blue", wobei man noch einmal betonen muss, dass Eyesberg ziemlich eigenständig klingen - es 'schimmert' also wirklich nur! Die Überraschungsmomente, die in wirklich jedem Stück zu finden sind, halten den Spannungsbogen stets gestrafft.
Sehr häufig hat man den Eindruck, dass Flötist Thomas Klarmann noch mit an Bord sei. Die entsprechenden Keyboardsounds sind jedenfalls täuschend echt und vermitteln den warmen Klang einer Querflöte in verbüffender Weise. Eine wirklich hübsche Facette in so manchem Song...
Anspieltipps? Alles - "Blue" hat nicht eine Langatmigkeit zu verzeichnen... und schon gar keinen Hänger! Wie so oft im NeoProg, gefallen mir die Songs umso besser, je länger sie sind - je langsamer sich ihre Atmosphäre verdichten kann. Doch bei Eyesberg fallen diese Longtracks schon fast 'kompakt' aus: "Feed Yourself", "Closed Until The Ressurection", "If I Told You The Truth" und "Detachment And Replacement". Aber das ist wirklich nur - entschuldigt das erneute Wortspiel - die qualitative Spitze des Eisbergs...
Ein tolles, erfrischendes Album hat uns Eyesberg mit "Blue" vorgelegt. In meinen Ohren vielleicht eines DER Prog-Alben des Jahres - wie man "Blue" auch einsortieren mag, auf jeden Fall ist die Platte eine angenehme Überraschung!
Line-up:
Malcolm Shuttleworth (lead and backing vocals)
Georg Alfter (guitar, bass)
Norbert Podien (keyboards, backing vocals, additional drum programming)
Musikalischer Gast:
Ulf Jacobs (drums)
Tracklist |
01:Child's Play (4:33)
02:Epitaph (5:19)
03:Closed Until The Resurrection (6:35)
04:Winter Gone (5:02)
05:Inquisitive (3:32)
06:Feed Yourself (8:18)
07:4-2-F (1:24)
08:Faces On My Wall (5:19)
09:Porcelain (3:33)
10:If I Told You The Truth (5:46)
11:S II (3:03)
12:Detachment and Replacement (5:29)
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