Es war Anfang der Siebziger als ein Musiker den Zahn der Zeit erkannte, sein Lieblingsinstrument, den polyphonen Synthesizer, die Erfindung eines gewissen Herrn Moog, aus dem Verborgenen auf die Konzertbühnen dieser Welt zu wuchten. Der Brite Keith Emerson hegte schon immer ein besondere Leidenschaft zu elektronischen Musikinstrumenten, und lotete mit seiner ersten Band The Nice deren Möglichkeiten aus, um so die perfekte Mischung aus Rock'n'Roll und Klassik zu kreieren.
Auch wenn sich dieses Vorhaben recht schwierig gestaltete bzw. die technische Reife noch lange nicht erreicht war, avancierte der so genannte Moog-Synthesizer, welcher damals noch der Größe einer Schrankwand entsprach, zum Blickfang und Kernstück der Bühnenshow von Emerson, Lake & Palmer. Die Supergroup von drei Individualisten, praktizierte schließlich ihren überdrehten Progressive Rock mit klassischen Elementen bzw. überschritt durch ihre abenteuerliche Virtuosität damit jegliche typischen Rockklischees. Das Trio schuf unbestritten Referenzwerke bzw. fand in der Ruhmeshalle wichtigster Wegbereiter der Rockgeschichte einen Platz.
Heute, ganze achtunddreißig Jahre später befindet sich der unkonventionelle Maestro und Pionier an den Tasten immer noch auf seiner Mission, die Kombination von Klassik und zeitgenössischer populärer Musik, auf dem unüberschaubaren Marktplatz der tönenden Medien erfolgreich anzupreisen.
Eine Grundhaltung, welche auch das Rezept für das jüngste Output des mittlerweile 63-jährigen Keith Emerson geblieben ist. Dass Selbiger sich dabei stilistisch treu geblieben ist, wird der Konsument beim Anhören der insgesamt neunzehn Tracks, verteilt auf knapp zweiundfünfzig Minuten, mit Zufriedenheit feststellen dürfen. Hier agiert ein extraordinärer Künstler, der im Schein durchaus noch Neues zu verkünden hat, und die betagten Preziosen seiner einstigen musikalischen Wegbegleiter, allen voran die epochalen ELP, über ein bloßes Déjà-vu erhebt.
Die Keyboardlegende schenkt uns mit der unbetitelten Studioproduktion eine bunte Flora, mit klassisch weltmännischem Bombast, ein Potpourri hart rockender Kompositionen, bei denen neben allen anderen Einflüssen auch die Grandezza des Jazzrock und Blues recht übermütig zelebriert wird. Auch wenn in so manchen Passagen, welche sich, begrenzt wie bei einer Mini-Oper zwischen einer halben, oder gar sechs Minuten bewegen, die dramaturgischen Ideen vor schwerem Kitsch zu ersticken drohen, wirkt das gesamte Material doch sehr moderat bzw. wie aus einem Guss.
»Damit folge ich einem Konzept«, so Emerson, »das auch schon bei The Nice und ELP gut funktionierte: Ich erstelle ein thematisches Gerüst, in dem die eigentlichen Songs dann für sich selbst stehen«. Zumindest trifft selbiges auf die Kompositionen 1 bis 15 zu, welche die Geschichte einer Dame namens Marion Lowndes musikalisch transportieren, und bei denen der Meister mit seinen eingestreuten Stilzitaten aus dem Umfeld der klassischen Moderne und des Barock reichlich kokettiert.
Bei diesem ambitionierten Projekt stehen schon Elemente aus traditionellem, insbesondere
die des symphonischen Progressive Rocks im Mittelpunkt, welche sich aber wunderbar durch Komponenten aus melodischem Rock und klassischer Musik, zu einer kraftvollen Inszenierung vermengen. Keyboardausschweifungen, geschickt zwischen Sanftheit des Konzertflügels, Kraft der Hammondorgel und Eskapaden des Synthesizers schwelgend, bilden das Fundament, worauf die Wucht der Arrangements baut.
Hierfür hat sich der Brite eine auf dem könnerischen Sektor nicht ganz unbefleckte Mannschaft mit an Bord geholt, die mit ihrem erdverbundenen Spiel für den Zusammenhalt der musikalischen Konstrukte sorgt. Dass seine amerikanischen Mitmusiker den Kompositionen eigene Facetten besteuern, ist weder ein Novum noch verwunderlich, wenn man die einstigen Mentoren jedes Einzelnen betrachtet.
Schlagzeuger Gregg Bissonette durfte sich schon mit Künstlern von Maynard Ferguson über Steve Vai, Joe Satriani und David Lee Roth bis hin zu Carlos Santana musikalisch verewigen, Bassist Bob Birch in den Bands ebenso wie bei den Produktionen von Elton John Erfahrungen sammeln, und Saitenvirtuose Marc Bonilla, welcher nicht nur mit Glenn Hughes und Ronnie Montrose spielte, sondern sich auch als Komponist von bekannten Filmmusiken einen Status erwarb.
Außerdem sollen bei der Produktion noch musizierende Gäste wie der Schlagzeuger Joe Travers, Bassist Travis Davis, sowie Keith Wechsler und Nathanial Bonilla mitgewirkt haben. (Anm.d.V: Leider liegen mir diesbezüglich auf dem vorliegenden Rezensions-Exemplar keinerlei Details vor.)
Mit sakralem Entree eröffnet sich für den Zuhörer ein Panoptikum aus solidem musikalischen Handwerk der klassischen Schule, welches stellenweise etwas zerfasert wirkt, aber trotz kompositorischen Patchwork-Charakters den Faden immer wieder aufzunehmen vermag bzw. die programmatische Kompaktheit nicht gravierend verschleppt. Im Verlauf einiger Stücke entfalten sich lyrisch-akustische Einwürfe, hin und wieder bricht Bonilla eben doch mit dem Harmoniegerüst und schüttelt ein knackiges Solo aus dem Handgelenk. In den wenig besungenen Stücken versucht sich der versierte Gitarrist, mit seinem stark an Greg Lake angelehnten Timbre einzuschmeicheln, welches schon sehr ansprechend klingt, aber das Faszinosum der rein instrumentalen Kompositionen nicht zu überflügeln vermag. Zumindest ist unüberhörbar, dass der phrasierende Bonilla, welcher zu den am meisten unterschätzten Gittaristen der Erde zählen dürfte, seine Kunst exzellent beherrscht und sich mit den Großmeistern seines Faches locker messen kann.
Die einzelnen Tracks reiben sich im schroffen Nebeneinander der Stimmungen, aufrüttelnde Momente wetteifern mit einer fein abgetönten Klanglichkeit, so dass sich die Balance zwischen den wohligen und expressiven Abschnitten einigermaßen die Waage halten. Das gesamte Album ist doch recht ausgeglichen, trägt manchmal etwas zuviel egozentrische Emerson'sche Züge, weiß aber letztendlich immer im perfekten Moment neben Derberem und Klassischem, auch genügend besinnlichere Passagen einzustreuen. Das Ganze wirkt trotz aller unterschiedlichen Stimmungen im Kontext geschlossen, garantiert ein spannendes Hörerlebnis, und das nicht nur für Keith Emerson-Jünger.
Zwar kann Selbiger dabei musikalisch nicht an die klassisch inspirierte Komplexität von 70er-Glanzzeiten anknüpfen, versteht es aber dennoch neben einigem Rock-Pathos, der expliziten Bearbeitung klassischer Themen beim Longtrack und bei "Malambo", einer Adaption des argentinischen Komponisten Alberto Ginastera, seinen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken.
Der Sound des Silberlings ist über alle Zweifel erhaben, wirkt in der vollmundigen Transparenz doch sehr homogen bzw. natürlich, und verliert sich nicht im hochtechnisierten Firlefanz.
»Klar interessiert mich die Entwicklung auf dem Sektor Technik «, meint Keith, »aber ich bin davon nicht abhängig.Wenn ich kein Hightech habe, dann mache ich es wie der Maler im Gefängnis ohne Farben und Staffelei: Ich zapfe mir mein eigenes Blut ab und bemale damit die Wände«.
Mit diesem Studiooutput wird sich der Tastenaltmeister kein Denkmal setzen, beweist aber mit einer kompetenten Musikerschar im Rücken, dass bei ihm mit einem Kreativitätsknick oder gar Gicht in den Fingern noch lange nicht zu rechnen ist. Eigentlich dürstete es den Rezensenten gar mal wieder nach einem Verriss, aber um so erfreulicher ist die Tatsache, dass es sich bei der zu besprechenden Platte um schlichte Krümmelkackerei handeln würde. "Keith Emerson Band featuring Marc Bonilla" ist auf jeden Fall eine Empfehlung für generöse Progrock-Liebhaber, welche für die Klassik ein offenes Ohr besitzen bzw. einen gehörigen Schuss Konservatismus verkonsumieren mögen. Mit viel Fantasie kann so mancher dabei auch von den ELP des 21. Jahrhunderts bzw. deren Wiedervereinigung träumen.
Tracklist |
01:Ignition
02:1st Presence
03:Last Horizon
04:Miles Away Pt1
05:Miles Away Pt2
06:Crusaders Cross
07:Fugue
08:2nd Presence
09:Marche Train
10:Blue Inferno
11:3rd Presence
12:Prelude To A Hope
13:A Place To Hide
14:Miles Away Pt3
15:Finale
16:The Art Of Falling Down
17:Malambo
18:Gametime
19:The Parting
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