Was einem nicht alles an Kuriositäten auf dem Schreibtisch respektive in der CD-Playerlade landen kann!
Aktuellstes Beispiel: Kenny Ellis - "Hanukkah Swings!"
Veröffentlicht auf dem von Steve Vai ins Leben gerufenen Label 'Favored Nations'.
Und wie der Titel schon fast erahnen lässt, hören wir so einiges, aber beileibe kein Gitarrengegniedel.
Da ich tendenziell nur über eine Halbbildung verfüge und mich speziell im Kosmos der Religionen so gut auskenne, wie Tante Agatha in der Welt des Deathmetals, fiel mir zunächst nur das wunderbare Gebäck 'Hanuta' ein, direkt anschließend die falsche Schreibweise auf, so dass ich mal kurz in die Welt des modernen Wissens eintauchen musste:
"Chanukka (Weihefest) ist ein jüdisches Lichterfest. Es beginnt am 25. Tag des Monates Kislew (November / Dezember) und dauert 8 Tage. Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem im jüdischen Jahr 3597 (164 v. d. Z.) nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand der Juden Palästinas gegen hellenisierte Juden und makedonische Syrer, wie er im Ersten Buch der Makkabäer und auch im Talmud überliefert ist. Die Makkabäer besiegten das Seleukidenreich, beseitigten den im jüdischen Tempel errichteten heidnischen Altar und führten den jüdischen Tempeldienst wieder ein.
(...)Chanukka ist primär ein häusliches Fest. An den Abenden versammeln sich die Familien mit Freunden zu ausgelassenen Festen, Gemeindefeiern sind üblich, die Kinder bekommen Geschenke und Süßigkeiten. Gegessen werden vor allem in Öl gebackene Speisen wie Kartoffelpuffer und Krapfen und weitere Spezialitäten der Jüdischen Küche. Gemeinsam werden spezielle Chanukkalieder gesungen. Ursprünglich zündete man die Lichter nur in den Häusern an, später auch in den Synagogen. Chanukka und das ungefähr zur gleichen Zeit stattfindende christliche Weihnachten haben sich über die Jahrhunderte gegenseitig beeinflusst und zu einer Annäherung der Festbräuche ("Weihnukka") geführt." (aus Wikipedia)
Aha, da sage nun noch jemand, Musikhören trüge nicht zur Weiterbildung bei!
Außerdem erklärt das den latent vorhandenen Partycharakter dieses kleinen Scheibchens.
Der studierte jüdische Musiker und Theologe Kenny Ellis aus Los Angeles hat sich dabei "die Musik seiner Eltern und Großeltern, aber auch Lieder der sephardischen Juden ausgesucht und in einen Kontext übersetzt, der irgendwo zwischen Swing und Jazz liegt und mit ein paar Zitaten aus Weihnachtsliedern und klassischer Unterhaltungsmusik angereichert wurde." (Lübecker Nachrichten - Teleschau/Musik vom 21.10.2005)
Das klingt etwas krude, bringt es aber durchaus auf den berühmten Punkt. Die Musik kommt absolut leichtfüßig und tanzbar daher, von wenigen eher traditionalistischen Klängen wie bei "Children Of The Macabbees" einmal abgesehen.
Der Opener ist von dem sehr bekannten, quintessenziellen Hanukkah-Festlied "I Have A Little Dreidel" abgeleitet und in ein Big Band-Swingkleid gewandet worden.
Die Art des Arrangements lässt durchblicken, dass Kenny Ellis tatsächlich mit solchen Swinggrößen wie Les Brown, Count Basie oder Benny Goodman aufgewachsen ist.
Währenddessen erinnert mich das erste von drei Eigenwerken ("Hanukkah Candles") etwas an solche Heuler wie "Do They Know It's Christmas" oder "We Are The World". "Sevivon Sov, Sov, Sov" startet dagegen mit einem Belcanto-Intro, um dann in eine Kreuzung aus "Pink Panther" und "Minnie The Moocher" (Cab Calloway) vom Blues Brothers-Soundtrack zu münden. Und das mit teilweise hebräischem Gesang!
Darauf folgt ein Latino-Rumba-Cha-Cha-Cha in originaler Sprache ("Ocho Kandelikas") und wir erfahren etwas über die spanischen Wurzeln der sephardischen Juden.
Richtig strange wird es dann mit dem "Hanu-Calypso" (dem zweiten Eigenwerk), der uns stilecht den karibischen Sound ins Wohnzimmer zaubert und das 'Fest der Lichter' immer interessanter erscheinen lässt, zumal es gegenüber unserem christlichen Weihnachtsfest ja über volle acht (spanisch = ocho) Tage geht.
Mit solch ansteckender 'World-Music' stelle ich mir das ausgesprochen schwungvoll vor.
Das Traditional "Rock Of Ages" wird dann smooth-jazzy verpackt, mit deutlicher Beeinflussung durch den zeitgenössischen Großmeister dieser Ausrichtung, Mr. Quincy Jones.
Der dritte Eigenbau ("'Twas The Night Before Hanukkah") beendet ausgesprochen humorvoll diesen leider sehr kurzen Silberling, dem genauso leider die Texte nicht beiliegen. Okay, Hebräisch können wohl die wenigsten von uns, aber zumindest die englischsprachigen Teile hätten doch gerne im ansonsten sehr informativen Booklet abgedruckt werden dürfen.
Fazit:
Für Freunde der Rockmusik ist das Ganze natürlich arg gewöhnungsbedürftig, aber Leute mit offenen Ohren könnten hier eine kleine Gute-Laune-Perle entdecken, die musikalisch ausgesprochen vielseitig daherkommt, Traditionelles wunderbar frisch und staubfrei erklingen und in der Kürze nie Langeweile aufkommen lässt, sich aber stringent immer am Thema entlang hangelt und mit dem Swing als gemeinsamem Bindeglied trotz aller Stilsprünge nie den musikalisch roten Faden verliert.
Und lehrreich ist die Geschichte noch obendrein. Respekt!
Spielzeit: 34:03, Medium: CD, Favored Nations, 2005
1:Swingin' Dreidel (3:15) 2:Medley: Hanukkah, Oh Hanukkah/Who Can Retell (3:21) 3:Hanukkah Candles (3:39) 4:Sevivon Sov, Sov, Sov (3:19) 5:Ocho Kandelikas (2:45) 6:Children Of The Macabbees (3:45) 7:Medley: Hanukkah Swingin' Holiday/Pour The Oil (3:38) 8:Hanu-Calypso (2:32) 9:Rock Of Ages (4:18) 10:'Twas The Night Before Hanukkah (3:07)
Olaf "Olli" Oetken, 29.10.2005
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