Tommy Emmanuel ist einer der wenigen Musiker, denen gewissermaßen eine Bilderbuchkarriere vergönnt war. Der gebürtige Australier stammt aus einer sehr musikalischen Familie, denn er fing bereits im Alter von vier Jahren an Gitarre zu lernen, um zwei Jahre später schon zusammen mit seinen drei Geschwistern als "Wunderkind" in diversen "Familienbands" in seiner Heimat die ersten Konzerte zu geben. Nach dem frühen Tod des Vaters gelang es den Geschwistern sogar, auf diese Weise die Existenz der Familie zu sichern.
Als Jugendlicher begann Tommy Emmanuel, in den Clubs von Sydney zu spielen und es dauerte nicht lange, bis man über die Region hinaus auf ihn aufmerksam wurde. Über die Jahre gesehen tourte er mit vielen namhaften Größen wie beispielsweise Eric Clapton, John Denver, Olivia Newton-John, Tina Turner oder Stevie Wonder und war als "Supporter" an zahlreichen Alben der verschiedensten Musiker beteiligt.
In Australien gilt sein Werdegang schon heute als ein Stück moderner Musikgeschichte und Emmanuel wird dort schlichtweg bezeichnet als "ein Original, welches oft kopiert, dabei jedoch niemals erreicht wurde".
Die Einspielung seines Albums "Canīt Get Enough" (1996), auf dem neben Larry Carlton und Robben Ford auch sein 2001 verstorbenes musikalisches Vorbild Chet Atkins vertreten ist, gilt für Tommy Emmanuel selber als einer seiner absoluten Karrierehöhepunkte. Chet Atkins bezeichnete ihn noch kurz vor seinem Tod als einen der wohl besten Fingerstyle-Gitarristen der Welt. Und die mir vorliegende neueste Veröffentlichung "Endless Road" ist - wen wundertīs - tatsächlich eine Klasse für sich.
Die siebzehn auf der CD enthaltenen "Köstlichkeiten", die allesamt "lediglich" mit der Akustikgitarre eingespielt und innerhalb weniger Tage aufgenommen wurden, sind für mich sehr beeindruckend. Mal klassisch angehaucht, dann wieder mit Country-Einflüssen kommen sie daher. Dabei ist das gesamte Album zum Einen eine Präsentation technischen Könnens, zum Anderen - und das ist für mich mindestens ebenso impressiv - sind sie darüber hinaus sehr gefühlvoll. Emmanuel bedient sich in erster Linie wohl hauptsächlich "klassischer Elemente", die jedoch angereichert werden mit starken Einschlägen weiterer Musikstile: Folk, Country, Ragtime oder Blues sind genauso vertreten wie Jazz.
Hört man genauer hin, so bekommt man den Eindruck, daß Emmanuel selber am wenigsten darüber nachdenkt, was er da gerade für eine Musikrichtung spielt. Ein Großteil der dargebotenen Stücke klingen "frisch von der Leber weg" - eben so, als wenn jemand einfach seine eigene gerade herrschende Stimmung in Töne verpackt.
Dennoch - der berühmte "rote Faden" ist immer vorhanden - sei es bei dem etwas wehmütig erscheinenden Stück "Endless Road", das sehr einfühlsam und etwas sehnsüchtig beginnt, um dann zwischendurch mit sehr schnellen und punktgenauen Tonfolgen angereichert zu werden - oder "Tall Fiddler", das irgendwie entfernt an sehr schnell gespielte Countrymusik erinnert, um dann plötzlich und unvermittelt in schnelle Tonabfolgen und Rhythmuswechsel zu münden. Dann folgt mit "Green Thumb" ein treibend gespielter Ragtime. "Morning Aire" wieder ist eher etwas verhalten und baut auf wenigere und prägnante Töne, die eine ganz eigentümliche und etwas sehnsuchtsvolle Stimmung aufbauen.
Wirklich toll gemacht!
"Angelina" erinnert mich ein wenig an die damalige Pausenmusik des NDR ("Das Loch In Der Banane"), ein langsames, eingängiges Stück, bei dem Tommy Emmanuel ein eher durchgehendes Picking verwendet und eine impressive Melodiefolge darüberlegt.
Im Gegensatz dazu: "Sanitarium Shuffle" ist sehr jazzig und lässt mich mitwippen. Es ist irre, mit was für einer Sicherheit hier die schnellsten Tonläufe eingeflochten werden. Ähnlich ist "Christmas Memories / Wheel", wenn auch etwas langsamer gespielt.
"La Visita" dagegen kommt wieder verhalten und nachdenklich rüber und sehr emotional, genauso wie das dann folgende "Mona Lisa".
Die letzten beiden Stücke sind die einzigen auf dem Album , bei denen Tommy Emmanuel auch singt. "Still Canīt Say Goodbye" und "Today Is Mine" sind dementsprechend dann auch von der Gitarre her wesentlich einfacher gehalten, um der Stimme mehr Raum zu geben. Beide Stücke sind langsam und balladesk.
Fazit:
Die CD "Endless Road" ist etwas für die "Akustikfreaks" unter uns.
Die werden ganz gewiss voll auf ihre Kosten kommen. Die Stimmung, die sich beim Hören breit macht, ist feierlich.
Ich jedenfalls bin sehr angetan - und mir ist so manches Mal die Kinnlade heruntergefallen, weil ich nicht glauben wollte, daß jemand überhaupt so schnelle und dabei absolut blütensaubere Tonfolgen auf einer Akustikgitarre spielen kann.
Chet Atkins mußte es eben einfach wissen - und er lag mit seiner Aussage nicht verkehrt.
Spielzeit: 57:24, Medium: CD, Favored Nations, 2005
1:Endless Road 2:The Fiddler 3:(The Man With The) Green Thumbs 4:Bella Soave 5:Morning Aire 6:Angelina 7:Windy & Warm 8:Chetīs Ramble 9:Son Of A Gun 10:Sanitarium Shuffle 11:La Visita 12:Mona Lisa 13:Christmas Memories / Wheels 14:Old Town 15:Somewhere Over The Rainbow 16:I Still Canīt Say Goodbye 17:Today Is Mine
Peter Rodenbüsch, 13.02.2005
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