Es ist knapp ein Jahr her, da beehrten uns Norman Beaker und seine Mannen, im Gepäck einen wuchtigen, untersetzten Mitsechziger namens Chris Farlowe, erstmals im kleinen, aber sehr stimmungsvollen Oldenburger 'Charlys'. Ein kleiner Originalton von mir zum damaligen Ereignis:
"..., so gibt er an diesem Freitagabend völlig überraschend den launigen Entertainer, der jederzeit den direkten Kontakt mit dem Publikum sucht und der auch vokalistisch regelrecht aufzutauen scheint und singt, als wäre er so jung wie sein Keyboarder und nicht knapp 64 Jahre alt!!!
Sensationell, ich habe den Rock'n Roll wiederentdeckt und mit mir zusammen noch ca. 150 andere schwerstbegeisterte MusikliebhaberInnen. Das gibt Hoffnung, dass doch noch nicht alles vorbei ist, long live Rock'n Roll, yeah!"
Ich muss zugeben, ich hatte Chris Farlowe seinerzeit das erste Mal überhaupt außerhalb des Kontextes von Colosseum gesehen und war vor allem darüber überrascht, welche Entertainmentqualitäten dieser großartige R&B - Sänger an den Tag legen kann. Darüber hinaus wusste seine Begleitcombo, die Norman Beaker Band, mit kompaktem Pub - Rock 'n' Roll zu begeistern, was ich ebenfalls nicht unbedingt erwartet hatte.
Insofern begab ich mich diesmal mit wesentlich konkreteren Erwartungen zum Samstagabend - Gig in 'Charlys Musikkneipe', ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie dieses tolle Konzert vom Vorjahr hätte gesteigert werden können.
Die Antwort bekamen ich und schätzungsweise gut 100 andere Anwesende auf der winzigen Bühne:
"Ladys and Gentlemen, we proudly present - the one and only voice of British Rhythm & Blues ever, Mr. Chris Faaaaaarlowe ..."
Nun ja, vielleicht sollte vorab kurz geklärt werden, um welchen Musiker es sich hier überhaupt handelt, immerhin ist Herr Farlowe meines Wissens bisher noch nie gesampelt worden.
Erste Meriten erwarb sich Chris zusammen mit den Thunderbirds zwischen 1962 und 1965, als die Grundlagen des British Bluesbooms der 60er Jahre gelegt wurden, und die Melange aus Skiffle und schwarzem R&B & Soul & Rock 'n' Roll abging wie eine Rakete. Danach wurde (leider) versucht, Chris Farlowe in eine kommerzielle(re) Schiene zu packen, und er ließ sein beeindruckendes Organ zwischen lauter Orchester-Brimborium und Vaudeville - Schmonz erklingen. Höhepunkt war hier sicherlich seine dramatisch aufgemotzte Version des Stones - Klassikers "Out Of Time", welche ihm einen millionenfach verkauften Hit einbrachte. 1970 stieg er bei der blues(rock) geerdeten Jazzrock-Combo Colosseum ein, wo er für fantastische vokalistische Highlights verantwortlich zeichnete und zusammen mit Gitarrist Clem Clempson für die erdige Bodenhaftung sorgte.
Nächste Station war dann für relativ kurze Zeit Atomic Rooster, heute vielleicht in die Kategorie 'orgelnder Düsterrock' einzuordnen, oder, wie es 'Das neue Rocklexikon' formuliert: Kruder Schock - Rock.
Auch hier besorgte Chris den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen, wenn Vincent Crane komplett abdrehte. Das konnte natürlich auf Dauer nicht gut gehen, und so verschwand Chris Farlowe in den restlichen Siebziger und Achtziger Jahren weitgehend von der Bildfläche.
Bei 'Line Records' (Deutschland!) veröffentlichte Chris unter der Regie von Mike Vernon (u.a. Peter Green's Fleedtwood Mac, Chicken Shack, John Mayall, Savoy Brown) Mitte der 80er Jahre zunächst eine Neuauflage von den Thunderbirds, um dann noch zwei Soloalben nachzulegen, die 'Das neue Rocklexikon' "zu den kräftigsten englischen R&B-LP's der achtziger Jahre" zählt.
In den 90er Jahren war Chris Farlowe vor allem live (in Deutschland) aktiv und bereits um 1994 herum hätte der Rezensent theoretisch die Möglichkeit gehabt, dieser Legende in Oldenburg seine Aufwartung zu machen denn da gab es die vielbeachtete Reunion von Colosseum und seitdem ist Mr. Farlowe wieder dick im Geschäft.
Colosseum können durchaus mal mehr als 1000 Leute 'ziehen' und in seiner 'Freizeit' tourt er weiterhin in Begleitung der formidablen Norman Beaker Band durch die Lande, tritt vor kleinem und kleinsten Publikum auf und hat einen wahnsinnigen Spaß dabei. Alle Achtung, das nenne ich einen Vollblutmusiker!
Und nun kommt noch die endgültige Erkenntnis dazu, dass sich das Spektrum um die Kategorie 'Comedian' erweitert hat!
Ich habe selten bei einem (Rock)Konzert vor Vergnügen so viel zu lachen gehabt, und das ist auch die wesentliche Quintessenz vom Gig des Chris Farlowe 2005.
Sicher, es gilt unbedingt die sehr gut eingespielte, kompakt, schwungvoll und mit Verve aufspielende Norman Beaker Band hervorzuheben, die mit dem Ex- 10CC - Drummer Paul Burgess durchaus auch mit einem prominenten Namen aufwarten kann. Norman himself lässt ein um das andere Mal feine Gitarrenläufe vom Stapel, die ihn eindeutig als 'Kind' des 60er 'British Bluesbooms' outen, irgendwo zwischen der Hemdsärmeligkeit eines Mick Clark und der adeptenhaften Raffinesse eines Eric Clapton.
Darüber hinaus verfügt die Band über einen hervorragenden Saxofonisten ( Damian Hand, seit 2002 an Bord), einen stoischen, alles kontrollierenden Bassisten ( John Price, bereits seit 1990 dabei) und einen jungen Keyboarder, der ab und an ein paar Akzente setzen darf.
Wir bekommen natürlich jede Menge R&B um die Ohren, es wird leidenschaftlich gebluest, mal eine herzzerreißende Ballade eingestreut, der Soul lugt hier und da um die Ecke, es wird schwitzig abgerockt wie zu den "Package Of Three" - Zeiten eines Steve Marriott und selbst James Brown kommt zu seinem Recht und der Funk-Soul knallt direkt in unsere Beine.
Über allem thront Chris Farlowe mit seiner unvergleichlichen Stimme und beweist eindrucksvoll, dass er ein Live-Künstler ist und kein Platten-Künstler. Denn bei seinen Platten ist nicht annähernd diese Energie und dieses Charisma eingefangen, welche(s) der Meister himself auf der Bühne zu entfachen in der Lage ist, selbst mit knapp 65 Jahren!
Und dann diese Entertainment - Einlagen! Köstlich!
Er stellt, im Gegensatz zum bereits erwähnten Eric Clapton, ausführlichst die Band vor; Birmingham, Manchester und ähnliche Kaliber fallen als Heimatorte, wobei sich nach Zuruf eines wagemutigen Konzertgängers, der Manchester City krakelt, Norman Beaker schüttelt, als habe er gerade französisches Bier getrunken.
Oh ja, hier stehen Fußballfans auf der Bühne, wollen wissen, wie Wales gegen England gespielt hat (0:1), kommentieren etwas sauertöpfisch das magere Ergebnis der haushohen Favoriten und erkundigen sich alsbald auch nach dem Ergebnis der Deutschen Mannschaft, die an diesem Abend ein Freundschaftsspiel gegen Slowenien in Bratislava absolviert. Niemand weiß Bescheid, was vermutlich auch besser so ist, denn unsere hoffnungsvollen Möchtegern-Weltmeister in spe sind dort mal eben mit 2:0 unter die Räder gekommen. Obwohl, die Kommentare der Briten auf der Bühne wären bestimmt sehr lustig gewesen.
Als schließlich der Saxofonist Damian Hand vorgestellt wird, ist es aus mit den Metropolen Englands. Farlowe erwähnt schelmisch irgendein Kaff und behauptet, er hätte absolut keine Ahnung, wo das sein solle. Aber es hätte einen der größten Saxofonisten ever hervorgebracht, Bravo!
John Price, der Bassist als Ruhepol der Band bekommt natürlich auch sein Fett weg, indem sein großartiges 4,99 Euro - Hemd gehuldigt wird, zum Schießen!
Zwischendurch gibt es immer wieder das gute deutsche Bier (auch auf der Bühne!) und die Band vermittelt einfach größtmöglichen Spaß an der Sache. Auch und gerade in diesem vergleichsweise intimen Rahmen, denn die Stimmung ist bombastisch.
Den Brüller des Abends erntet Chris Farlowe mit einer ausgiebigen Anekdote seiner ersten Erfahrung mit Hamburg in den frühen 60er Jahren, als sich dort im 'Star-Club' und ähnlichen Etablissements die britischen Rock/R&B/Beat - Nachwuchscombos die Klinke in die Hand gaben.
Er war damals natürlich mit den Thunderbirds unterwegs, erstmals überhaupt in Deutschland und in irgendeinem Hotel in Hamburg abgestiegen. Die Jungs machten nach ihren abendlichen Gigs selbstredend auf St. Pauli noch ordentlich einen drauf, bestaunten die Girls im Schaufenster (für Chris offenbar eine bis heute unvergessene Begebenheit!) und wohl nicht nur die, genossen ausgiebig den deutschen Gerstensaft und wollten dann irgendwann mal zurück ins Hotel.
Hotel? Welches Hotel?
Die Jungs waren diesbezüglich völlig desorientiert, aber Chris, der schlaue Fuchs, hatte sich vor der Abfahrt zu den Gigs den Hotelnamen notiert und hielt diesen triumphierend unter die Nase des schlecht englisch sprechenden Taxifahrers.
Hä, von dem Hotel hatte dieser noch nie was gehört. Flugs waren die Jungs raus aus dem Taxi und enterten das nächste. Aber auch hier völlige Verständnislosigkeit.
Wie bitte? Das Hotel kenne ich nicht.
Langsam wurde den Jungs mulmig und sie lernten nach und nach die gesamte Taxibelegschaft des damaligen Hamburg kennen. Keiner konnte ihnen wirklich weiterhelfen.
Irgendwann, laut Chris' launigen Worten nach geschlagenen 13(!) Stunden fuhren sie an einem Turm (Kirchturm?) vorbei, wo Chris gebrüllt haben soll:
"Halt, den habe ich schon mal gesehen, der ist ganz in der Nähe unseres Hotels."
Und tatsächlich, wenig später war das Hotel endlich gefunden und Chris Farlowe völlig perplex, denn als sie selbiges betraten, las er genau das, was er sich notiert hatte: 'Hotel - Eingang'.
Leute, das 'Charlys' bricht förmlich zusammen vor lauter losprustenden Menschen, spätestens ab hier wird klar, dass es sich wahrlich um einen hochgradig memorablen Abend handelt.
Wer immer die Gelegenheit haben sollte, diese Vollblutmusiker in seiner oder ihrer Nähe sehen zu können, kann ich nur einen Rat geben:
Geht unbedingt hin!!!
Bilder vom Konzert
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