Wer sich schon immer über knackende und knisternde Überspielungen von 78er-Schellackplatten und noch früheren Medien ärgerte und darüber hinaus noch gern Originalaufnahmen aus den zwanziger Jahren liebt, dem kann nun geholfen werden.
In der Rock- und Popmusik ist es ja keine Seltenheit, dass Rückgriffe auf alte Zeiten und frühere Stile erfolgen, seien es nun das Sixties Revival, Neo Psychedelia oder Retro Rock. Im Jazz ist es bislang so, dass man sich oft nicht bis in die Vierziger und den Be Bop zurückgetraut hat, sondern es waren eher Strömungen der Fünfziger, die eine Neugeburt feierten, wie durch Musiker wie Wynton Marsalis, der allenfalls den Stil des Hard Bop wiederbelebte, ohne ihm neue Impulse zu verleihen. Seltener ist es, dass junge Musiker ganz weit zurückschauen, wie das Beispiel der Fat Babies belegt. Denn diese vor etwa zwei Jahren gegründete Band geht weit zurück in die Jazzhistorie der Zwanziger und Dreißiger! Und sie klingen verdammt authentisch, inklusive des elegant gestoppten Beckenschlags des Schlagzeugs. Alles ist dabei, die Fröhlichkeit und Frivolität jener Musik, die vor Lebensfreude sprüht und das in allerfeinster Klangqualität! Das hier ist das Debütalbum der Band aus Chicago, die dem Sound der berühmten South Side dieser Großstadt huldigt.
Die Kompositionen stammen auch aus jener Zeit. So kommen solch unterschiedliche Musiker wie King Oliver, Jelly Roll Morton oder der Stil eines der berühmtesten Trompeters, Bix Beiderbecke, zu erneuten Ehren. Das ist klasse, wie diese Musik abgeht. Diese herrliche Rhythmusarbeit mit diesem treibenden Stomp auf "San" beispielsweise ist ansteckend und mitreißend! Wunderbar gelungen ist die Verflechtung der verschiedenen Blasinstrumente, also Kornett, Saxofon, Klarinette und Posaune. Dazu der slappende Bass, das zurückhaltende Schlagzeug (Bassdrums waren ja in der Lautstärke eher tabu, da sonst die Aufnahmenadel gesprungen wäre) und das pluckernde, den Rhythmus unterstützende Tenorbanjo. Dennoch gönnt sich der Schlagzeuger auch einmal vorwärtstreibende Extras und bricht mal aus. Das ist Hot Jazz, wie ihn viele Oldtime Jazz-Bands zu kopieren versucht haben, allerdings nicht immer von Erfolg und Überzeugung gekrönt. Hier ist es vortrefflich, diese Musik geht ins Blut, wahrscheinlich auch in jenes von Nichtjazzern.
Nun ja, "Icecream" gibt es hier nicht zu hören, dafür aber solche Hits wie den "Black Snake Blues" von der Bluessängerin Victoria Spivey oder "Alexander's Ragtime Band". Die kurzen Soli sind - der Zeit gemäß - nicht ausufernd, sondern auf den Ausdruck konzentriert.
Diese Musik trägt einen Virus - ich bin infiziert und habe Mühe, still zu sitzen. Gelegentlich schimmert dann auch der Geist aus New Orleans und der Südstaaten mit Spuren vom Dixieland durch. Insofern eine Rundum-Hommage an die 'guten alten Zeiten'. Im noch jungen Jahr ist das sogleich ein dicker Tipp für diese Veröffentlichung von 2012.
Line-up:
Beau Sample (string bass)
Andy Schumm (cornet)
John Otto (clarinet, saxophones)
Dave Block (trombone)
Paul Asaro (piano)
Jake Sanders (tenor banjo)
Alex Hall (drums)
Mike Walbridge (tuba)
Tracklist |
01:Snake Rag [Oliver] (3:15)
02:London Cafe Blues [Morton] (2:40)
03:San [McPhail/Michels] (4:54)
04:Alexander's Ragtime Band [Berlin] (3:38)
05:I Surrender Dear [Barris/Clifford] (4:01)
06:Dardanella [Fisher/Bernard/Black (4:01)
07:Black Snake Blues [Spivey/Johnson] (2.52)
08:Here Comes The Hot Tamale Man [Rose/Harrison] (3:19)
09:Froggie Moore [Morton/Spikes/Spikes] (4:27)
10:Willow Tree [Waller/Razaf] (4:22)
11:Weary Blues [Matthews] (2:52)
12:Liza (All The Clouds'll Roll Away) [Gershwin/Gershwin/Kahn] (4:47)
13:Please [Rainger/Robin] (3:56)
14:Susie [Naset/Kahn] (2:41)
15:Tight Like This [Curl] (3:41)
16:Stomp Off, Let's Go [Schoebel] (4:19)
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Externe Links:
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