Bevor ich auch nur einen Ton von "Let Me Go With You" hörte, war ich auf der Schiene Free Jazz, so etwa einigen Ausführungen zu dieser Formation entnehmend. Am 31. Mai 1975 war es, als ich unverhofft einen 'Kulturschock' erlitt. Ja, das war meine erste richtige Live-Begegnung mit dem Free Jazz. Drei Japaner zelebrierten eine spirituelle Wucht ekstatischer Klänge, die mich dermaßen fesselte, dass es fortan um mich geschehen war. Jazzveranstaltungen der 'gesitteten Art' waren mir seinerzeit bereits nicht fremd, doch was hier auf der Bühne geschah, sprengte alle (meine) Grenzen.
Was mich damals dermaßen beeindruckte, war das Yosuke Yamashita Trio und fortan war die Beschäftigung mit Free Jazz für mich ein Muss.
Klar, Platten von Musikern wie John Coltrane, Pharoah Sanders, Cecil Taylor und vielen anderen standen bald im Plattenschrank und mir wurde dabei unter anderem bewusst, dass die europäische Variante des Free Jazz eine andere war. Die bei den amerikanischen Vorbildern stets gegenwärtige Beziehung zur Jazztradition fiel bei den Europäern oft genug weg. Auf mich wirkte diese Musik nüchterner, sachlicher, verkopfter, intellektueller und mehr an Musik wie zum Beispiel jener von Karl-Heinz Stockhausen und anderer Protagonisten der neuen E-Musik orientiert. Freie Improvisation schien in Europa noch offenkundiger zu sein.
Und nun Field - ja, welches Feld wird mir geboten? Welches Feld wurde beackert? Zu Beginn der Platte bin ich mir nicht sicher, in welche Richtung es gehen soll. Free Jazz ist es eigentlich nicht, gleichwohl kann ich das übliche Schema, also Thema-Improvisation-Thema, ebenfalls nicht erkennen. Aber auch der typische Druck, wie ich ihn vom Free Jazz oben genannter Interpreten liebe, fehlt hier. Irgendwie scheint die Musik mittendrin zu liegen. Gelegentlich schleichen sich rockige Elemente ein, allen voran durch die Gitarre und das Schlagzeug. Offen in ihrer Gestaltung ist die Musik, also insofern frei, free. Jazz ist es auch, also doch Free Jazz? Oder Avantgarde? Begriffsbestimmungen mögen es sein, die oft den Blick versperren, für das, was geschieht. Und schon im zweiten Stück scheinen sich bereits Freiräume zu öffnen, die Musiker schaffen im Dialog miteinander fließende Elemente. Es ist eindeutig eine europäische Variante der freien Musik. Aber nicht die verkopfte Art, sondern Humor und Spontaneität halten Einzug. Die "Vier Himmelsrichtungen" beinhalten - ihrem Titel gemäß - offensichtlich Einflüsse aus eben diesen Richtungen: Asiatische, afrikanische Klangformen und Melodien werden einbezogen und gestalten dieses Stück zu einem der wohl interessantesten der Platte.
Fazit: Für mich ist es kein Free Jazz jener Art, der an den Nerven rütteln kann und der dafür auch nicht - springt man einmal auf diesen Zug auf - mitreißen und verschlingen kann, wie ich es live mit den drei Japanern habe erleben können, denn hier ist es keine wegspülende Flut von Eindrücken, sondern eher kleine Tropfen, die, zu einem Mosaik zusammengefügt, einen insgesamt doch eher harmonischen dahinfließenden Strom ergeben, jedoch ohne Quelle und Mündung. Das scheinen Klänge für den Augenblick zu sein, und man hört besser zu, um auch nichts zu verpassen. "Für Undine", einem Titel, der sich aus den Fusionsgedanken eines Miles Davis Ende der Sechziger zu speisen scheint, weist ein hohes Maß von Struktur auf. Der Rhythmus ist bodenständig verhaftet und auf "Für Gerhard" swingt es gar mächtig. Und wieder einmal die End-Sechziger, der 'Gerhard' erinnert mich stark an eine Platte des tschechischen Bassisten Miroslav Vitous, "Infinite Search" aus dem Jahr 1969. Ronny Graupe legt ein hervorragendes und innovatives Solo vor, dazu treibt die Rhythmusmaschine gnadenlos, unter dem Gesichtspunkt eines Jazzfans ist dieses Stück mein Lieblingstitel.
Und so ziehen sich verschiedene Stimmungen durch die Platte, die es mir schwer machen, eine klare Zuordnung zu geben. "Heimspecht" ist wieder eher freier Jazz, "Melodie" ist die Umsetzung einer modernen Jazzballade. So hat mir die Pressemitteilung, die mir zu signalisieren schien, es sei eine Ausrichtung hin zum Free Jazz zu erwarten, nicht diese Erwartung erfüllt. Dafür hat die Musik mir eröffnet, dass es abseits festgelegter Strukturen und Einordnungen auch solche gibt, die sich verschiedener Elemente bedient, und diese auch locker aneinandergereiht zu einem Ganzen vereinen kann. Es ist eine besondere Platte geworden, mit den Hörer fordernder Musik, die sehr unterhaltsam ist.
Um einen Bogen zur Einleitung zu spannen, überlasse ich das Schlusswort dem Pianisten Yosuke Yamashita, der einst sagte: »We were like kamikaze. We said: OK, let's show them our spirit. And we did just that.« Dieser Spirit fehlt der Musik von Field sicher - ihre Stärken liegen woanders.
Line-up:
Uli Kempendorff (tenor sax, clarinet)
Ronny Graupe (guitar)
Jonas Westergaard (bass)
Oliver Steidle (drums)
Tracklist |
01:Druffi (5:52)
02:Vier Himmelsrichtungen (11:34)
03:Undine (7:06)
04:Für Gerhard (4:52)
05:Lesen und Kämpfen (3:19)
06:Surcharge (7:19)
07:Melodie (3:41)
08:Heimspecht (3:11)
09:Überschwing (6:13)
(all compositions by Uli Kempendorff)
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