02.06.2011, Donnerstagabend in Tilburg/Niederlande, meine Nackenmuskeln absolvierten die ersten 90 Trainingsminuten und das spärliche Haupthaar meinerseits saß während der musikalischen Vorgehensweise der fünf Herren aus Toledo/Ohio und Detroit/Michigan nicht und legte sich auch danach noch lange nicht wieder in die richtige Lage.
04.06.2011, Samstagabend in Roermond/Niederlande, meine Nackenmuskeln absolvierten die zweite Trainingseinheit, Dauer auch ca. 90 Minuten, Haare wie vor.
Am 05.06.11 in Siegen, meine Nackenmuskeln haben die dritten 90 Trainingsminuten überstanden, meine Stimmbänder sind nicht mehr so belastbar, meine Stimme ist kaum mehr existent vom lauten Mitsingen.
Und es war der Montagabend am 06.06.11 in Berlin, meine Nackenmuskeln durchliefen die vierten 90 Trainingsminuten und das spärliche Haupthaar saß nun überhaupt nicht mehr und meine Stimme klang wie die von Tom Waits.
Der folgende Bericht spielt sich ab wie die Bestellung an der Theke einer Metzgerei im übertragenen Sinne ... ich hätte gerne Five Horse Johnson... geschnitten oder am Stück? ... geschnitten und am Stück bitte.
Nun denn ... geschnitten ungeschnitten und am Stück vier Konzerte von Five Horse Johnson in einer geballten Zusammenfassung.
Einige Freudentränen bahnten sich den Weg unter meinen Brillengläsern hinweg Richtung Bart und Boden. Ich war hin und weg, als ich vor einigen Wochen die Nachricht las, dass nach knapp fünf langen Jahren des Wartens endlich und wahrhaftig die von mir heftigst verehrte und für mich heftigste bluesige hardrocking Band oder rockigste hardbluesin' Band bzw. auf den Nenner gebracht von Roger Glover: »The heaviest BluesRock band in the world« im Juni live und wahrhaftig in näherer und weiterer Umgebung aufgeigen wird.
Ich machte mir also die große Freude, nahm Anfang Juni Urlaub, sattelte dreimal den Twingo für insgesamt knapp 800 km und beanspruchte einmal einen Fahrkartenautomaten der DB AG für die Fahrt nach Berlin.
Und ich lernte im Verlaufe der vier Konzerte mal wieder, es gibt noch etliche andere Musikverrückte, die einiges auf sich nehmen - körperlich und finanziell - um ihre Leib- und Magenbands zu sehen, zu hören und zu sprechen. Ein Ehepaar aus Ulm in Siegen, ein junger Fan aus Kronach in Franken in Berlin, ein etwas älterer Fan aus Zwickau in Berlin, usw. Klasse seid ihr allesamt und meinen Respekt dafür.
Auf einem meiner zahlreichen FHJ T-Shirts befindet sich eine sehr zutreffend gedruckte Beschreibung des Songkatalogs: "Boogie Coalition Approved" und der Songkatalog spielt sich ab auf sechs CDs. Die Bandgründungsjungs Eric Oblander (Gesang und Harp), Brad Coffin (Gitarre und Gesang) sowie Steve Smith (Bass) sind nun im sechzehnten Jahr dabei und on the road, die Schlagzeuger wechselten häufig, nun sitzt Chuck Mauk wieder hinter der Truppe (er spielte in früheren Jahren schon mal bei FHJ) und Phil Dürr ist seit 2006 fest dabei und zwar an der anderen Gitarre. Er kennt die Jungs schon seit ewigen Zeiten und verfeinerte auch schon einige Songs der letzten CDs und als die anderen ihn 2006 fragten, ob er Lust hätte mit nach Europa zu fliegen und einige Konzerte zu spielen, ließ er sich überhaupt nicht bitten.
Eine für mich überraschende Begebenheit zu Phil: Am Sonntag in Siegen gegen 19 Uhr, ich betrat den Biergarten des Vortex Musikklubs, dort saßen FHJ, ihr Merchandising Beauftragter Lou, der Tourbegleiter Burkhardt aus Berlin, einige Mädels und Jungs aus der Siegener Rockfreaksszene sowie Maik, der Besitzer des Vortex. Der Grill briet Bratwürste und wir alle speisten und tranken gemütlich in trauter Runde, vor dem Gewitter - dem vom Himmel und dem nachher von der Bühne des Vortex.
Ich trug drei CDs zum signieren lassen mit mir herum: die ersten beiden Silberlinge von FHJ namens "Blues For Henry" und "Double Down" sowie eine Compact Disc von Giant Brain. Das ist eine amerikanische Krautrock-Band (!) und Phil ist in diese Band involviert. Ihn fragte ich als ersten nach einem Autogramm und als er die Giant Brain-CD sah, guckte er mich an und machte die etwas verblüffte Aussage: »Das ist ja eine CD meiner anderen Band!« ... In perfektem Deutsch!
Phil heißt Philipp Dürr, geboren vor 45 Jahren in München, seit seinem achten Lebensjahr zuerst in Mexiko und nun seit 30 Jahren in Detroit lebend und dort in der Rockszene sehr etabliert und zugange. Er saitet auch noch in einer dritten Band auf, die heißt Luder, es gibt eine CD, der Name der Band ist gewollt sehr vieldeutig, in etlichen Sprachen, in Amerika z.B. ist das der Ausdruck für ein Beruhigungsmittel.
Vor Five Horse Johnson spielte er von 1989 bis zur Auflösung 1996 bei Big Chief, die einige CDs unter die Funkhardrock-Gemeinde brachten.
Zu den Konzerten: Die Playliste enthielt an allen vier von mir heimgesuchten Orten der Glückseligkeit ca. 20 verschiedene Klassiker und Gassenhauer der Band, alles Eigenkompositionen. Es gab während der immer ca. 90-minütigen Auftritte zwischen 13 und 15 Songs in die Ohren.
Und während der Darbietungen erhielten wir Zuhörende dauerhaft und ohne Gnade Dresche vom Feinsten. Es schepperte und knallte und lärmte und röhrte endlich auf uns ein, der Fünfer arbeitete sich in dieser Zeit rundweg auf, die Jungs waren völlig und wahrhaftig am Ende der Show am Ende mit ihren Kräften und hatten alles gegeben und das war heavy. Boogie, Blues, Psychedelic, Stoner, Southern und Rock, auch Soul in Stimmen und Seelen in den Sälen der Niederlande und Deutschland.
In Tilburg im O 13 wartete ich genauso, wie etliche andere Bootsmotorfahrer auch ( Five Horse Johnson ist der Name eines Bootsmotors) auf die ersten Klänge und die klangen sehr verdächtig nach "Lollipop". Der Verdacht erhärtete sich - ohne grobe ersichtliche oder erhörende Haken und Ösen nach der langen Spielpause - die Jungs ließen vorher nur zweimal in den USA in ihrer Heimat vor Publikum den Motor auf Höchstdrehzahl laufen - es klappte erfreulich gut, ohne Stottern.
"Lollipop" also, ein Kracher mit einem tonnenschweren Riff der Blues Rock gemeinsten Art, erschütterte den Saal und die Meute vor der Bühne tobte, die FHJ-Abstinenz war ad acta gelegt. Bestimmt die Hälfte der Zuschauer trug die Tour-Shirts der letzten Europatour 2006 und auch normale Band-Shirts - damals sah ich die Jungs im Spirit of 66 in Verviers. Der Funke von der Bühne zündete uns an ohne zu verglühen.
Eric röhrte wie einst und je den Text raus, die Meute gröhlte den Refrain mit (»…Pistol in my pocket…«), Chuck und Steve trieben die Gitarren an und Brad und Phil - bei diesem Lied mit Telecaster und Frankenstein-Fender - schrubbten den Song in den biergeschwängerten Saal.
Apropos Frankenstein-Fender: Phil nennt eine seiner Tourgitarren so. Er erzählte mir, dass die Fender eine indonesische ist, kostete damals in einem Laden in Detroit 100 $, der Hals war Mist, der Rest in Ordnung. Der Hals wurde für ca. 100 $ umgebaut und angepasst und fertig war die Frankenstein und sie klingt monstermäßig gut.
Und nochmal apropos: Apropos röhren, röhrender Slidegitarren Blues Rock ertönte auch bei "Gods Of Demolition", Phil sorgte bei diesem Lied für den schneidenden Slidegroove, Brad ließ die Telecaster leben und wir erlebten, wie die Musik auf und von der Bühne geschuftet wurde - begeisternd. Verrohte und raue Töne am laufenden Band, null Gefrickel, immer in die Gosche.
Im folgenden Anmerkungen zu einigen Nummern, die auf dieser Tour gespielt wurden.
"Fly Back Home" ist auch so ein röhrendes Liedgut aus den Federn der Band, slidigräudig, da kannste nur mit dem Kopf schütteln und das aber kräftig. Im mittleren Geschwindigkeitsbereich erbebten die Festungen der feinen Musik, und am Schluss packte Eric die Harp aus dem kleinen Harpkoffer und legte los, fegte durch die Luftkanäle und du musstest immer mehr mit dem Kopf schütteln, du konntest gar nicht anders… schwindelweich gespielt.
Es gab bei den Konzerten nur kurze Verschnaufpausen, du brauchtest überhaupt keinen Gang aufs Örtchen zu befürchten - du könntest ja was verpassen - weil die eingefahrene Flüssigkeit bei diesem Sound unmittelbar deinen Körper wieder in Form von Schweiß verließ.
"Of Ditch Diggers And Drowning Man" fing mit einem leisen Slideintro an, Eric stieg mit seiner Stimme dahinter ein und dann wurde es gemütlich ohne Schunkeleinheit, Brad und Phil wechselten sich übrigens bei den kurzen und knackigen Soloeinlagen ab, sie verfügten außer den schon beschrieben Gitarren noch über andere: Brad spielte einige Male eine Flying V, Phil eine Les Paul, die übrigens von ihm bei der Ankunft der Band am Flughafen Amsterdam mit einem Defekt vorgefunden wurde - Flughafen Security sei Dank. Die Reparatur klappte aber Dank einiger niederländischer Freunde von Phil noch vor ihrem ersten Auftritt in Tilburg.
»Now you're gonna send for your medicine«, das ist der Mitsing-Refrain von "Mississippi King", einem schweren Nackenbrecher der gemeinsten Sorte Blues Rock. Chuck prügelte seine Jungs unbarmherzig vor sich her, Steve ließ das Plektrum wandern und groovte wie die Sau, Erics Stimme ständig außer Rand und Band, Brad stand wie ein Fels in der Soundbrandung, sein Bewegungsaktionsradius auf das Nötigste beschränkt, die Ruhe vor dem Saitensturm, Druck und Power in der Stimme hatte er auch.
Denn er singt ja bei einigen Stücken nicht nur mit, er wurde einige Male als Solosänger erhört, wie bei der grandiosen psychedelischen Blues Rock-Zugabe "Shine Eyed". Das Lied ist ja auf der "Double Down"-CD schon ein Highlight, aber live… was für ein Brett mit verzerrter Harp von Eric und ausgedehnten Wah Wah-Einschüben und Soli, abwechselnd von Brad und Phil. Chuck gerbte die Felle und Steve beruhigte die Auditorien mit seinen Bassattacken auch nicht. Ich sah nach der Verklungenheit der letzten Töne nicht mehr viel, schweißtreibende vier Konzerte mit einer meiner Leib- und Magenbands und wieder bahnten sich etliche Freudentränen ihren Weg durch mein Gesicht.
Die Mischung aus den oben beschriebenen mittelschnellen und schnellen Stücken stimmte, "The Ballad Of Sister Ruth" oder "Cherry Red" sind von der Sorte kernig, zügig und nicht nackenschonend.
Für mich waren alle vier Konzerte Feste der Volkermusik, Merchandising nahm ich natürlich auch noch mit, Lou begrüßte mich in Roermond schon mit Handschlag, ich kaufte ihm alles ab, was sich noch nicht in meiner FHJ-Sammlung befand. Ein Band T-Shirt, Buttons mit den Aufdrucken einiger CDs, Aufkleber und als neuestes Schmankerl "Fat Black Pussycat" in Vinyl mit schönem Poster.
Die Jungs sind wieder voller Tatendrang, möchten im nächsten Jahr eine neue CD in die Plastikhülle packen und vielleicht gibt es demnächst einige Live-Aufnahmen von dieser Tour von ihrem Auftritt beim Schweden Rock Festival, bei dem sie am 08.06. rockten.
Ich bedanke mich für ereignisreiche Tage und Abende bei Brad, Chuck, Eric, Phil und Steve, bei Lou und Burkhardt sowie bei allen genau so verrückten Fans wie ich einer bin, für die runde Stimmung in den rechteckigen Rockhallen.
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