Hallo Besucher der Rocktimes:
Da ich selbst Mitglied von Flaming Bess bin, fehlt mir der nötige Abstand zum Verfassen einer Rezension. Freundlicherweise hat sich Valacar - Moderator des "Progforum" (Link siehe unten) bereiterklärt, daß wir seine Rezension hier veröffentlichen dürfen.
Achim Wierschem
Sternzeit 1981.2003: Der Mensch hat das All besiedelt, sich gegen alle lebensfeindlichen Umstände (Raumanomalien? Fiese Aliens? Intergalaktischer Fast Food?) durchgesetzt und sich nebenbei zum Beherrscher des Sternensystems aufgeschwungen - und das nicht erst seit gestern. Nun könnte alles so schön sein, hätte er nicht seine Heimat verloren, den sagenumwobenen Planeten ERDE, von dem alleine der Name noch bekannt ist. Klar, dass das so kein Zustand ist. Die Menschheit braucht einen Helden, oder besser noch, eine Heldin! Und wer könnte da wohl besser aushelfen als eine Sternenprinzessin und Bezwingerin von Erzdämonen, die noch dazu umwerfend gut aussieht? Getreu dem Motto "Sage mir woher du kommst, und ich sage dir, wer du bist." - im Falle der Heldenfrage auch wahlweise "Sag mir deinen Namen und ich sag dir wie du heißt." - macht sich unsere Heldin also auf den Weg, der entwurzelten Menschheit ihre alte Heimat wieder zu finden. Und ihr Name war ...
... na wie wohl? 1979 hatte eine dreiköpfige Band von Düsseldorfer Musikern ein Album namens "Tanz der Götter" veröffentlicht und damit durchaus einigen Erfolg gehabt - erntete man doch nach der Erstsendung im WDR-"Rockstudio" die größte Hörerreaktion des Jahres. Dies war nur der Auftakt zu 16 Wochen auf Platz 1 in der "Schlagerrallye", einer damals bedeutenden Hörer-Hitparade und über 40.000 verkauften Exemplaren nach 6 Monaten.
Zwei Jahre später legte man dann ein weiteres Album um die Abenteuer der Sternenprinzessin vor, die auch der Band ihren Namen gab. Das Album sollte "Tanz der Götter" sogar noch übertreffen, was die Verkaufszahlen anging. Der ein oder andere wird inzwischen lange wissen, von wem ich rede - immerhin war die Band zu der Zeit in Deutschland nicht ganz unbekannt, auch wenn sie heute wohl nur noch einem kleinen Kreis von Kennern etwas sagt. Die Rede ist natürlich von Flaming Bess (Überraschung!) und ihrem zweiten musikalischen Abenteuer "Verlorene Welt".
Damit zum Wesentlichen, der Musik. Eingeleitet wird mit "Mythos", das mit Akustikgitarren und einem melodischem Keyboard beginnt, bis sich ein locker groovender Bass und Schlagzeug hinzugesellen. Später setzen dann hammondartige Keys und eine sanft dahinschwebende E-Gitarre ein. Über die Dauer von vier Minuten ändert sich wenig - alles treibt ruhig und gelassen dahin.
In "Aufbruch" hört man dann vor dem Hintergrund von Sphärenklängen und Akustik-Geklimper einen Sprecher, der die oben erzählte Geschichte - freilich mit der gebotenen Gravität und sauber artikuliert - darbietet. Der eigentliche Song ist diesmal etwas flotter als der Opener, mit einer treibenden E-Gitarre, die einen erfrischenden Kontrapunkt zum ruhig gehaltenen Keyboard-Teppich legt, und die anderen Instrumente hier und da sogar zu ein paar Ausbrüchen reizt, die ganz im Gegensatz zur kontemplativen Grundstimmung des Songs stehen. Dann plötzlich - wie aus einer anderen Dimension - Piano und sphärischer Frauengesang. Im Hintergrund Atemgeräusche und Effekte, die direkt aus einem Uralt-PC-Spiel zu stammen scheinen, bevor die E-Gitarre den Hörer wieder rausreißt. Leider nerven ein paar der Percussion-Effekte gegen Ende, die wie Windows-Fehlermeldungen klingen, doch ein wenig und stören den guten Song im Schlussteil etwas.
"Kristallplanet" eröffnet sehr ähnlich, dann setzt der Sprecher wieder ein, der anscheinend versucht, seinen Text möglichst flott runter zu rasseln - und das stört! Man versteht auch nicht besonders gut, was er sagt. Das Ganze ist immer noch sauber artikuliert, passt nur leider nicht in den Soundhintergrund und wirkt unhomogen und seltsam ausdruckslos. An den anderen Stellen des Albums ist das besser gelungen. Dafür strahlt der Song - wie auch schon der Vorgänger - eine simple Schönheit aus. Im Vergleich zu "Tanz der Götter" fällt auf, dass den Gitarren hier mehr Platz eingeräumt wurde - akustisch wie elektrisch. Die Keyboardsounds spielen allerdings weiterhin eine dominante Rolle.
In "Zay" erzählt der Märchenonkel dann in der Flaming Bess typischen klischee-strotzenden, liebenswert-blumigen Sprache von Früchten, die der Heldin die Gabe der Telepathie verleihen. Und plötzlich singen Blumen und Pflanzen - hier mit etwas fremdartig anmutenden Chören vertont. Befremdlich, komisch - und ab einem gewissen Maße nervig, zumal sich musikalisch im Vergleich zu den ersten drei Songs wenig ändert. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich für das Chor-Arrangement ein gewisser Michael Cretu verantwortlich zeigte, der damals in Deutschland noch völlig unbekannt war.
Es blubbert und brodelt im Sumpf eines weiteren Planeten, auf den es Superfrau Flaming Bess verschlägt. Akustisch unterlegt ist die Szene mit pulsierenden und wabernden Keyboards. Der Song markiert meine absolute Lieblingsstelle in der Geschichte, denn hier fällt unsere Prinzessin beinah der (Achtung!) "satanischen Folter der Sumpftelepathen" zum Opfer. Doch da, der Retter naht - Cron Endor der Nomadenprinz auf seinem sechsbeinigen Hykrath (oder so ähnlich). Irgendwie fragt man sich ja schon, was denn aus Strahlemann Arkana seit "Tanz der Götter" geworden ist ... Der Song beginnt eher unspektakulär, setzt mir persönlich etwas zu viel auf Wohlklang, hat aber wieder ein paar sehr coole Keyboardsounds und Gitarren. Gegen Mitte steigert sich das Ganze dann aber mit afrikanischer Percussion, bevor man in den alten Trott zurückfällt und dann wieder der angenehme Frauengesang von spielenden Feen erzählt. Insgesamt dann auch ein netter Song.
"Ballade" ist eine ebensolche und erinnert mich stark an "Solsbury Hill" von Peter Gabriel. Hübsche Rhythmusarbeit, stampfender Bass. Die Akustikgitarren setzen hier ihr eigenes Glanzlicht, dazu wieder der gefällige Gesang.
Im Vorspiel zu "Verlorene Welt" wabern computer-artige Synthesizer vor sich hin, kombiniert mit gregorianischen Mönchsgesängen und modernen Drumbeats (drei Jahre vor Propaganda und zehn Jahre vor Enigma - wie man im Booklet berichtet), Möwengekreisch und Wasserrauschen, bevor ein Cembalo einsetzt. Der Song besticht durch einen etwas anderen Aufbau und eine interessante Arbeit mit Sounds und Keyboards. Mich erinnert es zum Teil, vor allem von der Rhythmusarbeit ein wenig an "Lady Fantasy" von Camel... wenn jetzt noch die ansonsten in den Songs hervorstechende E-Gitarre dabei wäre. Trotzdem, ein gelungener Abschluss des Albums. Thematisch wird die Odyssee der Helden hier zu Ende gebracht - auf einem von Maschinenwesen besetzten Planeten erfahren sie die schreckliche Wahrheit...
Insgesamt gefällt mir "Verlorene Welt" genauso gut wie "Tanz der Götter" - vor allem die akustischen und elektrischen Gitarren sind aus meiner Sicht ein Schritt nach vorn. Für letztere zeichnete sich zu einem großen Teil Achim Wierschem verantwortlich, der ein Jahr später ganz zur Band stieß. Spieltechnisch und vom transparenten Sound (aber natürlich frühe 80er!) her kann ich kaum meckern, bei den Songs hätte man sich untereinander etwas mehr Abwechslung gönnen können: Die ruhigen, teilweise fast schon meditativen Midtempo-Nummern mögen eines der Markenzeichen von Flaming Bess sein, manchmal wünscht man sich aber doch den ein oder anderen Ausbruch, dass man mal aus dem Quark kommt. Weiterhin steigert sich das Album von mal zu mal.
Zur Story brauche ich wohl nichts viel zu sagen - dem geneigten Leser dürfte längst klar sein, was ihn erwartet: Klischees hoch 3, liebenswürdige, etwas überladene Lyrik, ziemlich sinnfreie Handlung - mit anderen Worten: Man muss es einfach lieben, so trashig-humorig (ich behaupte mit voller Absicht der Band!) geht's hier zur Sache. Man nimmt die Klischees von Sci-Fi und Fantasy augenzwinkernd aber herzlich auf die Schippe, und das gefällt mir gut.
Fazit: Alles in allem ein recht hübsches, ja "zauberhaftes" Album, dass aber auch seine Längen hat. Speziell wenn ich auf eine ruhige, musikalische Reise gehen möchte, ist dies eines der besten Alben der 80er, die ich kenne. 2003 wurde es remastered und mit vier Bonustracks, Video und Diashow bei Arkana Multimedia wieder veröffentlicht.
Besetzung:
Hans Wende - Bass, Gitarren, Gesang
Joachim Jansen - Keyboards, Piano
Barry Peeler - Keyboards, Akustik-Gitarren
Hans Schweißig - Schlagzeug, Percussion
Dieter Joswig - Gesang, Percussion, Cello, Effekte
Gastmusiker:
Achim Wierschem - Gitarren
Bruno Blättler - Gitarren
Marlene Krückel - Gesang
Valerie Kohlmetz - Percussion
Wolfgang Emperhoff - Gesang
Herbert Ihle - Gesang
Woh Galach - Erzählung
Michael Cretu - Chor Arrangement auf "Zay"
Spielzeit: 60:00, Medium: CD, Polydor, 1981 (2003)
1:Mythos, 2: Aufbruch 3:Kristallplanet 4:Zay 5:Cron Endor 6:Ballade 7:Verlorne Welt
Markus Wierschem, 21.01.2005
|