Fleet Foxes / 24.11.2008, Huxleys Neue Welt, Berlin
Huxleys Neue Welt
Fleet Foxes
Huxleys Neue Welt, Berlin
24. November 2008
Stil: Neo Folk
Konzertbericht

Artikel vom 28.11.2008


Grit-Marina Müller
Enigmatische Naturwunder bringt die Wiege des Subterranean Pop-Seattle seit geraumer Zeit und in beeindruckender Regelmäßigkeit hervor. Als jüngste Erscheinungsform dieser mirakulösen Entwicklungen lässt sich eine der regional beheimateten Tierwelt dieser schöpferisch gesegneten Metropole zuzurechnenden originären Spezies feststellen. Die Flotten-Füchse durchstreifen seit diesem Sommer den ausnahmslos verblüfften Blätterwald der einschlägigen globalen Musikpresse und durchrauschen feedbackextremistisch die Frequenzen weltweiter Radio-Stationen. Was hat es mit dieser famosen Gattung der dickbauschigen Rotschwänze auf sich?
The Fleet Foxes formieren sich als fünfköpfiges Vokal-Ensemble hippieesker, teils haarig-bärtiger Collegestylisten, kaum overdressed in den augenscheinlichen 'Ragged Wood'-Gewändern ihres gleichnamigen Songs, aufgetaucht aus den Tiefen eines großen, alten, mächtigen Ozeans, auf nostalgischen Surfboards unterwegs, über Wilson'sche Surfwaves hinweg sanft an Land gleitend. Dort angekommen, machen sie sich umgehend auf zum nächstliegenden, strandnahen Gotteshaus, um eine ihrer überirdischen, heiligen Andachten anzustimmen - das viel gerühmte Neo-Folk-Wunder der sangfanatischen Foxes...
Ein eher weltlicher Ort und deutlich strandfern gelegen ist das Huxleys mitten in Berlin. In die 'Neue Welt' strömte am vergangenen Montagabend eine stattliche Fangemeinde fuchsgläubiger Schäfchen und lauschte den tonalen Prophezeiungen des Zauberquintetts aus Seattle. Ihren Hauptstadt-Einstand gaben die Fleet Foxes bereits im Mai dieses Jahres bei ihrem ersten umjubelten Auftritt im kultigen Café Zapata. Dieses Mal hatten sie ihr inzwischen erschienenes gleichnamiges Debüt-Album im Gepäck, das derzeit höchst erfolgreich weltweite Charts-Top-Regionen erforscht. Entsprechend gespannt erwartete das Berliner Publikum seine aufregende Frühlingsbekanntschaft.
Die war jahreszeitlich perfekt vorbereitet und intonierte den nicht zu leugnenden, schlagartigen Wintereinbruch hierzulande erwartungsgemäß mit ihrem pop-meteorologischen Meisterwerk "White Winter Hymnal", Nr. 1-Song dieses Spätsommers in mehreren europäischen Ländern. Seattles gefallene Engel stilisieren ihre vielzitierten 'Baroque Harmonic Pop Jams' in ausgeprägten Soundstudien. Irdische Song-Strukturen nach dem bekannten Strophe-Refrain-Bridge-Muster liegen weit außerhalb fox-maßstäblicher Vorstellungen. Man muss sich klar sein: Nicht all ihre Stücke mögen 'hymnal' heißen, aber diese Füchse produzieren nichts als eigenformatige, erdenferne Hymnen am Fließband!
Klangharmonische Vollkommenheit lautet schlichtweg der absolutistische Anspruch der jungschlauen Anarchisten. Deren Operationsbasis liegt - wie könnte es anders möglich sein - in den visionären Sechzigern mit ihren über die Jahrzehnte konstant unumstößlichen Orientierungsmonumenten des Sixties-Folk/Rock/Pop Brian Wilson and his family, John Phillips and his family, Fairport Convention, Simon & Garfunkel, Buffalo Springfield als einigen der markantesten Vertreter.
Die stärkste und ungemein zielsichere Waffe der Seattler kommt zweifelsfrei durch ihr energetisch kraftgeladenes, polyphones Vokal-Arsenal zum Einsatz, das seine vermeintlichen Opfer in glücklicher Erfüllung mit der emotionalen Wucht von Niagara-Fällen niederringt. Ein seit ewigem Gedenken so simples wie wirkungsvolles und doch rar gewordenes Prinzip: Die Macht der Stimmen.
The Fleet Foxes sind harmoniesüchtige Choralfetischisten, die offenkundig ihre helle Freude daran haben, jeden exemplarischen, dunkelhäutigen Gospelchor kreidebleich vor wahllosen nordamerikanischen Kirchentüren stehen zu lassen.
Ihr Oratorium am Montagabend eröffnet auf genau diese Weise ein strahlendes "Sun It Rises", das jede Lightshow und optischen Schnick-Schnack aller Art vollständig erübrigt. So wie es sich erübrigt, die Live-Performance der einzelnen Stücke differenzieren zu wollen. Nahtlos schweben "Ragged Wood", "English House", "Drops In The River", "Heard Them Stirring", "Mykonos" und "Your Protector" in der sakralen Atmosphäre eigenartiger, an religiöser Erfahrung grenzender Entrücktheit. Die besessenen Naturburschen instrumentieren ihre faszinierende melodiöse Magie mit Mandolinen, Orgeln, Tom Toms, Kotos, Zithern, Gitarren, akustischen, elektrischen. Sie betrachten Landschaften philosophisch, Philosophien märchenhaft. Sie fesseln mit ungekannt fantasievoller Lyrik.
Leading Fox und Mastermind Robin Pecknold führt in seinen Solo-Ausflügen "Tiger Mountain Peasant Song" und "Oliver James" den eindrucksvollen Stecknadeltest vor. Er setzt noch einen Profi-Streich drauf beim komplett unpluggeden "Katie Cruel" inmitten der Frontreihen-Ekstase. Live-Hausaufgaben haben die Twens scheinbar vor langer Zeit erledigt. In ihre "Blue Ridge Mountains" entschwinden die Fleet Foxes während der letzten Zugabe nach einem seltsamen Spektakel, das Irritiertheit, Kopfschütteln, Gerührtsein und tiefen Respekt vor einem kompromisslos eigenwilligen Klangkörper in Zeiten enervierender, hoffnungslos soundüberfluteter Reizkanäle hinterlässt.
Das Huxleys machte seinem schillernden Namen alle Ehre an diesem Frühwinterabend in Berlin. Die fünf Flotten-Füchse divergieren nicht nur namentlich äußerst angenehm vom großen Heer mediokrer Repräsentanten gegenwärtig boomender Sound-Revivals. Sie klingen so neu, anders und frisch wie das kristallklare Quellwasser eines Bergflusses in den Rocky Mountains. Dieser speziell nah liegende, metaphorische Gebirgsvergleich erscheint weitreichend obligat. Denn ihre vokalistische Offenbarung hebt sich in der Tat über die Spitzen höchster Bergmassive hinaus. Endlich mal etwas, das man folktraditionell so noch nie gehört hat und das zudem den beinahe inflationär überstrapazierten Retro-Begriff dieser Tage geradezu segensreich aufwertet.
Etwas müde wirkten die erklärten folkloristischen Weltretter gegen Ende ihrer intelligent professionellen, sympathisch publikumsnahen 80-minütigen Mission, die Drummer Josh Tillman als halbstündiger solistischer Support vorweg mit seiner nicht minder begnadeten Stimme nahezu weihevoll pastoral eingeleitet hatte. Völlig überrascht vom ungeahnten interkontinentalen Erfolg beenden Pecknold & Co. entsprechend eigenem vorletzten MySpace-Kommentar »We're tired but glad« ihre Tour in Berlin mit Robins Verweis: »We have to go home and write new songs.« Eine bescheidene Umschreibung für die tatsächliche Neuerfindung des sprichwörtlichen Rads.
Neben der stimmgewaltigen walisischen Soul-Reinkarnation Duffy dürfen die Washingtoner Fleet Foxes als die musikalische Entdeckung des Jahres gelten!
RockTimes dankt Marita von Trinity Concerts für die problemlose Akkreditierung.
Externe Links: