Erneut ist in diesem Jahr die riesige Halle der O2 World in Berlin restlos ausverkauft und wieder schaffen das Künstler, die seit langem weltweit bekannt und beliebt sind. Bereits nach nur einer Woche sind alle verfügbaren Tickets vergriffen, denn wer will sie nicht noch einmal und vielleicht nun wirklich zum letzten Mal sehen: Fleetwood Mac, eine der großen Kultbands des vergangenen Jahrhunderts, auferstanden wie Phönix aus der Asche und wie sich zeigen wird, in absoluter Top-Form. So ewig lange her, wie es klingt, ist es wirklich. Fünfundzwanzig Jahre sind vergangen, seit ich die Band um Drummer und Gründer Mick Fleetwood letztmals in Berlin gesehen habe - damals, noch vor dem Fall der Mauer, unerreichbar für die Fans hinter dem Vorhang aus Beton und Stacheldraht.
Auch ich war damals bei dem Konzert in der Waldbühne dabei. Die markante Stimme von Stevie Nicks habe ich geliebt und zudem war und ist sie immer noch für mich eine der schönsten Frauen im Musikgeschäft. Deshalb teile ich meine Freude mit tausenden anderer Fans in der Halle darüber, die fast komplett in ihrer besten Besetzung spielende Band mit ihren bekanntesten Hits zu erleben. Leider findet das Gastspiel von Christine McVie, das sie in London gegeben hat, in Berlin nicht erneut statt. Dort hat sie ja bei einem Song mitgewirkt und das soll wahrscheinlich nur beim letzten Gig der Tour wiederholt werden.
Lange lässt sich das Quartett bitten. Die obligatorischen fünfzehn Minuten sind längst überschritten und es macht sich leichter Unmut im Saal breit. Ausgedehnte Pfeifkonzerte sorgen endlich dafür, dass das Licht erlischt, um die Bühne für die Grande Dame, ganz in schwarz mit nicht mehr ganz so blonden Haaren, und ihre drei Mitstreitern freizugeben. Leider scheinen die Techniker an den Spotlight-Kanonen ihren Einsatz zu verpassen. Lindsey Buckingham muss somit den ersten Song "Second Hand News" im Dunkeln beginnen. Als dann John McVie in die dicken Saiten seines Basses greift und dabei nur Brummen und Kreischen aus den Boxen dringt, sträuben sich wohl nicht nur bei mir die Nackenhaare. Zum Glück sind beide Probleme binnen weniger Sekunden behoben und das kommende, fast dreistündige Programm steht voll im Zeichen von Nostalgie, Romantik, spannenden Geschichten und Musik von einer anderen Welt.
Die Stars des heutigen Abends sind ohne Zweifel Nicks und Buckingham. Sie - immer noch bedacht, dass jedes Detail an ihr perfekt sitzt - gibt anfangs die Ruhige und allem Überlegene, während er von Beginn den Ton angibt, sei es mit seinem außergewöhnlichen Gitarrenspiel oder der Art, wie er die komplette Bühne für sich in Anspruch nimmt. John McVie hingegen steht nur im Hintergrund, wird dabei kaum angeleuchtet und hält sich während der gesamten Show extrem zurück. Viel von ihm zu hören, ist ebenfalls nicht drin, denn sein Bass scheint nun so weit heruntergeregelt zu sein, dass er kaum noch bemerkt werden kann. Mick Fleetwood, einer der beiden Namensgeber der Band Fleetwood Mac, versteckt sich trotz seiner enormen Körpergröße erst einmal hinter seinem luxuriösen Drum-Set. Welcher Drummer leistet sich sonst noch vergoldete Beckenständer? Auch er wird noch im weiteren Verlauf des Abends Gelegenheit bekommen, sein Können unter Beweis zu stellen.
Das Konzert steht im Zeichen ihrer populärsten Langspielplatte Rumours, die ihre bekanntesten Hits beinhaltet und nun, nach 35 Jahren, als remasterte CD in den Läden liegt. Sieben von elf Tracks werden daraus gespielt und die Show beginnt gleich mit drei am Stück. Nach "Second Hand News", das sie im Duett singen, folgt "The Chain" für Buckingham und das ruhigere "Dreams" für Nicks. Stevie wirkt dabei etwas abgespannt durch den Stress der über fünfzig vorangegangenen Konzerte. Phasenweise habe ich den Eindruck, dass sie sich zum Singen zwingen muss. Allerdings steigert sie sich später enorm von Song zu Song und es wird einen Teil geben, bei dem sie sogar fast vergisst, dass sie nicht alleine auf der Bühne steht.
Die Band will sich aber nicht nur auf ihrer Vergangenheit ausruhen, sondern möchte beweisen, dass sie das Vorhaben, nun wieder voll aktiv zu sein, teilt. Das kündigt Lindsey Buckingham während seiner nächsten Ansage an. Mit "Sad Angel" steht ein neues Lied auf dem Programm und lässt somit hoffen, dass in Zukunft wieder mehr von Fleetwood Mac zu hören sein wird. Klingt gut, wie ich finde, und knüpft an ihre Glanzzeit an.
Mit "Rhiannon" folgt der erste Gänsehautsong der Show - von Stevie Nicks gesungen wie von einer Göttin. Ihre Stimme ist außergewöhnlich, einmalig und immer noch sehr beeindruckend. Das Farbenspiel der Hintergrundbeleuchtung ergibt dazu ein berauschendes Erlebnis, das mit riesigem Applaus und langem Jubel belohnt wird. Noch immer nimmt sie dieses weitere Lob fast ohne jede Gefühlsregung an und klammert sich an ihren Mikrofonständer, der mit viel Blink-Blink und Tüchern behangen ist.
Lindsey Buckingham übernimmt nun das Zepter und klärt das Publikum über die damalige Zeit auf, als mit dem Doppel-Album "Tusk", ein würdiger Nachfolger für "Rumours", geschaffen werden musste. Leider - wie er erzählt - kam die Platte bei den Kritikern nicht so gut an, wurde ständig verrissen und die Plattenfirma reagierte darüber nicht sehr erfreut. Trotzdem zählt "Tusk" für ihn zu den wichtigsten Werken und, um das zu beweisen, möchte er heute seine Lieblingssongs daraus spielen. Den Anfang macht er mit "Not That Funny", das eben diese Situation von damals darstellt. Nun kann er endlich beweisen, dass die Kritiker im Unrecht waren und das Label falsch reagiert hatte. In gewisser Hinsicht kann ich seine Meinung teilen, denn als "Tusk" erschien, habe ich mir die Scheibe zugelegt, aber so richtig gefallen hatte sie mir nicht. Den Titelsong dieses Albums fand ich sogar schrecklich. Nun, viele Jahre später, hat sich auch mein Geschmack und mein Verständnis für Musik weiterentwickelt. Ich verstehe den Song und liebe ihn bereits seit einigen Jahren. Somit freue ich mich darauf und Lindsey gibt mit seiner Gitarre alles, um meine Freude bis in die höchsten Höhen zu treiben. Er ist einfach grandios und verausgabt sich zum ersten Mal an diesem Abend.
Frisch gestylt und mit neuer Kleidung erscheint Stevie zurück auf der Bühne. "Sisters Of The Moon" und das wunderschöne "Sara" gehören wieder ihr und wie ausgewechselt agiert sie plötzlich. Sie zeigt kleine Tanzeinlagen, kommuniziert mit dem Publikum und dreht das Mikro, um in Richtung ihres Ex-Partners Lindsey zu singen. Er gibt es ihr prompt mit "Big Love" zurück, worin er sich über ihre gescheiterte Beziehung auslässt und geht dabei gesangstechnisch an seine Grenzen.
Es scheint nun ruhiger zu werden. Ein sogenanntes Cocktail-Set wird vor das Schlagzeug von Mick Fleetwood geschoben. Es ist ein kleines Set ohne Bassdrum, dafür mit einem extrem langen Floor-Tom, das ebenfalls mit einem Kick-Pedal bedient wird. Ohne Snare und nur mit kleinen Toms wird das Teil gespielt. Zudem hat Mick die Felle mit Handtüchern abgedeckt und benutzt Bambus-Sticks. Trotzdem kommt ein toller Sound aus dem kleinen Gerät und außerdem hat das Publikum die Möglichkeit, ihn besser zu sehen und zu beobachten. Bevor es allerdings dazu kommen wird, vergeht noch etwa eine Viertelstunde.
Stevie Nicks ist plötzlich der Meinung, ihre Lebensgeschichte erzählen zu müssen. Für die einen hochinteressant und für die anderen, vermutlich des Englischen nicht so mächtigen, eher langweilig, was nach etwas mehr als zehn Minuten erste Pfiffe aus den Rängen mit sich bringt. Im Saal protestieren einige, dass sie endlich wieder singen soll. Auch Mick und Lindsey verstehen plötzlich die Welt nicht mehr. Beide machen inzwischen Faxen hinter ihr, aber sie lässt sich nicht einmal von den lachenden und pfeifenden Zuschauern davon abbringen, unaufhörlich weiter zu reden. Selbst jeder Ansatz ihres Gesangspartners, ihr ins Wort zu fallen, wird von Stevie völlig ignoriert. Sie erzählt munter die Geschichte, wie sie und Buckingham zu Fleetwood Mac gekommen sind und wie schlecht es ihnen damals ging. Dass sie von Plattenfirmen ständig abgelehnt wurden und schon kurz davor waren, aufzugeben. Wie sie die letzten Cents zusammenkratzten, um zur Probe der Band fahren zu können. Wegen mir hätte diese Einlage noch stundenlang so weitergehen können. Gerade als sie ansetzen wollte, um weitere Details aus ihrem Privatleben preiszugeben, wird ihr von ihren Mitstreitern endgültig Redeverbot erteilt und der musikalische Teil nimmt seinen weiteren Verlauf. John McVie wird aus seinem Dämmerschlaf, den er sitzend während der Rede gehalten hat, geweckt und durch die gesetztere Musik im Akustik-Teil, kommt nun auch sein Bass besser zur Geltung.
"Gypsy", "Eyes Of The World" und "Gold Dust Woman" werden wieder im Wechsel von beiden gesungen, wobei Stevie bei ihrem Klassiker "Gypsy" eine schöne Tanzeinlage darbietet. Endlich weckt sie ihre eigenen Emotionen und gestikuliert beim Singen und Tanzen, als sei sie ihrem Körper entrückt, um geistig über den Dingen zu schweben. Es ist neben "Rhiannon" das Beste von ihr, das sie in Berlin zeigt. Selbst der einzige Song aus ihrer Solokarriere, "Stand Back", reicht da nicht ganz heran.
Die beste Nummer des Konzertes liefert anschließend Lindsey Buckingham ab. Nachdem er sich durch alle Gitarren seiner Sammlung gespielt hat, greift er zu dem Modell mit dem härtesten Sound und zeigt, dass die Band auch den Progressive Rock beherrscht. Ich bin erstaunt und verblüfft zugleich, welche Wandlung sich im Song "I'm So Afraid" vollzieht. Nach einem relativ ruhigen Anfang steigert sich Buckingham in einen Rausch hinein. Immer heftiger reißt er im Finger-Picking an seinen Saiten, tobt dabei wie wild über die Bühne, lässt die Fans auf seiner Klampfe spielen und bricht am Ende schweißtriefend und atemlos am Bühnenrand zusammen. Was für ein grandioser Genuss für Augen und Ohren und zudem in einer unvergleichlich langen, ausufernden Version, die alles bisherige in den Schatten stellt. Ich kann mich nicht erinnern, die Band jemals so erlebt zu haben. Das Publikum tobt und gibt zum ersten Mal Standing Ovations. Auch ich verspüre langsam den Drang, mich von meinem Platz zu erheben und in Richtung Bühne, so nah wie möglich an das Geschehen, zu begeben, obwohl ich einen sehr guten Sitzplatz ganz weit vorne habe. Während "Go Your Own Way", was für mich wie eine Aufforderung klingt und der letzte Song im Hauptprogramm ist, dränge ich nach vorne und stehe jetzt direkt vor Lindsey Buckingham.
Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber es sind mindestens zwei Stunden vergangen, als der Hauptteil beendet ist. Zwei Zugabenblöcke sind angesetzt und diese sind wieder mit ganz alten Songs gespickt. Block eins geht mit "World Turning" und "Don't Stop" noch einmal heftig zur Sache, bevor im zweiten Teil der Zugaben Mick Fleetwood seinen Solo-Part bekommt. Natürlich ein Drum-Solo mit Erklärung. Mit Hilfe eines Head-Sets redet Mick nicht nur mit sich selbst, sondern auch noch mit seinen Drums und natürlich dem Publikum. Dass er dabei nicht so redegewandt ist wie seine Frontleute, mag man ihm verzeihen. Seine Qualitäten liegen halt auf anderen Ebenen, weshalb seine Gastspiele in diversen Kinofilmen auch nicht so zu Bedeutung gelangt sind. Währenddessen ist Stevie erneut hinter der Bühne, um sich ein letztes Mal für diesen Abend aufhübschen zu lassen. Lindsey hat es sich lässig auf dem Bühnenboden gemütlich gemacht, um die Einlage seines Kollegen in Ruhe betrachten zu können.
Der letzte Song gehört dann noch einmal dem Duo Buckingham/Nicks. So, wie sie vor vielen Jahrzehnten angefangen haben, endet auch der heutige Tag, als Partner im Duett "Say Goodbye". Mucksmäuschenstill ist es dabei im Saal. Andächtig lauscht das Publikum dem a capella gesungenen Lied, bevor die beiden unter tosendem Applaus in die Dunkelheit entschwinden. Abschließend kommt Mick Fleetwood noch einmal zurück, um sich zu bedanken und sich zu verabschieden, sowie daran zu erinnern, dass es neben der Band noch einige Gastmusiker gibt, die ihre Arbeit vollständig im Hintergrund absolviert haben. Da wären zwei Chorsängerinnen, ein Keyboarder und, für mich nicht im Blickfeld, ein weiterer Gitarrist, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Songs so rübergekommen sind, wie sie wohl jeder in Erinnerung hat.
Vielen Dank an Janine Lerch und an das Concertbuero-Zahlmann für die Akkreditierung.
Line-up:
Stevie Nicks (vocals, keyboards)
Lindsey Buckingham (vocals, guitar)
John McVie (bass)
Mick Fleetwood (drums)
Setlist Fleetwood Mac:
01:Second Hand News
02:The Chain
03:Dreams
04:Sad Angel
05:Rhiannon
06:Not That Funny
07:Tusk
08:Sister Of The Moon
09:Sara
10:Big Love
11:Landslide
12:Never Going Back Again
13:Without You
14:Gypsy
15:Eyes Of The World
16:Gold Dust Woman
17:I'm So Afraid
18:Stand Back
19:Go Your Own Way
Encore 1:
01:World Tuning
02:Don't Stop
Encore 2:
01:Silver Springs
02:Say Goodbye
Externe Links:
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