Fleetwood Mac / Live In Boston
Live In Boston Vol.1   Live In Boston Vol.2   Live In Boston Vol.3
Es gibt in der Geschichte der Rockmusik wohl nur eine einzige Band, die seit 38 Jahren unter dem gleichen Namen existiert, sich aber musikalisch zwischen der Anfangs- und Endphase überhaupt nicht vergleichen lässt. Klingt kompliziert, ist es aber nicht.
Im Jahr 1976 nahmen Christine McVie (key,voc), Stevie Nicks (voc) und Lindsey Buckingham (guitar) einen Longplayer auf, der wie eine Bombe einschlug und die zahlreichen Charts all over the world im Sturm eroberte. "Rumours", so der Titel des Albums, katapultierte Fleetwood Mac an die Spitze der Rockgiganten, wo sie sich bis heute noch tummeln, obwohl es nur noch ganz sporadisch und in großen Zeitabständen ein Lebenszeichen der Band zu hören gibt. Trotzdem wird jedes neue Werk weltweit bejubelt und anerkannt. Eine Tatsache, die ich persönlich nicht nachvollziehen kann, da alles was nach "Rumours" produziert wurde, für mich wie ganz durchschnittlicher Mainstream klingt, an dem absolut nichts besonderes ist. (Sorry, die ganz persönliche Meinung des Rezensenten!). Soviel zum zweiten Teil von Fleetwood Mac.
Kommen wir nun zu den Anfangstagen der Band, die lange nicht so einträglich waren, dafür aber musikalisch sehr viel mehr zu bieten hatten. 1967 gründeten Mick Fleetwood (drums) und John MacVie (bass), (beide sind bis heute noch mit dabei), zusammen mit Peter Green (guitar,voc) und Jeremy Spencer (guitar,voc) die Ur-Band Fleetwood Mac, die sich ganz eng an die schwarzen Vorbilder der Bluesmusik hielten und zahlreiche Titel von Elmore James, Memphis Slim und B.B. King zum Besten gaben. Dabei wurde die Gitarrenarbeit fast unverändert übernommen. Mit Titeln wie "Albatross", "Black Magic Woman" (später ein Riesenhit von Santana) und "Oh Well" spielte sich die Band aber sehr schnell frei und entwickelte ihren ganz eigenen Stil.
Als 1968 Danny Kirwan (guitar,voc) zu den Bluesliebhabern hinzustieß, konnte man auf der Bühne noch vielfältiger improvisieren. Im gleichen Jahr erfüllte sich Fleetwood Mac einen Traum und ging mit dem amerikanischen Bluesinterpreten Eddie Boyd ins Studio, wo die Doppel LP "Blues Jam At Chess" entstand. Es folgten weitere Aufnahmen mit Willie Dixon, Walter Horton und Otis Spann. Die Gruppe hatte sich in Amerikas Bluesszene endgültig etabliert.
Im Februar 1970 spielten Fleetwood Mac an drei Abenden hintereinander auf der 'Boston Tea Party'. Glücklicherweise wurden die Konzerte mitgeschnitten, denn nur wenige Wochen später verließ Peter Green die Band völlig überraschend.
Die drei CDs bringen über 3,5 Stunden die ganze Klasse von Fleetwood Mac zu Tage. Glasklare Gitarrenklänge von Green und sein Zusammenspiel mit den beiden anderen Axemen sind ein ums andere Mal zu hören. Überall ist Platz für lang ausgedehnte Improvisationen. Das sieht man schon an der Länge einzelner Tracks. Da stehen die beiden Fassungen von "Rattlesnake Shake" mit 24:38 und 25:36 Minuten ganz vorn, gefolgt von "The Green Manalishi" (12:52) und "Encore Jam" (13:25). Keine Frage, dass diese Long Versions zu den absoluten Höhepunkten zu zählen sind. Da geht die Post ab, vor allem, wenn man die Zeit hat, sich richtig und in voller Länge auf diese Songs zu konzentrieren.
Die Setlist auf allen drei CDs wechselt stetig zwischen klassischen Bluesstücken mit sehr einfühlsamen Gitarrenparts und losgehenden Boogie und Rock'n'Roll Titeln. Auch der ständig wechselnde Leadgesang zwischen der ruhigen, tiefen Stimme Greens und dem wesentlich höheren Organ von Danny Kirwan sorgt für reichlich Abwechslung.
Weiterhin positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass es bis auf die o.a. zwei Fassungen von "Rattlesnake Shake" keinerlei Wiederholungen in der Songauswahl gibt. Hier wurde wirklich eine besondere Sorgfalt an den Tag gelegt.
CD 1 beginnt relativ ruhig und getragen mit "Black Magic Woman" und dem Blues "Jumping At Shadows" vom leider viel zu früh verstorbenen Duster Bennett. Danach kommt richtig Tempo auf. Minutenlang duellieren sich die Gitarren bei "Like It This Way". Es folgt mit "Only You" eine Reminiszenz an den 60iger Beat. Der Rest dieses Rundlings ist mit den beiden XXL Fassungen von "Rattlesnake Shake" und "The Green Manalishi" belegt, unterbrochen von "I Can't Hold On" und "Got To Move" aus der Feder von Elmore James. Alles virtuos vorgetragen und voller Energie und Feeling. Da wäre ich sehr gern dabei gewesen.
Der zweite Silberling wird von dem gefühlvollen Instrumental "World In Harmony" eröffnet, gefolgt vom genialen "Oh Well Part 1", dass dem Hörer 3 Minuten Brachialgewalt antut. Nachdem die zweite Psychedelic Schlacht "Rattlesnake Shake" geschlagen ist, kommt erneut Elmore James ins Spiel. "Stranger Blues" geht mit viel Tempo ab, und bei "Red Hot Mama" grooven die Slidetöne in den Gedärmen. Da gibt es auch im häuslichen Sessel kein ruhiges Sitzen mehr. Dann wieder der jähe Abbruch. "Teenage Darling" von Jeremy Spencer hätte wohl auch jeder Gesangsgruppe aus dem Stall von Motown gut zu Gesicht gestanden. Hier lassen schon fast die Platters grüßen.
Blanker Rock'n'Roll ist bei "Keep A Knocking" und "Jenny Jenny" angesagt. Der Fleetwood Mac Dampfer hat wieder Fahrt aufgenommen. Wer jetzt nach dieser Zeit die ersten fünf bis sechs Pils verhaftet hat, ist nicht mehr zu halten. Das ändert sich auch bei "Encore Jam" nicht, bei dem die nächsten Duelle an den sechs Saiten anstehen.
Beim Einlegen der dritten Scheibe bemerke ich plötzlich, dass es doch noch zwei weitere Überschneidungen im Set gibt. Aber das macht gar nichts, denn die Fassungen von "Jumping At Shadows" und "Got To Move" sind bisher unveröffentlicht und runden das Gesamtwerk einfach nur ab. Auf dieser CD stehen etwas kürzere Titel im Vordergrund (alles relativ: immerhin zwischen 2:57 und 10:30 Minuten!). Es dominieren die schnelleren Songs. Das Ganze endet mit zwei Rock'n'Roll Standards ("Tutti Frutti" und "Great Balls Of Fire") und der "On We Jam", bei der die Gitarristen noch ein letztes Mal die Saiten quälen, dass es nur so kracht.
Diese CDs sind keine normalen Mitschnitte, sie sind ein Erlebnis für jeden Anhänger des Blues und Bluesrock der 60iger Jahre. Ganz stark auch die Tonqualität dieser remasterten Aufnahmen. Wer diese Scheiben im Regal hat, besitzt meiner Meinung nach ein Juwel aus der History der Rockmusik und somit ein wertvolles Dokument des Britischen Bluesbooms aus dieser längst vergangenen Zeit.


Spielzeit: 213:06 Minuten, Medium: CD, Snapper Music 1999
CD1 1:Black Magic Woman (6:45) 2:Jumping At Shadows (4:48) 3:Like It This Way (4:28) 4:Only You (4:23) 5:Rattlesnake Shake (24:38) 6:I Can't Hold Out (6:35) 7:Got To Move (3:25) 8:The Green Manalishi (12:52)
CD2 1:World In Harmony (4:10) 2:Oh Well (3:12) 3:Rattlesnake Shake (25:36) 4:Stranger Blues (3:55) 5:Red Hot Mama (4:03) 6:Teenage Darling (4:16) 7:Keep A Knocking (4:56) 8:Jenny Jenny (7:40) 9:Encore Jam (13:25)
CD3 1:Jumping At Shadows (4:17) 2.Sandy Mary (5:21) 3:If You Let Me Love You (10,30) 4:Loving Kind (2:57) 5:Coming Your Way (7:06) 6:Madison Blues (4:49) 7:Got To Move (3:56) 8:The Sun Is Shining (3:11) 9:Oh Baby (4:26) 10:Tiger (3:44) 11:Great Balls Of Fire (3:16) 12:Tutti Frutti (6:45) 13:On We Jam (7:56)
Jürgen Bauerochse, 01.09.2005