Als sich Ende der Sechziger das Spektrum der populären Musik mit der Gründung von Blood, Sweat & Tears durch Al Kooper beträchtlich erweiterte, war Columbia Records an vorderster Front, all diese Talente einzusammeln. Natürlich BS&T selbst, die dann ohne Kooper, dafür mit dem hervorragenden Vokalisten David Clayton Thomas zu Weltruhm gelangten.
Die für Artist & Repertoire zuständigen, oftmals jungen und euphorisch ohne Scheuklappen durch die Musiklandschaft wandernden Mitarbeiter erfassten kognitiv, wann sie etwas Hochkarätiges an der Angel hatten. Es verwundert kaum, dass diese Firma kurz darauf zwei talentierte Bands in ähnlicher Ausrichtung zu BS&T unter Vertrag genommen haben: 1968 war es Chicago [Transit Authority] und im Frühjahr 1969 auch The Flock.
Diese Truppe hatte sicherlich nicht das Hit-Potenzial ihrer beiden unmittelbaren Konkurrenten, konnte aber eine Mixtur aus Jazz, Rock, Blues gepaart mit folkloristischen Mustern bieten, die sich ungewöhnlicherweise durch die elektrische Violine des klassisch geschulten Jerry Goodman von anderen abheben konnte.
So überzeugt die fast fünf Minuten lange Einleitung ("Introduction") mit einer Intensität der Violine - nur von einer zaghaften elektrischen Gitarre begleitet - die eher, zumindest zum großen Teil, an eine Violinsonate russischer Machart etwa eines Dimitri Schostakovich oder Sergeij Prokoffiev erinnert. Chapeau!
Die mitreissende Basslinie, die dann "Clown" einleitet, bereitet den Hörer auf eine Reise in jazzige Strukturen vor, mit einem satten Sound der Gitarre (der auf der gesamten Platte evident ist) und ebensolchen Bläsereinsätzen, mit im Mittelteil gelungenen Soli des Blechs. Sicher artverwandter zu BS&T, als zu den mehr kompromissbereiteren Hornsounds von Chicago.
Im Kontext der Scheibe steht "I Am The Tall Tree" als reine Fusion etwas abseits, jedoch kann das Remake des Kinks-Klassikers "Tired Of Waiting For You" voll überzeugen. Die hektische Violineinleitung kommt richtig gut, aber auch der gesamte Funk aus Rhythmus und punktgenauen Einsätzen der Bläser lässt diese Bearbeitung ganz oben auf der Liste der Coverversionen erscheinen. Damit gelang sogar ein Charterfolg, was mit der Musik der Band eigentlich schwer in Einklang zu bringen war. Erfolg sollte sich nicht auf dem Single-, sondern dem damals als Massenmedium noch neuen LP-Markt einstellen.
Die zweite Seite der LP wurde mit dem betörenden Mix aus den oben genannten Stilen eingeläutet, scharfes Blech, ruhige Phasen mit oszillierenden Gitarren, über denen wieder dieser tolle und für diese Platte so typische Klang der Stromgitarre liegt. Eine Fender ist das nie und nimmer!
Das folgende, über 15 Minuten lange "Truth" kann man getrost als das musikalische Statement von The Flock in jenem Sommer 1969 ansehen und zeigt die Klasse der jungen Musiker. Es fließt, es kreischt, es bringt einen wieder in ruhigere Gefilde... diese Melange aus feinstem Jazz Rock macht einfach an. Ein Ausbruch an Kreativität, der stellvertretend für den US-Sound des Genres steht. Denn die Klangvorstellungen lassen sich von den auf der selben musikalischen Wiese grasenden europäischen Bands doch deutlich unterscheiden, nicht nur wegen Goodmans Violine.
In den Bluesstrukturen waren auf dem alten Kontinent Colosseum noch eventuell vergleichbar. Aber nicht mehr bei dem Mix, der sicherlich auch durch das klassische Instrument Assoziationen zur Musik ungarischer Herkunft des 19. Jahrhunderts beinhaltete. Die Spielsicherheit der Jungs von The Flock war jeder Konkurrenz gewachsen.
Die Linernotes des Originalalbums stammen von John Mayall, der da ziemlich enthusiastisch davon spricht, »die beste amerikanische Band« gehört zu haben. Zu dem Zeitpunkt 1969 war er selbst ja nicht mehr in reinen Blues-, sondern auch in vergleichbaren Musiksphären unterwegs. Seine Aussage ist zwar sympathisch, aber nicht wirklich belastbar, gerade im Nachhinein nicht. Aber, was soll's.
Seltsamerweise gilt die positive Einschätzung nur für diese erste Platte von lediglich zwei Veröffentlichungen. Der Nachfolger "Dinosaur Swamps" von 1970 klang schon bei weitem nicht mehr so akzentuiert, fast so, als sei mit dem Debüt die Magie verloren gegangen. Das ist aber auch in den Kompromissen zu finden, die von Columbia Records gefordert wurden. Denn da war man innerhalb nur eines Jahres von den beiden Konkurrenten aus dem eigenen Haus ganz andere Verkaufszahlen gewohnt. Und die Flock konnten keinen massentauglichen Sound finden, dazu war das Konzept zu wenig kompromissbereit.
Damit hat man als Vermächtnis dieser Band aus Chicago nur die erste Scheibe, die für erstklassige Fusion aus Jazz und Rock stand und auch im neuen Jahrtausend noch steht. Sicherlich nichts, was man mal so nebenbei auflegt, aber wenn gerade eine gewisse Stimmung nach solcher Musik schreit, ist sie neben den jeweils zweiten Platten von Blood, Sweat & Tears, Chicago, Colosseum und der Keef Hartley Band dann gerngesehener Gast im Player!
Mittlerweile gibt es die CD nicht mehr als Einzelausgabe, sondern nur noch gekoppelt mit der doch nur flauen zweiten Platte, womit sich auch der Preis hochschraubt. Die rechtlichen Nachfolger von Columbia Records wissen wohl, wie man Geld verdient. Der Schuss kann bzw. wird aber wegen der Unattraktivität des gekoppelten Werks zum höheren Preis hach hinten losgehen. Schade eigentlich.
Tracklist |
01:Introduction (4:50)
02:Clown (7:42)
03:I Am The Tall Tree (5:37)
04:Tired Of Waiting (4:35)
05:Store Bought - Store Thought (7:00)
06:Truth (15:25)
|
|
Externer Link:
|