Nothing To Lose - Nichts zu verlieren
Einspruch!
Worum geht's?
Nun, der 1973 in Reading, Pennsylvania geborene Richie Kotzen hat tatsächlich in seiner bisherigen Karriere wenig gewonnen.
Für seinen Namen kann er natürlich nix, führt schließlich auch nur in deutschsprachigen Gegenden zu diversen Jux-Wortspielen.
Mit 5 Jahren erlernte er das Klavierspielen und sattelte mit 7 auf die Gitarre um. Inspiriert wurde er dabei nach eigenen Angaben von einem Kiss-Poster (Quelle: www.laut.de), seine musikalischen Ergüsse tendierten dagegen mehr in Richtung damaliger Gitarrengötter wie Yngwie Malmsteen, Steve Vai oder Joe Satriani und kulminierten 1989 in sein selbstbetiteltes Debütalbum.
Das Problem war nur, dass seinerzeit die Uhr für die Tonleiter-rauf-und-runter-Flitzer abgelaufen war, denn 'Grunge' stand vor der Tür und walzte in den folgenden Jahren kommerziell alles nieder, was irgendwie mit Rockmusik bzw. gitarrendominierter Musik zu tun hatte.
Künstlerpech, und so stieg Richie nach zwei weiteren erfolglosen Alben unter eigenem Namen bei der ehemaligen Hairspray-Poserrock-Combo Poison ein, deren Uhr in Anbetracht der grassierenden Grungewelle allerdings genauso abgelaufen war. Zudem spielte Kotzen für den Simpelrock Poison's viel zu kompliziert, so dass er bereits nach einem Album wieder vor die Tür gesetzt wurde.
Also machte er als Soloartist weiter und konnte sich zumindest in dem Hardrockexil-Land überhaupt, nämlich Japan, einen Namen machen.
Genau hier feierte auch eine andere Ex-Erfolgshardrockcombo so eine Art Wiederauferstehung. Die Rede ist von Mr. Big, die auch in Deutschland 1992 mit "Be With You" einen Chartbreaker zu verzeichnen hatten, den sie allerdings nie mehr auch nur annähend wiederholen konnten.
Und wie der Zufall es so will, stieg deren Gitarrist Paul Gilbert Ende des letzten Jahrtausends aus, um musikalisch vielfältigere Wege beschreiten zu können.
Da war es durchaus naheliegend, dass der in Japan bekannte Richie Kotzen bei Mr. Big einstieg und bis 2001 an zwei Alben beteiligt war, die allerdings die Musikwelt auch nicht aus den Angeln hoben. Und so war nach einer großen Asientour Schluss.
Richie Kotzen machte wieder einmal solo weiter und brachte seitdem sage und schreibe fünf(!) Alben heraus, auf denen er sich mehr und mehr auch als Sänger profilierte. Doch irgendwie verfolgte er keine einheitliche, schlüssige musikalische Richtung und niemand interessierte sich für diese Scheiben.
Und nun das nächste Kapitel: Nichts zu verlieren = "Nothing to lose"
Zusammen mit zwei ausgesprochen wild aussehenden, tätowierten Punktypen (ARI Baron am Tieftöner und THR3E, what a name, am Schlagwerk) und einem aus Tokio stammenden (ist irgendwie schlüssig!) zweiten Gitarristen (TAKA Tamada) ist Richie Kotzen jetzt mit der in der Clubszene L.A.'s beheimateten Formation Forty Deuce unterwegs und frönt dem straight-ahead Rock'n'Roll, schnörkellos, kompromisslos, ohne Gimmicks, ohne Netz und doppelten Boden.
Es geht beherzt zur Sache, die Rhythmusgitarre rifft aggressiv vor sich hin und bereitet den Boden für einige solistische Ausflüge Richie Kotzen's, dessen Spiel im Vergleich zu früheren Werken ausgesprochen kompakt und ökonomisch ausfällt.
Es werden 'crunchy aggressiv hooks with sophisticated melodies' (Pressemitteilung) geboten, was durchaus den Kern trifft. Denn die Band weiß mit stürmischer, relativ modern klingender Spielweise zu begeistern, was bedeutet, dass sich klassische Rockmuster, die manchmal an die besseren Zeiten von Van Halen gemahnen (ohne Keyboards und Hampelmann David Lee Roth), mit punkiger Rockattitüde kreuzen. Und das Ganze wird erfreulicherweise dadurch aufgewertet, dass die melodischen Einfälle tatsächlich nicht zu kurz kommen.
Das führt bei mir manchmal zur grotesk scheinenden Assoziation, dass ich an das immens erfolgreiche US-amerikanische (Rock)Girlie Avril Lavigne denken muss, nur dass hier deutlich verschärfter zur Sache gegangen wird.
Für den großen kommerziellen Erfolg vermutlich zu heftig. Und wohl auch wieder zu altbacken, denn wirklicher Crossover, Alternative Rock oder Nu-Metal wird nicht zu Gehör gebracht.
Da nützen dann die eher im Midtempo Bereich gehaltenen letzten drei Titel auch nichts mehr, die durchaus poppige Tunes zu bieten haben und damit entsprechend radiofreundlich ausgefallen sind. "Wanted" erinnert gar stark an bereits erwähnte Mr. Big.
Ansonsten erinnert mich das erstaunlich kraftvolle, engagierte Shouting von Richie Kotzen (auch hier hat er sich merklich weiterentwickelt) irgendwie an jemanden, den mensch eher von früher kennt. Wenn ich nur wüsste an wen.
Spontan kommt mir beispielsweise Sammy Hagar in den Sinn, ein direkter (Hör)Vergleich ist aber leider kaum möglich.
Nanu, wie das?
Ganz einfach, leider bemüht sich diese Scheibe, nicht nur (rock)musikalisch einigermaßen modern zu klingen, sondern auch die (klangliche) Produktion.
Und diese ist, das muss an dieser Stelle einfach mal so hart gesagt werden, schlichtweg unterirdisch!
Ich persönlich bin nicht bereit den Trend mitzugehen, dass sich aktuelle (rock)musikalische CD-Produktionen am inzwischen mainstreamigen Mp3-Sound orientieren.
Denn das bedeutet, dass diese CD's im Autoplayer, im CD-Walkman, im Schlafzimmer-Henkelmann für arme Leute oder im Kontext der 300,00 Euro-alles-drin-alles-dran-Multikanal-Heimkino-Heimdisco-Komplettanlage durchaus identifizierbare Klänge von sich geben; auf einer HiFi-Anlage im eigentlichen Sinne gehört, aber einen gnadenlos unmusikalischen, kalten, sterilen Sound offenbaren, der total ohne jede Raumstaffelung daherkommt und daher völlig komprimiert und flach klingt.
In dieser Hinsicht konkurriert "Nothing To Lose" auf gleicher Augenhöhe mit dem letztjährigen "Contraband"-Album von Velvet Revolver, welches klangtechnisch bisher in meiner Sammlung den absoluten Negativrekord inne hat. Da kommen selbst alte Mono-Aufnahmen aus den 50ern räumlich differenzierter rüber!
Aber das scheint die Masse des interessierten Publikums nicht die Bohne zu scheren, denn "Contraband" verkaufte sich fantastisch und ist musikalisch übrigens von "Nothing To Lose" auch nicht unbedingt meilenweit entfernt. Letzterem fehlen eigentlich nur die Verweise auf Guns'n'Roses.
Also räume ich dem neuesten Projekt von Richie Kotzen doch kommerzielle Chancen ein, was aber vermutlich an der fehlenden Vermarktung scheitern wird.
Ein gemeinsames Projekt ehemaliger Guns'n'Roses Mitglieder lässt sich da einfach besser vermarkten.
Und von mir kann (leider!) keine (Anschaffungs)Empfehlung erfolgen, denn ich höre im heimischen Wohnzimmer nur ein einziges metallisch klirrendes Geschepper, und das kann bei Preisen zwischen 16,00 und 18,00 Euro für eine neue Original-CD nicht im Sinne des Erfinders sein. So wird dieses Medium endgültig beerdigt.
Also gibt es doch etwas zu verlieren!
Spielzeit: 40:13, Medium: CD, Frontiers Records, 2005
1:Intro 2:Oh My Good (I Fucked Up Again) 3:I Still 4:Start It Up 5:Complicated 6:Say 7:Heaven 8:Stand Up 9:Next To Me 10:Standing In The Rain 11:Wanted 12:Nothing To Lose
Includes bonus multimedia track (Promotionclip!)
Olaf "Olli" Oetken, 23.08.2005
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