Fromuz / Audio Diplomacy
Audio Diplomacy Spielzeit: 74:43 (CD), 90:00 (DVD)
Medium: CD & DVD
Label: 10t Records, 2007
Stil: Fusion

Review vom 27.03.2007


Ingolf Schmock
Langsam scheint es ja richtig in Mode zu geraten, exotische Produktionen aus dem weiten Feld des progressiven Musikbereichs in den internationalen Markt zu katapultieren, und damit um die Gunst der Konsumenten zu buhlen.
Bisher war für mich Taschkent einfach nur die Hauptstadt Usbekistans, nördlich der großen Seidenstraße an der Grenze zu Kasachstan gelegen, und früher der autonomen sozialistischen Sowjetrepublik zugehörig.
Dieser Tage flatterte ein Tonträger auf meinen Schreibtisch, der mich eines Besseren belehren sollte, nämlich dass in diesem mittlerweile unabhängigen Staat außer folkloristischer Musiktradition durchaus auch feinster Progressivrock gedeihen vermag.
So geschieht es, dass nun ein hörbar gut ausgebildetes bzw. inspiriertes Quartett (neuerdings Quintett) namens Fromuz (uz = Usbekistan) dank eines kleinen rührigen Plattenlabels und eines Vertriebes, ihr Debüt auch europaweit unters Musik konsumierende Volk streut.
Und das gleich im Doppelpack als identische Audio-CD und DVD, wobei es sich bei letzterer um die schon einmal vor zwei Jahren in Kleinstauflage veröffentlichte "Playing The Imitation(of Life)"-DVD handelt, welche eine Liveperformance von Fromuz vom April 2005 im usbekischen Jugendtheater dokumentiert.
Was die seit 2004 zusammen musizierenden Akteure Vitaly Popeloff (Gitarre), Albert Khalmurzayev (Tasteninstrumente, Samples), Andrew Mara-Novik (Bass) und Vladimir Badirov am Schlagzeug, dann abliefern, bietet viel Raum für Unvorhergesehenes, Improvisatorisches, ist aber dennoch musikalisch klar strukturiert.
Die komplexen bzw. recht mit Technik angereicherten Tracks geben sich streckenweise bedingt sperrig, verwässert und widerspenstig, vereinen aber viele gegensätzliche Attribute zu diesem äußerst kunstvoll arrangierten Hörwerk.
Das Intro bewirkt sicherlich zunächst Irritationen beim Konsumenten, der sich erst mit extrem elektronischen Popspielchen konfrontiert, dann aber doch schnell mit instrumental intoniertem symphonischen Jazzrock befriedigt fühlt. Die Rhythmusgruppe liefert zu flächigen Keyboardmotiven einen groovenden komplexen und vitalen Grundtenor.
Vladimir Badirov, der schon mit "Greetings From Nostradamus" ein innovatives Soloalbum beim kanadischen Label Unicorn Records ablieferte, bringt dabei ein ungewöhnliches Arsenal an Perkussion bzw. Rhythmusinstrumenten zum Einsatz, wie beispielsweise eine tönende, mit Flüssigkeit gefüllte Tonschüssel.
Die elegischen Gitarrensoli werden perse extravagant unter Mithilfe modernen technischen Know-hows gern elektronisch verfremdet.
Die manchmal schon ziemlich unlogisch anmutenden Kompositionen entfachen eine nahezu konfuse Stilkombination, was zunächst auch sehr gewöhnungsbedürftig sein kann. So schwenken einige völlig im harmonischen Einklang stehende Melodieabfolgen in sanfte Blues-Gefilde, um wiederum letztendlich ein ausgeklügeltes Freejazz-Inferno heraufzubeschwören ("From Fromuz").
Auf der anderen Seite beweisen sich der Tasten- und Saitenvirtuose beim musikalischen Machtkampf, und lassen geradezu abstruse sphärische Soundgebilde gebären ("Familiarization Results").
Ein Kritikpunkt bei der gesamten Produktion ist das dominante Keyboardspiel von Herrn Khalmurzayev, der die bizarren bzw. interessanten Arrangements dadurch oftmals aufbricht und sozusagen totspielt.
Fromuz leben auf ihrem Album eine sehr vielschichtige Jamsession aus, deren Genuss durch einige Längen und teils eloquente Tastenvariationen etwas eingeschränkt wird.
Ein Problemfall ist dabei auch, dass es sich bei den acht überlangen Kompositionen um keine wirklich echten Songs handelt, um partout Emotionen bzw. ein entsprechendes Gefühl zu schüren.
Dennoch zeigt dieses liebevoll durcharrangierte Stück Musik den Variantenreichtum und die Detailverliebtheit der Usbeken auf. Die vier Protagonisten schaffen es meisterlich, den Spagat zwischen Progressivität und Eingängigkeit zu bewältigen.
Letztendlich wirkt das Gesamtkonzept wie eine aus den Fugen geratene und durch den elektronischen Mixer gedrehte Tanznummer, die von einer durchgeknallten Avantgarde-Zirkuskapelle vorgetragen, sich durchaus auch als surrealer Filmsoundtrack anbieten könnte.
Insgesamt ist es eine wahnsinnig abwechslungsreiche Kollektion mit einer breiten Stimmungspalette, die aus sterilem Kunstschul-Electro, Progressivem, Jazzigem, New-wavigem bis hin zu Humorvollem und Relaxtem reicht.
Dieser instrumentale Cocktail, vorgetragen von äußerst kompetenten Musikern, dürfte zumindest die Gemüter bzw. Verehrer von King Crimson, Klangmeister Mike Oldfield und Sound-Tüftlern wie Robert Fripp und Konsorten anrühren.
Von der technischen Seite begutachtet ist dieses Teil durchaus meisterlich, könnte sich aber meiner Ansicht nach, etwas druckvoller und voluminöser präsentieren.
Das beiliegende audiovisuelle Dokument, das um zwei Bonustracks bereichert wird, wirkt nicht unbedingt wie ein mit Publikum dargebotenes Konzert, sondern wurde sehr künstlich und klinisch in Szene gesetzt.
Das Ganze wurde dennoch recht professionell produziert und geschnitten, für Augen und Ohren gibt es nur höchste Qualität geboten.
Hierbei wird kunstvoll mit bilddramatischen Kameraperspektiven gearbeitet und jongliert.
Für alle rockmusikinteressierte Konsumenten, die sich in ihren Hörgewohnheiten nicht gern eingrenzen lassen, würde ich grundsätzlich eine Kaufempfehlung aussprechen, denn eine Band wie diese findet man nämlich nicht alle Tage.
Wäre abschließend nur noch auf das wunderschöne Artwork der Scheibe hinzuweisen, das von Ken Westphal (u.a. Covergestalter bei Proto-Kaw) gestaltet wurde.
Tracklist
CD:
01:Intro
02:From Fromuz
03:Wax Inhabitants Town
04:Gameplay Imitation
05:Spare Wheel
06:Familiarization Results
07:Harry Heller Theater
08:Babylon Dreams
DVD:
01:Intro
02:From Fromuz
03:Wax Inhabitants Town
04:Gameplay Imitation
05:Spare Wheel
06:Familiarization Results
07:Harry Heller Theater
08:Babylon Dreams
09:Remark # 12
10:Dual Ad Libitum
Externe Links: