Ob es sich nun um Langeweile und/oder Frust von Jem Godfrey handelt, wenn der Komponist, Produzent und Keyboarder eine Prog.-Scheibe machen möchte, vermag ich ehrlich gesagt nicht so genau zu sagen. Fest steht, dass Godfrey eher für seine Zusammenarbeit mit Formationen wie Atomic Kitten oder dem Pop-Sänger Ronan Keating bekannt ist. Und wenn er es tatsächlich satt hat, fast ausschließlich Songs zu schreiben, die musikalisch nicht über 3 Akkorde hinaus gehen, dann ist das an sich auch keine schlechte Idee. Angeblich hat sich Jem Godfrey 40 CDs führender Prog.-Gruppen des letzten Jahres gekauft und sich so Anregungen geholt. Dabei stieß er natürlich auf den Gitarristen John Mitchell ( Arena, Kino). Also schrieb er ihm eine Mail und fragte, ob dieser Lust habe, an dem Projekt mitzumachen. Mitchell sagte zu und weitere Verstärkung aus dem Prog.-Genre bekam Godfrey von den beiden IQ-Mitgliedern Andy Edwards und John Jowitt.
Was ist jetzt dabei herausgekommen? 6 Songs, die irgendwo zwischen Neo.-Prog und Hard Rock angesiedelt sind. Was da aus den Boxen kommt, knallt richtig und bietet einen fulminanten Sound. Die Länge der Stücke ist sehr unterschiedlich gehalten und bewegt sich zwischen knapp 4 und 27 Minuten.
Beim Opener "Hyperventilate" handelt es sich um ein Instrumental, welches von Pianoklängen eingeleitet wird, zunächst ruhig bis später richtig aufbrausend ist. Es gibt dynamische Bässe und ausschweifende Gitarren. Und das alles macht sich der Keyboarder zu Nutze, in dem er einen richtigen Bombast drüber legt. Bei "No Me No You" erklingen mehr oder weniger Hard-Rock-Grooves als Basis, auf denen sich die Keyboards niederlassen. Der Gesang von Godfrey wurde von John Mitchell gedoppelt, das hört man hier eindeutig. Ich würde auch nicht behaupten, dass Godfrey selbst ein begnadeter Sänger ist. Aber ich denke, dass dies auch nicht der Schwerpunkt von "Milliontown" sein sollte. Interessant sind die ständigen Taktwechsel, so dass sich auch Drummer Andy Edwards richtig austoben darf.
Die Formation versucht Abwechslung zu bieten. So ist das Lied "Snowman" sehr experimentell und die Zeit wird für meine Begriffe ordentlich zurück gedreht. "The Other Me" klingt dagegen richtig heavy und dreckig. Es wird gestampft und auch funkige Einflüsse sind nicht zu überhören. Nun, bei diesem Song könnte der eine von dem anderen gelernt haben, denn ich habe den Eindruck, dass hier die erfahrene Hitmaschinerie versucht hat, maßgeblichen Einfluss zu nehmen. Geradezu prog-untypisch wird der Refrain hymnenartig runtergepowert, so dass ich eher glaube, dass sich die kleine, aber anspruchsvolle Prog-Gemeinde hier abwenden und die Ohren zudrehen wird, es sei denn, dass die Verehrer der progressiven Musik plötzlich tolerant werden.
Schönes Highlight auf der Platte ist "Black Light Machine". So hart und kantig der Vorgänger war, so smart und easy kommt diese Nummer rüber. Sehr beeindruckend ist der wirklich tolle Gitarrensound von John Mitchell. In den rockigen Passagen hätte ich mir irgendwie noch einen Hammond-Sound gewünscht, aber was nicht ist…
Den Abschluss auf diesem Album bildet der ausufernde Titel-Track "Milliontown". Über die fast 27 Minuten wird innerhalb dieser Komposition nochmals einiges an Abwechslung geboten. Es geht stellenweise sehr harmonisch mit ruhigem Klavier zu, in der Folge lösen sich erneute Keyboard-Bombasts mit den Gitarren und auffällig oberen Bassläufen ab. Die einzelnen Zusammenhänge klingen schlüssig und nicht wahllos aneinander gereiht, so dass der Song nicht unnötig in die Länge gezogen wirkt.
Für Oktober ist im Übrigen eine Tour geplant. Vermutlich werden Frost* als Support für die altgedienten Pallas spielen. Man darf jetzt gespannt sein, ob es eine Fortsetzung geben wird, an der man angeblich schon arbeitet. Vorher hoffe ich allerdings auf ein neues Album von Kino, was mir irgendwie besser gefallen hat.
Die Musiker haben auf "Milliontown" bewiesen, dass sie allesamt gut und gemeinsam in der Lage sind, im weiteren Sinne progressive Songs zu schreiben. Das wäre auch eine Prog.-Scheibe, wenn da nicht diese immensen Ausflüge in den geradeaus verlaufenden Hard Rock wären.
Line-up:
Keyboards & Vocals: Jem Godfrey
Guitars & Vocals: John Mitchell
Bass: John Jowitt
Drums: Andy Edwards
Spielzeit: 59:06, Medium: CD, InsideOut, 2006, Neo Prog / Hard Rock
1:Hyperventilate (7:31) 2:No Me No You (6:06) 3:Snowman (3:55) 4:The Other Me (4:51) 5:Black Light Machine (10:06) 6:Milliontown (26:35)
Ralf 'Jogi' Ruhenstroth, 19.07.2006
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