Frumpy / Live
Live
Frumpy gehörte zu den einfluss- und erfolgreichsten Bands der Krautrock Ära. In der Zeit von 1970 bis 1972 nahmen sie mit "All Will Be Changed" (1970), "Frumpy 2" (1971) und "By The Way" (1972) drei hervorragende Studioalben auf. Doch die wahre Stärke der Band lag eindeutig auf der Bühne. So ist dieses Live-Album ein einzigartiges Dokument, auf dem die ganze Dynamik der fünf Musiker unter Konzertbedingungen festgehalten wurde. Doch dazu später mehr.
Die Geschichte von Frumpy beginnt im Jahr 1969, als sich einige Mitglieder der Hamburger Folkband City Preachers plötzlich dazu entschlossen, rockigere Töne anzuschlagen. In der Besetzung Carsten Bohn (Schlagzeug), Karl Heinz Schott (Bass), Jean Jacques Kravetz (Tasteninstrumente) und der Sängerin Inga Rumpf ging es schon im März 1970 auf eine erste Tour durch Frankreich. Es folgten 50 Deutschland-Konzerte im Vorprogramm von Spooky Tooth.
Dabei überzeugte Frumpy durch "Musikalischen Einfallsreichtum und einem präzisen Zusammenspiel" ('Musik Express'). Vor der Veröffentlichung des zweiten Albums verstärkte sich die Band mit dem Gitarristen Rainer Baumann und wurde dadurch musikalisch noch vielseitiger.
Im Sommer 1971 tourte Frumpy zusammen mit Mott The Hoople durch England, kamen aber beim dortigen Publikum nicht sonderlich gut an. Dafür räumte die Band in Deutschland mächtig ab. Unter anderem wurde Inga Rumpf zum "größten Individualtalent der deutschen Rockszene" ('FAZ') gekürt, und Frumpy gewann den Leser-Poll des 'Musik Express' zur 'Besten Rockgruppe des Jahres'. Trotzdem kriselte es zwischen den einzelnen Bandmitgliedern, und so fand am 22. Juli 1972 das letzte Konzert von Frumpy im 'Beat Club', Langelsheim statt (bei dem der Rezensent übrigens persönlich dabei war!). Über den weiteren Werdegang der einzelnen Musiker brauche ich wohl keine weiteren Worte zu verlieren. Da müssen Stichworte wie Atlantis, Rainer Baumann Band, Carsten Bohn's Bandstand, Peter Maffay, Udo Lindenberg und Marius Müller Westernhagen ausreichen.
Doch nun zu dieser Live Scheibe. Ursprünglich als Doppel LP erschienen, liegt hier ein Werk vor, das ganz typisch für die damalige Krautrockszene ist. Über 77 Minuten Musik bestehen aus nur sechs Titeln, die sich zwischen 4:55 und 21:55 Minuten Länge bewegen. Da ist also jede Menge Raum für Improvisationen, und das wird von jedem einzelnen Musiker hervorragend genutzt. Jean Jacques Kravetz orgelt sich die Seele aus dem Leib. Mal treibt er die Band total an ("Backwater Blues") und verleitet Rainer Baumann zu etlichen ganz starken Soli auf den sechs Saiten, mal klingt sein Instrument ruhig, fast hypnotisch. "Duty" beginnt mit Kirchenorgel und gefühlvollem Gesang, geht aber nach ca. einer Minute in einen schweren, schleppenden Sound über, bei dem die Keyboards absolut im Mittelpunkt stehen. Es folgen mehrere Tempowechsel, immer im Gleichklang zwischen Gitarre und Orgel. So geht das minutenlang hin und her. Dieser Song nimmt einen bei entsprechender Lautstärke oder über Kopfhörer gnadenlos gefangen. Dabei sollte jede Störung vermieden werden, es sei denn, man braucht frisches Bier.
Auch die übrigen Songs sind nach dem gleichen Muster gestrickt. Jeder für sich ein kleines Meisterwerk, jeder für sich fast eine Hymne. Und über allem liegt diese Wahnsinnsstimme. Inga Rumpf stöhnt, schreit, faucht was das Zeug hält. Diese Frau ist einzigartig und steht für mich auf einer Stufe mit Janis Joplin und Maggie Bell.
Die hier zu hörenden Stücke stammen von den Alben "Frumpy 2" ("Duty", "Take Care Of Illusion") sowie von "By The Way" ("Release", "Keep On Going"). Außerdem gibt es mit dem oben erwähnten "Backwater Blues" und "To My Mother" zwei Titel, die bis dato noch unveröffentlicht waren.
Apropos "To My Mother". Das ist für mich der absolute Anspieltip dieser Scheibe, gibt es hier doch Blues pur auf die Muschel. Es geht ganz langsam los, Inga legt jede Menge Gefühl in ihre Stimme, und dann geht die Post richtig ab. Alles wird intensiver, die Orgel hat für kurze Zeit noch einmal das Sagen, doch dann beginnt Rainer Baumann zu wirbeln. Dieses Solo haut einem die Füße weg, wenn es in einen Wahnsinnsboogie übergeht. So eine Temposteigerung habe ich bisher höchstens beim "Stormy Monday Blues" von Colosseum's Clem Clemson auf der "Reunion Live"-CD gehört. Unglaublich!
Aufgenommen wurde das "Live"-Album am 28. September 1971 in Hamburg, am 11. Dezember 1971 in Bielefeld und am 9. April 1972 in Bünde. Zu vergleichen ist sie eigentlich nur mit dem legendären "Live"-Album der Rockkollegen von Birth Control aus dem Jahr 1974, das allerdings eine bessere Tonqualität besitzt. Trotzdem ist Frumy "Live" ein unersätzliches Juwel aus der Hoch-Zeit des Krautrock.


Spielzeit: 77,12 Minuten, Medium: CD, Sony BMG, 2005 (1971/72)
1:Keep On Going (12:04)2:Backwater Blues (4:55) 3:Duty (17:33) 4:Release (21:55) 5:Take Care Of Illusion (8:54)6:To My Mother (11:28)
Jürgen Bauerochse, 01.11.2005