Obwohl ich den größten Teil meines Lebens in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin und weitere 12 Jahre in den neuen Bundesländern verbracht habe, verabscheue ich diese ganze Ostalgiewelle. Klar, es gab jede Menge Gutes, aber auch viel Schlechtes und das alles nun im Nachhinein zu glorifizieren, widerstrebt mir einfach.
Genau so erging es wohl auch Gerhard Gunderman. Ihm war dies alles suspekt, deshalb war er versucht, keine Front zwischen Osten und Westen zu ziehen.
Wer war eigentlich dieser Gerhard Gundermann?
Er war die Stimme und das Sprachrohr des Ostens, im Westen dagegen blieb er unbekannt.
Und er hat es verstanden, Hoffnungen und Enttäuschungen, Mut, Resignation, Glück und Trauer der Wende-Jahre 1989/90 passend in Worte zu fassen. Man spürt einfach, er hat seinen Zuhörern etwas zu sagen und er ist einer von ihnen.
G.G. war auf der einen Seite Maschinenführer im Braunkohletagebau in der Gegend um Hoyerswerda, Liedermacher und Rockmusiker auf der anderen. Er arbeitete sogar noch im Braunkohlerevier, als er längst schon von seiner Musik hätte leben können, aber auch er war damals von der Schließung des Tagebaues und damit natürlich von der Arbeitslosigkeit betroffen.
Sich schonen? Das war für ihn ein Fremdwort: Mal gab er gleich nach der Schicht ein Konzert, mal fuhr er von einem Konzert anschließend zur Schicht.
Ein typischer Rockmusiker war er überhaupt nicht: Er trank keinen Alkohol und ernährte sich vegetarisch.
Gerhard Gundermann starb unerwartet mit 43 Jahren an Herzversagen.
"Werkstücke II" ist die dritte Veröffentlichung aus seinem künstlerischen Nachlass.
Es sind Aufnahmen aus dem Jahre 1990 mit der damals gar nicht so unbedeutenden Band Die Wilderer, gemischt mit Produktionen des Rundfunks der untergehenden DDR aus der selben Zeit.
Gundermann beklagte sich zwar über Missstände, aber er klagte nicht nur. Seine Lieder waren eigenwillig, manchmal stur und trotzig.
"Die letzten werden die ersten sein
in den Momenten
Wo die Blätter sich wenden
aber dann aber dann
werden sie wieder die letzten sein."
Der Untergang der kleinen DDR ging Gundermann zu Herzen. Ihn schmerzte, daß die Ostdeutschen sich ihre "Souveränität" abkaufen" ließen, wusste aber auch, dass dieser Untergang nicht mehr aufzuhalten war.
Einige seiner Songs sind Eigenkompositionen, andere wiederum Cover, wie u.a. Springsteens "Racing In The Street" oder auch "Badlands", welche mit Gundermann'schen Texten versehen wurden. Aus "Badlands" wurde zum Beispiel:
"Steinland"
Wir hams noch nicht besessen und hams schon verkauft
und schon verfressen und schon versauft
wir hams schon vergessen
und haben doch kein andres Zuhaus.
Oder aber Tom Waits' "Downtown Train" bekam folgenden schneidenden Text verpasst:
So viele Jahre unterwegs
und immer nur durch Feindesland
wann ham wir uns zur Nacht gelegt
ohne ein Eisen in der Hand
Wann ham wir je aus Spaß getanzt
nein immer nur auf Messers Schneide
das Du noch singen kannst
Wir sind doch pleite."
Auf eine Frage, warum Gundermann in seinen Texten gern das Wort "hier" verwendet, anwortete er in einem Interview mit der "Schweriner Volkszeitung" folgendes:
"Ich glaube, daß wir drüben, auf der anderen Seite der Elbe, so viel nicht spielen werden. Ich denke schon, daß es Leute in der Bundesrepublik gibt, die damit was anfangen können, aber es funktionieren auch bestimmte Mechanismen: Du mußt erst mal wissen, daß du mit jemandem was anfangen kannst, ehe du 20 Mark für ein Konzert bezahlst. Da wirst du nicht so reingeschoben oder reinpromoted. Das mußt du dir erarbeiten, das dauert Jahre. Aber ich denke, wir werden auch immer eine Band für hier bleiben, weil sich viel aus dem Gefühl von hier, aus dem Leben hier speist. Es gibt ja auch Typen, die nur im Ruhrgebiet spielen und sonst nirgends, und wir spielen eben nur hier und sonst fast nirgends. Du mußt Veranstalter kennen, du mußt ein Vokabular sprechen, was auch alle verstehen - du brauchst ja drüben wirklich Dolmetscher. Das ist so, immer noch; es ist ein Irrtum zu denken, daß man sich versteht, wenn man miteinander deutsch spricht."
Und ich denke, damit brachte er vieles mit klaren und einfachen Worten auf den Punkt.
Anspieltips: "Keine Märchen mehr", "Cuba", "Old Dixie Down", "Steinland", "Europa"
Spielzeit: 60:02, Medium: CD, BuschFunk 2004
1:Schneegebirge (1:15) 2:Keine Märchen mehr (4:35) 3:Die letzten werden die ersten sein (3:30) 4:Streunende Hunde (3:56) 5:Dem deutschen Volk (3:38) 6:Cuba (4:07) 7:Soll sein (4:37) 8:Kein Land in Sicht (4:01) 9:Es kommt der Tag (1:59) 10:Old Dixie Down (4:50) 11:Wo bleiben wir (3:54) 12:Steinland (5:09) 13:Für C. (1:50) 14:Scheissspiel (2:38) 15:Rocket Launcher (4:44) 16:Die Festung (1:32) 17:Europa (5:44)
Ilka Czernohorsky, 31.05.2004
|