Gov't Mule / Tourbericht
Paris, Belgien, Hamburg, Köln 2015
Rocktimes Konzertbericht
Tourbericht Paris, Belgien, Hamburg, Köln 2015
Stil: Jam Rock
Konzertbericht


Artikel vom 24.05.2015


Michael Breuer
Stell dir vor, deine größten Helden feiern Jubiläum und du bist mittendrin dabei… Viele Jahre haben die 'Maultiere' meinen musikalischen Geschmack geprägt, bin ich ihnen im Laufe der Jahre mehr und mehr verfallen. Alle Platten im heimischen Schrank und viele unvergessliche Konzerte im Kopf konnte es zum anstehenden 20jährigen Bandbestehen keinen Zweifel geben: Du musst so oft wie möglich dabei sein.
Der Esel ist los - 17 geile Tage in 20 Jahren Gov't Mule
Dienstagabend, der Fünfte im Fünften, Paris, Montmartre. Völlig euphorisiert und benommen vor Glück schlendere ich beseelt durch die laue Frühlingsnacht, die Lichter des nahen Place Pigalle verschmelzen zusammen mit den jüngsten Erinnerungen in meinem Kopf zu einem psychedelischen Gesamtkunstwerk. Hab ich womöglich seltsame Substanzen zu mir genommen? Mitnichten, ich habe gerade ein Konzert der besten Rockband im bekannten Universums gesehen: Gov't Mule - aber der Reihe nach…
Zwanzig Dienstjahre haben sie nun auf dem Buckel, die Jungs von Gov't Mule. Dereinst aus den Wurzeln der Allman Brothers Band entwachsen, haben sich die 'Maultiere' im Laufe der Zeit zum heißesten Act auf Mutter Erdens Rockbühnen entwickelt - merkwürdigerweise von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Musikalisch sind die Wurzeln der Mutterband nicht zu überhören, aber der Ansatz unserer 'Grautiere' liegt mehr im Blues als die der etwas jazzigeren Allmans, die Songs klingen erdiger und gitarrenlastiger. Mastermind Warren Haynes, der schon an der Seite von Dickey Betts viele Jahre lang den Part des so früh verstorbenen Duane Allman mit großartigem Gitarrenspiel und diversen Kompositionen übernehmen konnte, hat mit Gov't Mule einen Genius geschaffen, der die überragenden Attribute seiner Musik am besten zum Ausdruck bringt. Und Warren hatte auch schon bei den späten Grateful Dead das Erbe des großen Jerry Garcia angetreten und mit akustischen Solokonzerten sein schier unbegrenztes Einfühlungsvermögen nachgewiesen.
Nach dem Tod des ursprünglichen Bassmanns Allen Woody schien die Geschichte der Mule schon früh beendet, doch mit dem neuen Mann an den starken Saiten, Jorgen Carlsson, hat Warren, zusammen mit Gründungsmitglied Matt Abts am Schlagzeug und dem später eingestiegenen Keyboarder Danny Louis, ein Quartett zusammengestellt, das uns bei jedem Konzert durch die gesamte Geschichte der Rockmusik zu führen scheint. Denn die Liveacts der Band sind wie eine große Wundertüte, du weißt nie, was sie spielen. Nur eins ist immer sicher, es wird gut werden - wahnsinnig gut. Neben dem allein fast schon unerschöpflichen Repertoire eigener Songs werden immer wieder Coverversionen dargeboten, die nicht selten die nostalgischen Erinnerungen an die Originale in Schutt und Asche legen. Ich hätte jedenfalls nie geglaubt, dass es eine Band auf diesem Planeten gibt, die zum Beispiel einen Pink Floyd-Song besser spielt als Floyd selbst - doch, das geht. Led Zeppelin, die Grateful Dead, selbst Jimi Hendrix gehören ebenso zum Potential der Band wie diverse Bluesgrößen. Zuletzt waren sie sogar mit dem Jazzer John Scofield auf Tour und haben großartige, ausgedehnte Fusionsschlachten geschlagen. Aber was auch immer sie spielen, am Ende klingen die Songs immer so, als wären sie Warrens Feder entwachsen. Mit Feingefühl, Respekt vor dem Original und einer unfassbaren Leidenschaft veredeln die 'Maultiere' alles, was uns alten und jungen Rockern lieb und teuer ist.
Dass der Name der Band, eine Kurzform von Government Mule nicht das bedeutet, was man vordergründig vermuten mag, sei nur am Rande erwähnt. Er leitet sich nämlich ab von einem Amerikanischen Slang-Begriff und beschreibt nichts anderes als das besonders ausladende Hinterteil einer Frau.
Vier bis Fünf Mal wollte ich mir das Vergnügen gönnen, die 'Dicken Frauenhintern' live zu erleben, es sollten Tage werden, die ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen werde.
Sehr kompakt und, versehen mit einigen der temporeichsten Mule-Songs, startete das Abenteuer Europa mitreißend und schweißtreibend in Leuven, Belgien. Nur bei dem wunderschönen Slow Rock-Song "Captured" vom letzten Studioalbum verführte Warren uns zu verträumt entspannter Besinnlichkeit, ansonsten wurde gerockt was das Zeug hält. In "About To Rage" legte der 'Esel' zum ersten Mal so richtig das Zaumzeug ab, mit ausgedehnten und trefflich ekstatischen Soli, die das geneigte Publikum zu Begeisterungsstürmen trieben.
Nach der traditionellen Pause kehrten unsere fantastischen Vier dann auf die Bühne zurück, um Musikgeschichte zu schreiben. Nach einem unübertroffen gefühlvollem Intro, das ein wenig nach Zeps "No Quarter" klang, versetzte Warren die versammelte Menge in Verzückung, als das Thema eines der schönsten Rocksongs aller Zeiten erklang: Neil Youngs "Cortez The Killer". Ich habe viele Konzerte in meinem Leben gesehen und viel Musik gehört, doch das, was nun fast zwanzig Minuten lang folgte, trieb mir tatsächlich ein paar verschämte Tränen in die Augen - hoffentlich hat's keiner gesehen. Es ist schlichtweg nicht in Worte zu fassen, mit welcher Empathie und tiefster Leidenschaft Warren sich in diesen wunderbaren Song hineinfühlte. Die Sensibilität seines Gesangs und die emotionsgeladenen Gitarrenparts drangen derart intensiv ins weite Rund, dass selbst die sonst eher ausgelassen feiernden Rocker in andächtige Stille und Zurückhaltung verfielen, um den magischen Moment nicht zu zerstören. Eine Sternstunde der Musik.
Am Ende gab es "Soulshine", eigentlich der klassische Ausklang aus einem Mule-Konzert, wie mir schien auch in einer besonders gefühlvollen und leicht gedrosselten Version, denn diesen Song spielt die Band auf sehr unterschiedliche Weise, mitunter sogar als Reggae-Nummer.
Was macht der weitreisende Mule-Head eigentlich zwischen zwei Konzerten? Nun, ein bisschen Atomium und Eiffelturm befriedigen das Fernweh und über französischen Wein muss ich mich ja wirklich nicht auslassen, es waren ein paar feine Fläschchen dabei. Aber wer 'im Auftrag des Herrn' unterwegs ist, der lässt sich dauerhaft nur auf eine Weise zufrieden stellen.
Das La Cigalle war ein perfekter Standort für neue 'Maultier'-Wundertaten. Ein altes Theater, ausnahmslos bestuhlt und damit für jeden Alt-Fan mit Rücken ein Segen, unmittelbar an der sündigen Meile von Paris gelegen, bot eine faszinierende Atmosphäre und hier durfte ich meine insgesamt zehnte 'Esel'-Audienz zelebrieren. Sitzen in der zweiten Reihe, mittig vor der Bühne, ein geradezu königliches Vergnügen, erlebe ich meine Lieblingsmusiker doch endlich mal aus nächster Nähe, sehe die unglaubliche Hingabe, mit der Warren Haynes seinen 'Job' macht. Höhepunkt des Abends ist für mich eine Monsterversion von "I'd Rather Go Blind", einst von Etta James populär gemacht und als ein Klassiker des Blues und Soul wie geschaffen für Warren, der gerade in dieser Art Musik seine Wurzeln sieht. Der Song geht unter die Haut, dringt tief bis in die hintersten Winkel Deines Seins, Herz zerreißend, hingebungsvoll, dramatisch. Du durchlebst jede Zeile des Textes, jede Note der Musik, Warren spielt sich die Seele aus dem Leib - was für ein großartiger Künstler. Dass ein solcher Abend einmal enden muss ist eigentlich ein Sakrileg. Am Ende bist Du emotional völlig aufgelöst, körperlich fertig und verschwitzt wie Deine Helden. Aber Du bist zutiefst erfüllt mit innerer Zufriedenheit und Freude, genießt den Augenblick und das wunderbare Gefühl, wieder einmal bei etwas ganz Großem dabei gewesen zu sein. Ach ja, und Paris drum herum war auch sehr schön.
Bis zum nächsten Act in Hamburg hieß es erst einmal Geld verdienen, man kann nicht durch halb Europa reisen, wenn man nicht ab und zu auch mal an Arbeit denkt. Aber nach dem Konzert ist vor dem Konzert, und Hamburg hat einfach eine sehr geile Location für solche Events. Ein Jahr nach dem ersten Besuch gab ich mir die Fabrik in Altona ein zweites Mal. Nah an der Front, wenn auch sehr stark auf die Seite der Bühne gedrängt konnte ich Warrens Aktivitäten sehr intensiv folgen, während mir die Verbauungen des Clubs den Blick auf Matt komplett verwehrten - dem Sound hingegen tat das keinen Abbruch und spätestens bei "No Reward", in dieser Saison ganz besonders fetzig vorgetragen, vergaß ich meinen wehen Rücken und entschwand in den kosmischen Strömen der selig 'eseligen' Klänge.
Emotional aufgestachelt bis in die Haarspitzen schaffte es am Samstag dann ein 'eselnahes Tier', mich zu einer nicht geplanten halbtägigen Pause zu bewegen. Eigentlich hatte ich den Gig in Aschaffenburg fest im Plan, aber nach der - glücklicherweise - erfolgreichen Aufstiegsschlacht meiner 'Zebras' musste ich mir vorübergehend eingestehen, dass ich gefühlsmäßig an den Grenzen meiner Ertragbarkeit angelangt war. Nach dem Sieg und Aufstieg des MSV Duisburg war ich heute zu keiner Fernreise und weiteren Emotionen mehr fähig. Ich habe "Kings Highway" und "Little Wing" verpasst, was eigentlich zutiefst traurig ist - aber man kann und man muss nicht alles im Leben mitnehmen!
Aber wenn du glaubst, du hättest schon alles gehört und gesehen, dann kennst du Gov't Mule nicht. Denn am Ende haben sie immer noch einen auf Lager und danach ist nichts mehr wie es mal war. In Köln, wieder mal in der Live Music Hall, wo ich sie vor vielen Jahren erstmals sah, ging es in meine persönlich zwölfte Runde - es sollte die wohl rauschendste Rocknacht meines Lebens werden, an der Seite lieber und guter Freunde. Ich weiß nicht, was an diesem Abend in den Köpfen meiner Helden vorgegangen sein mag, aber es hatte den Anschein, als wäre diese Nacht gemacht nur für sie, wäre die Zeit reif für etwas einzigartiges, unwiederbringliches. Wie schon in den Tagen zuvor pointierte Warren mit glasklarem, brillanten Sound seine Soli besser als je zuvor, wütete Danny über seinen Tasten wie ein Irrwisch, während die Rhythmusfraktion mit Matt und Jorgen einen Groove erzeugte, der selbst einem alten Kotelett neues Leben einzuhauchen im Stande sein würde. Aber vor allem sind sie, mehr als alle anderen ein Team, aufeinander eingestellt und eingespielt wie ein gut geölter Motor, so wie meine 'Zebras' am Tag zuvor auf dem Fußballplatz es waren. Freunde, Kollegen, Helden, Götter.
Warren spielte sich auf diesem weltweit einzigartigen Soundteppich von einem Rausch in den nächsten. Die Bluesnummern waren nicht von dieser Welt, mit einem Gefühl, für das ihn die Größten der Szene beneiden. "No Need To Suffer", ein Song, der mich gerade in der tiefsten Leidensphase meiner Mutter vor zwei Jahren bis ins Innerste berührt hat, schenkte mir einen ganz speziellen Höhepunkt der Tour und steht wie ein Symbol für so viele Dinge, die sich inzwischen zum Guten gewendet haben, ein persönliches Erlebnis in tiefster Emotion. Gerade so, wie es meinem Kumpel Roman bei "Banks On The Deep End" ergangen ist. Gov't Mule können dein Katalysator sein für alle möglichen Dinge des Lebens, vor allem aber sind sie immer eines: Authentisch und zutiefst berührend, Rockmusik, die die Seele erlöst.
Die Zugabe hat mir dann den Rest gegeben. Hierzu muss man wissen, ich schätze Eddy Vedder wirklich sehr, den charismatischen Sänger von Pearl Jam, der einst für den 50. Geburtstag von Bob Dylan eine Gänsehautversion von "Masters Of War" kreierte. Was aber Warren an diesem Abend dann aus dem Song machte, entzieht sich jeder Beschreibung, ganz zu schweigen von der Überleitung in eine Explosion aus Neil Youngs "Rocking In A Free World". Diese finale Attacke sprengte die letzten Ketten körperlicher Begrenztheit, der Geist rockte ab in ein neues Mule-Universum, eine Welt aus Ekstase und völliger Losgelöstheit. Stampfend, grölend und vollkommen im Bann der Band versuchten sich die Enthusiasten ihrer ungläubigen Begeisterung hinzugeben, das Dach der Live Music Hall schien längst nicht mehr sicher auf den Fundamenten zu liegen.
Ich habe zum Jubiläum einen eigenen Fanschal im Internet bestellt, »Gov't Mule was my first love« ist darauf zu lesen, »and it will be my last« müsste es dem alten John Miles-Song gemäß weitergehen - war halt kein Platz mehr dafür. Aber es drückt die Liebe aus, die ich zu dieser Musik empfinde. Gov't Mule treiben mich in den Wahnsinn und sie erden mich gleichzeitig wie nichts in der Welt. Für diese Musik würde ich bis zum Planeten Pluto gehen, wenn es sein muss zu Fuß...
Möge der 'Esel' spielen für immer, denn Nichts und Niemand ist wie Gov't Mule.
Line-up:
Warren Haynes (guitars, vocals)
Matt Abts (drums)
Jorgen Carlson (bass)
Danny Louis (keyboards, guitar)
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