"Steal Your Face", die Doppel-CD mit dem berühmten Skull.
Hat man natürlich längst im Regal, da es sich um ein Standardwerk handelt.
Es bietet sich also gleich mal an, die 1989er CD von 'Line' mit der 2006er 'Rhino' HDCD-Version, zu vergleichen.
Erst mal das Erbsenzählen: Auf der Line-CD ist der Durchmesser des Skulls 6 mm größer. Dafür ist die Rhino-Version 29 Sekunden länger. Gleichstand also.
Das 89'er Booklet ist dem Doppelblatt der 06'er Version überlegen: 14 Seiten Fotos vs. 2 Seiten. Kommen wir zum Klang und das ist gar nicht easy.
Erster Durchlauf: Rhino + Marantz am CD Eingang gegen Line + Kenwood über Aux.
Zweiter Durchlauf: Line + Marantz am CD Eingang gegen Rhino + Kenwood über Aux.
Beide Hörsessions deplazieren die HDCD-Version, weil die Line-CD klingt, als stünden alle Klangregler an meinem Luxman auf Rechtsanschlag. Aber wie das in besseren Kreisen üblich ist, sind die Klangfilter natürlich deaktiviert.
Hmm, sollte die HDCD-Technik unterlegen sein? Ich gehe 'näher' ran, sprich: ich setze mich mit dem rechten Ohr vor eine JBL und lausche. Aha, wir kommen der Sache näher.
Die Textzeile Well I taught that weeping willow how to cry cry cry in "Big River" offenbart den Detailreichtum des neuen Masterings. Beim t des Wortes taught hört man viel genauer, dass das Micro wahrscheinlich etwas Spucke abbekommt. Ob diese Feinheiten den Kauf rechtfertigen muss jeder selbst entscheiden. Ich jedenfalls bin froh, beide Versionen im Regal zu haben. Aber was Grateful Dead angeht, bin ich sicher nicht der repräsentative Hörer. Oder doch?
Rock'n'Roll im Jerry-style: "The Promised Land" von Chuck Berry (im Knast geschrieben) knallt zu Beginn aus den Speakern, und dann kommt mein erstes Highlight - das wunderschöne Traditional "Cold Rain & Snow" mit diesem herrlichen Mitsingrefrain.
"Around And Around", ebenfalls von Mr. Berry lässt es wieder flotter rocken und wird wieder von einer ruhigen Komposition abgelöst. Einer der besten GD-Nummer überhaupt. Für mich zumindest ist "Stella Blue" an Tiefgang und freisetzenden Emotionen kaum zu überbieten (Highlight #2). Ich strapaziere eines meiner Lieblingswörter: Gänsehaut. Vocals, die fast wispern, spärlich eingestreute Gitarrenlicks und dann natürlich der Text:
It all rolls into one and nothing comes for free,
There's nothing you can hold, for very long.
And when you hear that song come crying like the wind,
It seems like all this life was just a dream.
Groove ohne Ende bei "Mississippi Half-Step Uptown Toodeloo". Die Jungs jammen sich die Schweißperlen auf den Körper bei diesem Live-Gig anno 1974 im 'Winterland', San Francisco,CA (16. -20.10).
Highlight drei folgt mit "Ship Of Fools". Dieser Song mit der 'versteckten' politischen Aussage taugte eigentlich nie so recht als Live-Nummer, denn er riss die Heads so schön aus dem Tanzen. Geschickt wird anfangs auf Herman Melvilles "Moby Dick" Bezug genommen: "Went to see the captain, strangest I could find."
Und wie könnte man schöner Kritik an herrschenden Hierarchien ausdrücken, als mit Worten wie diesen: "Don't lend your hand to raise no flag atop no ship of fools"?
Toll, wie auch bei anderen Songs dieses Albums die Vocals von Donna Jean Godchaux.
Tempomäßig geht es mit Jesse Fullers "Beat It On Down The Line" gen Ende der ersten CD. CD 2 startet polkahaft mit dem 'gespuckten taught' der Cash-Nummer "Big River".
Es folgt die Story eines Trampers, der sich durch die Staaten schlägt - "Black-Throated Wind", mit dem dezenten Gitarrenspiel Jerrys. Rockig geht es mit "U.S. Blues." weiter. Der Track hieß eigentlich früher "Wave That Flag" und auch der Text war geringfügig anders. Diese Nummer wurde oft als Zugabe gespielt. Logisch, man kann noch mal richtig 'mitgehen'.
Er war einmal einer der größten Countryhits. Die Rede ist von "El Paso" aus Marty Robbins Feder. Man fühlt sich förmlich in einem Saloon sitzend, den Dancern zuschauend, während die Skulls musizieren. Wieder eines meiner Highlights: "Sugaree", die wehmütige Liebesballade. Eine weitere Ballade folgt mit "It Must Have Been The Roses". Herrlich diese Mitsingnummer und auch die Lyrics lassen Einen aufmerksam mithören:
Annie laid her head down in the roses.
She had ribbons, ribbons, ribbons, in her long brown hair.
I don't know, maybe it was the roses,
All i know i could not leave her there.
Mit einem meiner Liebslingstitel endet dieses Album. "Casey Jones" erzählt die wahre Geschichte von John Luther Jones, auch K.C. oder Casey genannt, der als Lokomotivführer einen Unfall verursachte, weil er, um verspätete Zeit aufzuholen, viel zu schnell die gefährliche 'Cannon Ball Run'-Strecke befuhr. Casey kam dabei ums Leben.
Damals wurde dieses Album von den Deadheads abgelehnt, gar als "Steal Your Money" tituliert. Nun ja, die Platte erschien 2 Jahre nach dem Konzert(film) und sah etwas nach Abzocke aus. Außerdem war der LP Sound mäßig (auf Silberscheibe kam er aber dann lecker rüber).Vielleicht liegt der Grund auch darin, dass es - obwohl eine Live-Scheibe - fast studiomäßig klingt. Auch und gerade was die Songauswahl und die Länge der Songs betrifft. Dies ist eine Liveplatte, die auch Grateful Dead-Anfängern sehr ans Herz zu legen ist, da zu keinem Zeitpunkt ein Abdriften ins spacige und endlose Jammen stattfindet. Dafür gibt es andere, starke Scheiben und 'Rhino' sei Dank, auch in perfekter 'Neuauflage'.
Line-up:
Jerry Garcia (g,v)
Bob Weir (g,v)
Keith Godchaux (kb,v)
Donna Jean Godchaux (v)
Phil Lesh (b)
Bill Kreutzmann (d)
Spielzeit: 82:28, Medium: Do-CD, Rhino, 2006
CD 1
1:The Promised Land 2:Cold Rain & Snow 3:Around And Around 4:Stella Blue 5:Mississippi Half-Step Uptown Toodeloo 6:Ship Of Fools 7:Beat It On Down The Line
CD 2
1:Big River 2:Black-Thoated Wind 3:U.S. Blues 4:El Paso 5:Sugaree 6:It Must Have Been The Roses 7:Casey Jones
Ulli Heiser, 12.01.2006
|