Ich sollte Joachim H. Ehrig mein leeres Portemonaie schicken. Bin fast sicher, es kommt gefüllt wieder zurück. Ähnliches hat Joachim auf der "Grobschnitt Story 6" nämlich vollbracht. Besser bekannt ist er unter dem Namen "Eroc" und darf getrost und ohne Übertreibung wohl als der Remaster- und Restaurierungspapst bezeichnet werden.
Was das mit meinem flachen Eurobeutel zu tun hat? Nun, der Meister der Regler, Expander, Kompander und anderem analogen und digitalen Equipment, hat es geschafft, einem gelöschten Tonband den verloren geglaubten Inhalt zu entlocken.
Anschaulich demonstriert er zu Beginn von "Das unbekannte Superstück", wie sich die Trennspur zwischen linkem und rechtem Kanal eines gelöschten Bandes per Tonkopfspezialjustierung anhört. Und dann hören wir, wie es nach der Restaurierung klingt.

Mein lieber Scholli - nicht genug, dass Eroc im absolut hervorragenden Booklet einen Kurs in Aufnahme-Technik, Magnetismus und Elektronik gibt; das Ergebnis der Aufnahme ist atemberaubend. Das Stück, um das es geht, stammt aus dem Jahre 1974, wurde wohl einige Male live gespielt, aber nur einmal mitgeschnitten und dann aus Versehen gelöscht. Es geriet in Vergessenheit. So sehr, dass nicht mal mehr der Songtitel bekannt ist. Irgendwann fand Eroc das Band und das 'Wunder' nahm seinen Lauf. Das ist nur eine der Anekdoten, die wir im Booklet erfahren.
Was ich bereits zu The History Of Solar Music Vol. 1 & 2 schrieb, dass nämlich alleine das Booklet schon Grund genug ist, die CD zu kaufen, gilt uneingeschränkt auch für Teil 6.

Wo soll ich anfangen? Gerade läuft "Ernie's Reise", Remastered als Remix 2006. Das hört sich an wie neu und nicht wie aus dem Jahre 1977 und ist Kraut-Prog-Rock in Vollendung. Ebenfalls im 2006er Remix, weitere Orginale aus "Rockpommel's Land": "Severety Town" und "Anywhere". Die Spieluhr zu Beginn von "Severety Town" kommt glasklar aus den Lautsprechern, Tasten schleichen sich dazu und ach, meine Oma hätte jetzt gesagt: "Dass ich das noch erleben darf". Mir liegt der gleiche Satz auf den Lippen. Prog Rock-Fans sollten zum Plattendealer ihres Vertrauens rennen und sich das Teil anhören. Für Grobschnitt-Fans ist es eh ein Pflichtkauf.
In "Textierung RPL" kriegt man einen Einblick, wie eine Grobschnitt-Probe abläuft, quasi ein 'Make of'.

"Wade In The Water", ein 74er Blues-Jam mit dem nach Krankheit wieder zurückgekehrten Basser Baer und das fast 17-minütige "Steppin' Stones" lassen einen abschalten und mit dem Groove der Band auf Reisen gehen.

Einige 'Urversionen' finden sich auf der Doppel-CD. So z.B. "Sahara" (einer meiner Grobschnitt-Favs). Die Liner Notes klären nun auch auf, wie die tiefe Stimme technisch entstanden ist. Oder "Wir wollen sterben", eine Nummer aus der 'Neuzeit'. Göttlich!

Zurück nun an den Beginn der Siebziger. "Wonderful Music" verbreitet etwas mittelalterliches Flair, wogegen "About My Town" (auch 'ne Übernummer) in bester Jazz Rock-Manier mit jammigen Gitarrenlicks zum Groove-Monster mutiert.
"Die Sinfonie" ist eine Aufnahme einer Probe und der 'Gefangenenchor' besteht aus Roadies und Freunden. Es ist ein Erlebnis, diese Nummer einem Grobschnitt-Neuling vorzuspielen: "Boah, geile Nummer und über 20 Minuten lang, super Song, starker Gesang, hast du mehr von der Band?".
Wenn dann der 'Gefangenenchor' einsetzt, ernte ich fragende Blicke und kann dann sagen: "Ja, das ist Grobschnitt und ich hab noch mehr davon."

Man braucht das Booklet, um Interna über "Die Maschine" zu erfahren: Dass Der Baer beim Intro auf zwei Blockflöten gleichzeitig spielt (was er laut Eroc auch per Nase konnte), wie Eroc und der Roadie John McPorneaux eine songdienliche 'Beckentechnik' entwickelten...

Nun schließe ich und genieße nochmal "Das unbekannte Superstück". Superstück ist dabei nicht mal übertrieben, denn die Nummer geht so was von ab. Wah Wah-Attacken, Drum-Solo, ohrgefällige Gitarrenläufe...
Neugierig? Geht los und besorgt euch das Teil, denn sonst ist die Grobschnitt-Sammlung nicht komplett.

Eroc soll das letzte Wort haben: "Mann, ich glaube, ich bin immer noch nicht erwachsen..".
Geht mir auch so, Joachim. Solange gute Musik mein Begleiter ist, bewahre ich mir ein Stück meiner Vergangenheit und Jugend. Und 'neue' Platten, wie die gerade besprochene, sind da die beste Medizin. Die Reihe soll zwar beendet sein, aber ich hoffe auf deinen gut gefüllten Archivkeller und bin eigentlich sicher, dass.......

Wir lesen uns dann.