Es gibt Platten, die sind unheimlich schwierig zu besprechen. Aber es gibt auch solche, die quasi als Selbstläufer gelten dürfen und somit ganz einfach zu händeln sind. Wäre da nicht die verflixte Technik!
Um letztere Kategorie handelt es sich bei dem guten Stück, welches mir hier vorliegt: "Gillan's Inn". Mehr steht auf der Scheibe nicht drauf.
Die Rückseite offenbart dann noch, dass es sich um eine Dual Disc handelt, ein Format, das sich seitens der Musikindustrie immer größerer Beliebtheit zu erfreuen scheint. Werden dem geneigten Kunden doch hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe offeriert … nämlich eine CD und gleichzeitig eine DVD, und das Platz sparend auf einem Ton-/Bildträger und kundenfreundlich auch zum Preis eines einzelnen Ton-/Bildträgers.
Wunderbare Sache, wäre da nicht ein Hinweis im Kleingedruckten: "May not play on a limited number of models". Davor steht in wesentlich größeren und fetteren Lettern: "This disc is intended to play on standard DVD and CD players as well as ROM devices". Oha, denke ich mir so und betrachte sorgenvoll meinen dezent in Rot leuchtenden Phonosophen, der mit blauem Licht abtastet. Ich lege anweisungsgemäß die silberne Disc ein, CD-Seite unten, oben steht dann "CD - This Side Up", die Schublade fährt ein, ich warte gespannt und … nix, aber auch gar nix! Kein Kommentar seitens des Players. Wunderbar, willkommen im Klub der Limitierten, Nichtstandardisierten, PC-Muffel und Bescheuerten!
Was nun?
Ganz einfach, jetzt muss der DVD-Player halt früher als gedacht ran, bloß oh weh, das Teil stammt noch annähernd aus der Ur-Generation dieser Technik und war nie bei den Saturns/Medias/ProMarkts dieser Welt erhältlich gewesen.
Wieder das gleiche Spiel, ich verfolge gebannt die klapprige Schublade (ist eben kein Phonosoph), es rödelt im Gebälk, es rödelt, es rödelt und … Peng, da steht doch tatsächlich Read im vorsintflutlichen Display. 14 Tracks, knapp 63 Minuten Spielzeit, feine Sache, ich bin erleichtert. Willkommen im Klub der Standardisierten, PC-Freaks und Massenkompatiblen!
Denn selbstredend läuft das Scheibchen auch im DVD-ROM-Laufwerk, auf dem berühmt berüchtigten Schlafzimmer- oder Küchenhenkelmann, der gefürchteten Plastik-Micro-Anlage, dem steinalten 'Sony'-Standard-CD-Player oder im Auto-CD-Player. Alles kein Problem.
Problematischer ist schon der Sound, der mir auf der CD-Seite entgegenschallt - die reinste Konservendosenqualität, zum Fürchten und Gruseln! Zumindest auf der heimischen HiFi-Anlage, die normalerweise diese Bezeichnung auch verdient hat. Ist womöglich der altersschwache DVD-Player schuld?
Ich drehe die Disc um, sie wird dann brav als DVD eingelesen, das Startmenü erscheint und ich kann die Option anwählen, das Album im 5.1 Surround Sound zu genießen. Blöd nur, dass in meiner Wohnzimmerschachtel lediglich 2 Miniböxchen stehen. Aber pfiffiger Weise gibt's auf der DVD-Seite auch eine PCM-Stereo-Abmischung. Und diese ertönt wie aus einer anderen Welt. Total leise vom Pegel her, aber wenn der Kinderzimmer-Amp auf ultimo hochgejagt wird, dann ist plötzlich richtig Musik im Raum! Wie das? Ist mir ein völliges Rätsel.
Und die Musik selbst?
Ja, wäre wohl nicht schlecht, wenn die auch noch zur Sprache kommt.
Es handelt sich bei diesem Projekt um die Feier des 40 jährigen Jubiläums als (Profi)Musiker von niemand Geringerem als Ian Gillan, hauptsächlich berühmt geworden durch sein Mitwirken als 'Schreihals' bei der legendären Mark II-Besetzung Deep Purple (1969 - 1973, 1984 - 1989 und 1992 - 1993 = Ian Gillan, Ritchie Blackmore, Jon Lord, Roger Glover und Ian Paice).
Er ist ja bekanntermaßen auch heute noch mit einer Formation namens Deep Purple unterwegs, aber deren musikalische Köpfe Blackmore/Lord fehlen inzwischen gänzlich, was der ganzen Sache irgendwie zumindest musikalisch die Legitimation entzieht.
Abseits der aktuellen Ian Gillan Band, die sich Deep Purple nennt, hat der Protagonist nun also ein Spaßprojekt eingespielt, feiert sich und seine inzwischen 40-jährige Karriere und klingt dabei punktuell wesentlich mehr nach Purple, als diese es heute selbst tun. Kunststück, liegen doch mit "When A Blind Man Cries" (Single B-Seite, 1972), "Demon's Eye" ("Fireball", 1971, nur auf der DVD-Seite vorhanden!), "Smoke On The Water" ("Machine Gun", 1972) und "Speed King" ("Deep Purple In Rock", 1970) gleich vier Titel aus der absoluten Glanzzeit der Formation in Neueinspielungen vor.
Darüber hinaus sind auch bis auf eine Ausnahme alle anderen Titel Neueinspielungen. Im Einzelnen:
"Unchain Your Brain" (Gillan - "Glory Road", 1980), "Bluesy Blue Sea" (Gillan - "Magic", 1982), "Day Late And A Dollar Short" (Ian Gillan "Dreamcatcher", 1998), "Hang Me Out To Dry" (Ian Gillan - "Toolbox", 1991), "Men Of War" (Gillan - "Double Trouble", 1981), "Sugar Plum" (Ian Gillan - "Dreamcatcher", 1998), "Trashed" (Black Sabbath - "Born Again", 1983), "No Worries" (einziger neuer Song auf dem Album!), "No Laughing In Heaven" (Gillan - "Future Shock", 1981), "Loving On Borrowed Time" (Ian Gillan - "Naked Thunder", 1990), "I'll Be Your Baby Tonight" (Episode Six - "Radio 1 Club - Sessions 68/69", CD 1997) und "Can I Get A Witness" (The Javelins - "Sole Agency And Representation", 1994, nur beim Bonus Material der DVD-Seite).
Das ergibt mithin einen netten Querschnitt durch das bisherige Schaffen des Schreckens aller Mikrophone und kann zusätzlich mit einem interessanten Staraufgebot glänzen, welches diese Neuinterpretationen veredelt.
Im Ergebnis kommt ein Album heraus, welches allemal spannender ist als jede herkömmliche Retrospektive eines Künstlers.
So lauschen wir hier Leuten wie Joe Satriani, Steve Morse, John Lord, Jeff Healey, Roger Glover, Ian Paice, Michael Lee Jackson, Uli Jon Roth, Ronnie James Dio, Joe Elliott ( Def Lepard) oder Johnny Rzeznik ( Goo Goo Dolls) und vermissen eigentlich nur Ritchie 'von der Vogelweide' Blackmore. Aber Ian wollte sich die Stimmung nicht versauen lassen.
Nicht immer sind die einzelnen Protagonisten prominent herauszuhören, dafür ist der Mix meistens zu überfrachtet, was aber auf der anderen Seite für einen vergleichsweise 'modernen' und frischen Sound sorgt.
Schlussendlich kann Ian Gillan sich hier in erstaunlich guter Verfassung präsentieren (auch optisch!), wir bekommen auf der DVD-Seite neben dem geradezu unverschämt besseren Klang noch so schöne Sachen wie ein 'Making Of' der Aufnahme-Sessions, Bootleg Live-Aufnahmen von Deep Purple in Belgien (Flanders Expo, Gent, 18.06.1994 - mit Joe Satriani), eine Track-für-Track-Kommentierung vom Meister persönlich oder gar die Auswahl von vier verschiedenen Gitarrensoli für "Smoke On The Water" (Joe Satriani, Jeff Healey, Steve Morse und Michael Lee Jackson) geboten und können somit konstatieren, dass hier wirklich ein feines Paket für den latenten Fan klassischer Hardrock-Klänge geschnürt wurde, auch wenn der Jubilar dies gar nicht so gerne hört. Aus seiner Sicht macht er natürlich auch zeitgenössische Musik.
Aber wer vom aktuellen Album Deep Purples doch leicht bis mittelschwer enttäuscht ist, der bekommt hier eine empfehlenswerte Alternative!
Technik:
Album komplett in 5.1 Surround Stereosound
Spezielle DVD Launcher ROM Werkzeuge, die den Fans ermöglichen, auf eine andere Version von "Smoke On The Water" mit Steve Morris zuzugreifen.
Vorgefertigte AAC und WMA Dateien für uneingeschränktes Hochladen persönlicher Surroundmixe von Computerlaufwerken auf portable Endgeräte.
Spielzeit: 62:53 (CD), Medium: Dual Disc, Immergent, 2006
CD Seite:
1:Unchain Your Brain 2:Bluesy Blue Sea 3:A Day Late And A Dollar Short 4:Hang Me Out To Dry 5:Men Of War 6:When A Blind Man Cries 7:Sugar Plum 8:Trashed 9:No Worries 10:Smoke On The Water 11:No Laughing In Heaven 12:Speed King 13:Loving On Borrowed Time 14:I'll Be Your Baby Tonight
DVD Seite:
"Smoke On The Water" - wählt euren eigenen Mix aus, wahlweise mit Joe Satriani, Steve Morse, Jeff Healey & noch mehr
Das 'Making of'-Video von "Gillan's Inn" mit 'in-the-studio'-Material von Ian Gillan, Jon Lord, Ian Paice, Roger Glover, Joe Satriani, Ronnie James Dio, Michael Lee, & Jeff Healey
Bootleg in Amateurqualität, Material von Zuschauermitschnitten aus unauthorisierten Bootleg-DVDs. Tracks beinhalten "Speed King" und "When A Blind Man Cries" von Deep Purple (mit Joe Satriani an der Gitarre) bei der Flanders Expo, Genf, Belgien am 18.Juni 1994.
Diskographie, handschriftliche Songtexte von Ian Gillan, Anmerkungen zu den Tracks von Ian Gillan, Schlagzeilen von Jeff Miers, Musikkritiker der 'The Buffalo News', Zeugenschutzprogramm - eine Auswahl an noch nie zuvor gesehenen Fotos inklusive Bonustrack "Can I Get A Witness"
Bonustrack - "Demon's Eye" mit Jeff Healey, Jon Lord & Michael Lee
Olaf 'Olli' Oetken, 15.04.2006
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