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Jim Gilmour / Great Escape
Saga-Fans werden dieser Tage schon ziemlich hin und her gerissen, erst die Meldung über den endgültigen Ausstieg von Frontröhre Michael Sadler und jetzt auch noch ein angekündigtes Solowerk von deren Tastenzauberer Jim Gilmour.
Eines schon mal vorab: Die knochenharten Liebhaber der mittlerweile seit 30 Jahren musizierenden kanadischen Melodic-Legende werden jedenfalls entzückt darüber sein, was Gilmour nach gut acht Jahren, zum wiederholten Mal, mit seiner fast einstündigen Studioproduktion aus dem Ärmel gezaubert hat. Es ist schon erstaunlich zu hören, was aus dem ehemaligen Piano spielenden Steppke,
dessen großes Vorbild immer Eddie Jobson, Tastenmann der britischen Progkapelle UK war, und welcher sich als stolzer Besitzer eines Yamaha-CS 80 Synthesizers durch das Repertoire von Gentle Giant und Steely Dan coverte, geworden ist.
Seit 1980 hat der gebürtige Schotte maßgeblich den Sound von Saga mitgestaltet, deshalb verzeiht man ihm auch sicherlich die Keyboard-Lastigkeit des neuen Albums. Mit dem programmatisch betitelten "Great Escape" und zweiten musikalischen Soloschlag, schaut er deutlich über den Saga-Tellerrand und den damit verbundenen Klischees hinaus. Selbstverständlich legitimiert es auch hierbei Parallelen zu seiner Hauptband, und natürlich
zieht der begnadete Mann an den Tasten diesmal recht originell bzw. improvisationseifrig
sämtliche Register seines Könnens und tobt sich spielerisch-technisch so richtig aus.
Beeindruckend bzw. hoch anzurechnen ist ihm dabei, dass bei diesem Werk trotz seiner Instrumentallastigkeit und Verspieltheit, der Hauptaspekt des 'Songs' niemals ins Hintertreffen gerät, und der Künstler sich nicht in virtuoser Eitelkeit suhlt. Erstaunlich ist tatsächlich auch, dass es bei diesem basslosen Stück Musik keinesfalls am nötigen Druck und Bombast fehlt. Der Meister selbst hat sich seit seiner letzten Produktion gesangstechnisch stark verbessert, das heißt aber auch, man wird sich an das dünne, Falsett-Regionen streifende Organ,
gewöhnen können.
Gastsängerin Corrina Tofani soll dabei sicherlich nur beim etwas zu gekünstelten Song "Lost Along The Way", der etwaigen Auflockerung dieser sonst sehr von Synthesizer-Trademarks und Gitarrenheftigkeit bestimmten Kompositionen, dienen. Die konzeptionell Fifty-fifty aufgeteilten Lied-und Instrumentaltracks bilden insgesamt keinen Einheitsbrei, so wäre es auch etwas hirnrissig bzw. vermessen, auf jeden Einzelnen einzugehen oder gar Einen herauszustellen. Gilmours Musik klingt keinesfalls nach der eines Menschen, der aus seinem abgelegenen alten Blockhaus in die Schneewolken starrt und dabei gedankenverlorene Melodien erfindet. Eher versucht er sich quasi als musikalischer Landschaftsmaler, verarbeitet seine Eindrücke von Streifzügen durch die kanadische Wildnis, beschreibt mit sporadisch anmutigen Pianoimpressionen bzw. episch angelegten Synthie-und Gitarrenintonationen den Zauber und die Strenge der einheimischen Wälder und Naturparks ("Algonquin").
Teils tiefgehende, kantige Melodien und eine schier keyboardlastige Kraft sind die
hervorstechenden Eigenschaften der aktuellen Platte, welche sich mit ihrer übermächtigen
Klangmasse wie ein infernales musikalisches Werkzeug ins Hirn bohrt.
Unterstützt von der exzellenten und ungeheuer groovig agierenden Rhythmusgruppe, welche sich (ungewöhnlich) aus den zwei Schlagzeugern, Christian Simpson (Ex-Saga) und Roger Banks, sowie dem Gitarristen John Bianchini zusammensetzt, darf Gilmour - im Gegensatz zum Debütalbum - seine wahren Qualitäten hervorkehren. Es brillieren und schallen die elektrisch verstärkten Saiten, sorgen die variationsreichen Synthiepassagen für ein wohlströmendes Wellenbad, teils aber auch für eine Flut,
die immer im Kontext mit dem Gesang stehen bzw. diesen nicht unterbuttert. Die zehn Tracks glänzen zwar im 16:9-Format auf der Großleinwand, wollen aber trotz aller
Monumentalität nicht zu dem erwünschten musikalischen Höhenflug führen.
Das Melodiebedürfnis für Genreliebhaber wird dafür auf das Enormste befriedigt, auch wenn meines Erachtens, das Gros etwas zu poppig ausgefallen ist. Über das mittlerweile zur Mode verkommene Bonusbonbon nach dem Leerlauf lässt sich
streiten, auch wenn der so genannte Hidden-Track eine musikalische Improvisation auf sehr hohem künstlerischen Niveau darstellt.
Der Saga-Musiker versucht, mit einem großen Reichtum an Ideen und virtuosen Esprit, sich abseits seiner Hauptarbeitgeber zu bewegen, was ihm wohl angesichts des übermächtigen Schattens nicht vollends gelingt. Leider vermögen es die schneidigen Arrangements nicht, die dynamische Waage durchweg zu erhalten. Es ist und bleibt dennoch ein recht ambitioniertes Melodic Rock-Album, welches sich
jedoch leider nicht aus der breiten Masse an Genreveröffentlichungen herausheben
wird.
"Great Escape" dürfte aber zweifelsohne unter den Anhängern der Mutterband Gilmours seine Konsumenten finden, und mit so viel Popappeal in den Fingern, würde ich den Herrn Musikern durchaus einen kommerziellen Erfolg wünschen.
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