Sascha Gutzeit war für mich bis vor kurzem noch ein No-Name. Beim Checken seines Line-ups fallen mir sofort zwei Namen auf, Wolfgang Niedecken und Theofilos Fotiadis. Den Einen, Niedecken, werden die Meisten mit BAP in Verbindung bringen, der andere, Fotiadis, hat wohl noch nicht so einen hohen Bekanntheitsgrad. Doch ich hatte ihn 2008 schon auf der Bühne an der Seite von Henrik Freischlader gesehen, als er für Oliver Schmellenkamp einsprang und den Bass bediente. Wie man vor kurzem unseren News entnehmen konnte, gehört der gute Theo künftig zum festen Stamm der Henrik Freischlader Band. Doch zurück zu Gutzeit, der sein achtes Album mit "Trassenfieber" betitelt und sich dabei als wahrer Meister der deutschen Songschreiberei präsentiert. Gut, das er all seine Songtexte im Booklet verewigt hat, unter anderem, weil sie kaum aus mitzusingenden Refrains bestehen, sich aber wie abgeschlossene Geschichten anhören und perfekt als Nachschlagewerk zu diesem Album dienen. Zahlreiche Bilder von älteren Schienenbussen lassen eindeutig die Thematik des Silberlings erkennen. Eben "Trassenfieber", das im engen Zusammenhang mit seiner Heimatstadt Wuppertal steht.
Lassen wir die CD erzählen, die gleich am Anfang den Titeltrack präsentiert. Ein richtiger Appetithappen, bei dem man die Songschmiedequalitäten von Sascha erkennt. Auf sehr hohem Niveau gibt's hier kein sinnloses Blabla, sondern hochwertige Texte. In der Tat, ist mir noch nie solch ein Duden an Textvorlagen in Musikform untergekommen.
"Es fährt kein Zug nach Nirgendwo" kommt mir bekannt vor, und zu meiner Schande fällt mir auch gleich der Name ein, Christian Anders. Doch keine Panik, denn der einstige Schlager-Guru hatte seinen Song 1972 mit "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" betitelt. Der Gutzeit-Song ist aber um Klassen besser! Seine tolle Rhythmus-Combo begleitet ihn hervorragend bei seinen genialen Textpassagen. Es folgt eine Liebeserklärung an Wuppertal, "Bin verliebt in meine Stadt" heißt das Chanson, das er butterweich ins Mikro haucht. Da geht es bei "Vohwinkel, Vohwinkel" schon erheblich swingender zu. Dieser Song ist eine klasse Deutsch Rock-Nummer. Dass der Zuhörer gezwungen wird, den Tonträger aufmerksam zu verfolgen, liegt vor allem an "Das Geräusch von dem Zug, der nicht kommt", denn allein der erste Absatz regt zum Mitdenken an. Doch es sind nicht nur die anspruchsvollen Texte, die bei mir für gute Laune sorgen, sondern, wie bei "Feiern am Dorp", sind es auch die instrumentalischen Einlagen. Das setzt sich auch bei "Zeit sich zu vertragen" fort. Doch hatte ich von Anfang nicht das Verlangen mich zu vertragen, denn ich wurde ziemlich schnell warm mit der Musik-Konserve Gutzeits! Der 37-jährige lässt als Germanist ziemlich heftig die Muskeln spielen, denn man beachte den folgenden Titel: "Nordbahntrassenfledermaus"! Was für eine
Wortzusammensetzung…!
Mit dieser Nummer könnte er in jedem Kabarett auftreten, ein Tipp für Hallervordens 'Wühlmäuse'! Doch dass es der im Sternzeichen Steinbock Geborene auch richtig rockig draufhat, beweist er mit "Heißmangel aufm Rott", das nicht nur wegen der 'Heißmangel' ein ziemlich temperierter Song ist.
Nun folgt eine Zeitreise ins Jahr 1987, "Mädchen vom Heubruch" betitelt der Song-Poet dieses Liebeslied, das auch, oder gerade wegen, »Ihr Lächeln war unbeschreiblich und ihre Zahnspange funkelte im Mondlicht…«, ein besonderes Flair erhält. Ein »Guten Morgen« eröffnet "Mein Viertel", einen Track, den er der Ortschaft Wichlinghausen widmet. Nun folgt aber mit "Heut Nacht bleib ich hier bei dir" ein richtiger Kracher, eine Coverversion von Bob Dylans "Tonight I'll Be Staying Here With You", die Sascha gesangstechnisch im Duett mit dem legendären Deutsch Rocker Wolfgang Niedecken vorträgt.
Bei seiner folgenden 'Sonderfahrt' sammelt Gutzeit bei mir einen Bonus-Punkt, weil er in "Der Samba Fuhr" mit »in meinem Zimmer hörte ich Platten von Neil Diamond und AC/DC….«, die Aussie-Rocker erwähnt, die doch zu meinen persönlichen Favoriten zählen. Zum Schluss gibt's noch zwei Bonus-Tracks, "Der Sommer ist in Wuppertal" und "Moppern" auf die Ohren, die sich nahtlos dem vorherigen Niveau anpassen. Sascha Gutzeit ist ein bemerkenswerter Musiker, dessen herausragendes Merkmal das Songschreiben ist. Dieses offenbart er sehr abwechslungsreich, mal im Chanson, mal im leichten Jazz, zum Teil im Blues und alles im allen im Deutsch Rock. Die Wuppertaler werden ihr talentiertes Eigengewächs sicherlich kennen und ich könnte mir gut vorstellen, dass seine Songs sogar von Deutsch-, Geschichts- und Musiklehrern für Unterrichtszwecke genutzt werden. Warum auch nicht? Das sollte zumindest das Schulschwänzen erheblich verringern! Immerhin hat der scharfe Beobachter einen großen Teil der Geschichte seiner Heimat in Noten und Wort festgehalten und damit sich selbst ein musikalisches Denkmal gesetzt! Für Liebhaber von Deutsch Rock, die auch auf sehr anspruchsvolle Texte stehen ist der Erwerb des Albums absolute Pflicht. Ob es aber auch die Fans von Grönemeyer, Westernhagen, BAP oder Extrabreit ansprechen wird, muss man abwarten. Die Qualität von "Trassenfieber" stimmt und hat gegenüber Nuschel- Herby den großen Vorteil, dass man Gutzeit glänzend versteht! Somit erspielt sich die Platte starke 8,5 von 10 RockTimes-Uhren!
Line-up:
Sascha Gutzeit (vocals, guitars, clavier, e-piano, organ)
Ingo Meyer (e-guitar)
Theofilos Fotiadis (e-bass)
Martin Huch (hawaiiguitar)
Björn Krüger (drums)
Wolfgang Niedecken (vocals)
Tanya Münster (background vocals)
Tonia Decker (background vocals)
Vanessa Berg (background vocals)
Tracklist |
01:Trassenfieber
02:Es fährt kein Zug nach Nirgendwo
03:Bin verliebt in meine Stadt
04:Vohwinkel, Vohwinkel
05:Das Geräusch von dem Zug, der nicht kommt
06:Feiern am Dorp
07:Zeit sich zu vertragen
08:Nordbahntrassenfledermaus
09:Heissmangel aufm Rott
10:Mädchen vom Heubruch
11:Mein Viertel
12:Heut Nacht bleib ich hier bei dir (Duett mit Wolfgang Niedecken)
SONDERFAHRT
13: Der Samba Fuhr…
BONUS
14:Der Sommer ist in Wuppertal
15:Moppern
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