Mark Knopfler And Emmylou Harris / All The Roadrunning
All The Roadrunning
Was erwartet den gemeinen Musikfreund wenn Mark Knopfler und Emmylou Harris ein gemeinsames Album herausbringen? Natürlich keinen Rock 'n' Roll. "All The Roadrunning" ist ziemlich genau die Schnittmenge zwischen dem Rock-Leisetreter und der Grand Dame der Countrymusik, das Beste von Beiden anno 2006.
Zwölf sehr atmosphärische, entspannte, emotionale Songs, meist im Low- oder Midtempo-Bereich angesiedelt, also das, was landläufig in der aktuellen Musik medienübergreifend aber nichtsdestowenig völlig falsch als "Balladen" (eine Ballade ist ein dramatisches Gedicht oder ein solches Lied) bezeichnet wird. Zehn stammen von Knopfler, zwei von Harris und sind meist akustisch-folkmäßig instrumentiert, wobei sogar das Gewicht mehr zum Countryhaften als zu den 'Celtic Spirits' neigt. Die beiden vielfachen 'Grammy'-Gewinner werden von Knopflers derzeitiger Band begleitet, dazu kommen diverse Gäste.
Knopfler und Chuck Ainley haben die soundmäßig obligatorisch beste Produktion gemeinsam gestaltet. Schöne, nahtlos an die letzten Soloproduktionen des Schotten anschließende Arrangements, voller ästhetischer Eleganz. Die beiden Stimmen, Knopflers kratziges Timbre und die zeitlos glockenhelle der zeitlos Schönen (ihre Stylistin findet im Booklet besondere Erwähnung …) wechseln sich in den Lead- und Begleitparts ab und ergänzen sich hervorragend. Dazu geben die berühmten Gitarrensounds den Songs noch die Kicks, die der gemeine Musikfreund eben von diesem Ausnahmespieler erwartet.
Der gemeine Dire Straits-Fan wird jedoch einmal mehr die guten alten Zeiten herbeiwünschen, in denen Knopfler gerockt und nicht nur geschmust hat. Sein Finger wird halbwegs wiedererkennungsfreudig mit der Skiptaste zwischen den Songs Nr. 3, Nr. 7 und Nr. 9 hin- und herzappen und beim Rest ein leises 'Schnulzenfuzzy' seine Lippen umspielen. Und wird weiter auf ein neues Dire Straits-Album warten.
Und der gemeine Country-Liebhaber? Harris hat eh längst einen unantastbaren Status und weilt jenseits der mainstreamigen Nashville-Gefilde in einem eigenen Sound-Elysium (dank solcher außergewöhnlicher Produzenten wie Daniel Lanois ). Die Emmy-Verehrer werden die paar vielleicht ungewohnten Zwischennoten kaum wahrnehmen, zumal ihr Idol regelmäßig mit den unterschiedlichsten Duett-Partnern ihre elfenhafte Stimme erhebt.
Zweifelsohne wird "All The Roadrunnig" sämtliche Charts stürmen und in den einschlägigen Medien von 'Frau im Spiegel' bis zum 'BR-Landfunk' als 'Platte des Jahres' ausgerufen werden. Auch fachorientiertere Publikationen werden sich nicht lang mit der Frage aufhalten, ob zwei derartige Ikonen des schönen Klangs möglicherweise hart am Schnulzentum entlangschrammen. Musik ist Geschmacksache und das ist gerade hier der einzige Maßstab, der gilt. Wer die letzten Produktionen der beiden Künstler liebt, wird auch dieses Album auf den Hausaltar stellen.
Nun, zumindest die Feingeister, die nicht nur den makellosen Arrangements und schönen Stimmen verfallen sind, sollten sich auch mit den Inhalten beschäftigen - alle Texte sind im Booklet enthalten. Die sind nämlich nicht ohne. Knopfler wird demnächst 57, die Fee ist sogar schon 59, also beide in einem reifen Alter. Wie in einem Interview zu hören war, verstehen sie ihr gemeinsames Werk als 'erwachsene Musik' und als Gegenpol zum Jugendwahn (der Rezensent grübelt, wo ihm wohl dieses Statement unlängst schon untergekommen sein mag…). Es gibt entsprechend nachdenkliche (der Titeltrack) und ernste Themen ("Beachcombing" beschäftigt sich mit den Seekatastrophen, "If This Is Goodbye" ist eine Reflexion auf den 11. September), melancholische Alltagsgeschichten ("Donkey Town") und natürlich Lovesongs. Alter (sofern der Begriff überhaupt in diesem Zusammenhang erlaubt ist) schützt vor Spaß und Lust bekanntlich nicht, oder was wollen uns die beiden Künstler sonst damit sagen:
"If I was a fender guitar
A fender painted red
You could play me, darlin'
Until your fingers bled
If I was on of them gibsons
Like a '58 or '9
you could plug me in
and play me any time
you're gonna need a rider anyhow
let me be your rider now"
["Red Staggerwing"]
Nur warum Herr Knopfler den Moody Blues-Klassiker "Your Wildest Dream" als "Beyond My Wildest Dreams" nochmals komponieren musste, verursacht dem Rezensenten leichte Fragezeichen.


Spielzeit: 50:35, Medium: CD, Mercury Records, 2006
1:Beachcombing 2:I Dug Up A Diamond 3:This Is Us 4:Red Staggerwing 5:Rollin' On 6:Love And Happiness 7:Right Now 8:Donkey Town 9:Belle Starr 10: Beyound My Wildest Dreams 11:All The Roadrunning 12:If This Is Goodbye
Norbert Neugebauer, 24.04.2006