Hancox / Vegas Lights
Vegas Lights Spielzeit: 45:17
Medium: CD
Label: I Sold My Soul Media, 2012
Stil: Psychobilly, Blues Rock


Review vom 12.03.2013


René Francke
Anfang der 1980er schwappte eine Psychobilly-Welle vom britischen Festland in die Welt hinaus. Allen voran: Pip Hancox mit seiner legendären Band Guana Batz. Nach sechsjähriger Pause in den 90ern touren die Gralshüter des Psychobilly nun schon seit 2001 unermüdlich durch die Welt, wobei seitdem allerdings auch kein neues Studioalbum entstanden ist. Die glorreiche Zeit der Szene liegt weit zurück und so entschied sich Hancox vor kurzem, noch einmal alles auf null zu setzen: Zusammen mit seinen treuen Weggefährten Guana Batz-Bassist Johnny Bowler, Gitarrist Gino Meregilano und Schlagzeuger Alex Pappas (Finch) hat man nach langer Studioabstinenz und unter dem Nachnamen des Frontmanns eine feurig brutzelnde und energetisch dichte Komposition aus Psychobilly, Blues Rock und Punk Rock geschaffen, die dem Genre neues Leben einhauchen kann.
Im Intro baut sich eine skurrile Spannung auf: Dank einer Soundcollage bestehend aus mysteriösen Windklängen, Fetzen sehr alter Radioansagen, die fast wie geheime Tonaufnahmen wirken, und einem schrägen Pfeifton hat man als Zuhörer das Gefühl, sich in einem verschrobenen Alienfilm der 1950er Jahre zu befinden. Und nach gut einer Minute wird man schnurstracks in den fantastisch bluesig dahin rollenden Rockabilly-Groove von "London Streets" hineingesogen, der sich kurz darauf wie eine erfrischende Klangwelle über den Zuhörer ergießt und diesen unentrinnbar mitreißt. Wow! Da wippt und zappelt der Bewegungsapparat von der ersten Sekunde an prächtig mit und man sieht sich selbst schon mit allerlei 'Bling-Bling' in einem fetten weißen Cabrio im Sündenbabel Vegas einfahren.
Das folgende "Toxic Twins" saugt einen mit seinem treibenden Rock'n'Roll-Beat noch tiefer in die dunklen Abgründe der Casinos und in die ausschweifende Spiel- und Feieratmosphäre der Stadt, dass es mir beim Tanzen ein teuflisch jauchzendes Gackern entlockt.
"Sally" verdrischt den Zuhörer in bester Hanson Brothers-Manier, während der Punkabilly-Feger "Black Door City" auch den letzten Tanzmuffel durchschüttelt, indem eine enorme Dosis eines unwiderstehlichen Klanggiftes intravenös verabreicht wird.
"Beautiful Creature" beginnt zunächst mit einer verschmust bluesig-tänzelnden Gitarrenfigur, doch man ahnt schnell, dass hier gleich ein mächtiger Tornado losbrechen wird. Und so geschieht es auch: Urplötzlich befindet man sich in einem sturmumtosten Meer aus meterhohen Klangwellen, die sich auftürmen, kurz abflauen, wieder aufbäumen, mich in einem herrlich kreischenden Solo mit Haut und Haar verschlingen, um mich am Ende des Songs wieder auszuspucken und an den Strand der Realität anzuspülen, an dem ich mit einem diabolischen Lächeln auf meinen Lippen ausnüchtern kann.
Wenn beim Intro des Albums noch ein paar Gebäude in Vegas unversehrt standen, dann sind auch diese spätestens jetzt bis zu ihren Grundmauern niedergerissen worden von einem ungeheuer explosiven Psychobilly-Blues Rock, den Hancox' Truppe hier zündet. Auch in den folgenden Stücken "7th Daughter", "Ellinore" und dem Instrumentalstück "Carburetor" brauen Hancox und seine Mannen mit druckvollen Gitarrenläufen, wohlig wummernden Bässen und drängenden Schlagzeuglinien einen ansteckenden Klangcocktail, der gnadenlos den Rhythmus in jede einzelne Körperzelle jagt. In "Bleed" tauscht man das weiße Cabrio vom Eingangstrack gegen einen jungen Klepper auf Speed und reitet des Nachts durch die Straßen von Vegas auf der Suche nach dem nächsten Duell - Johnny Cash lässt grüßen. Bei "Shake" werden dreckige Stoner Rock-Gitarren mit einem teils mehrstimmigen Gesang verbunden, der ein wenig an flegelhafte Sleaze-/Glam Rock-Zeiten erinnert.
Dass Hancox auch sanftmütig klingen können, beweisen sie im Titeltrack "Vegas Lights": Mit herzerweichend gezupften Akustikgitarren und einem weinenden Herzen verabschiedet man sich von diesem Sündenpfuhl und weiß, man wird zurückkehren. Zu guter Letzt liefert die Combo mit dem Blondie-Klassiker "Call Me" im neuen monströsen Classic Rock-Gewand den perfekten Abschluss, um auch den letzten stillstehend Gebliebenen in den Boden zu rammen.
Über jedem Song thront Pips markant raue Stimme, die dem Gesamtwerk Seele verleiht. Besonders beim Titeltrack kommt sein Organ zur vollen Entfaltung, indem der Frontmann all seine Färbungen von sanft säuselnd bis kratzig flehend geschickt einsetzt, ohne dabei in den Kitsch abzugleiten. Und wer genau lauscht - zwischen den Zeilen, zwischen den Tönen - der kann den feierlichen Abgesang auf eine ausgelaugte und dahinsiechende Stadt heraushören; das suggerieren sowohl das Cover, wo ein postapokalyptisches Vegas am Ende der Straße in Trümmern erstrahlt, als auch die Fotografien im Booklet, die von düsteren Zukunftsvisionen erzählen. Sinnbildlich kann das auf eine ganze Nation übertragen werden - damit erhält die Platte sogar einen (ungewollt?) politischen Touch.
"Vegas Lights" klingt nicht nur nach Vegas, man kann die ihr anhaftende Verruchtheit regelrecht riechen und die Versuchungen schmecken; man will augenblicklich spielen, sich austoben, völlig enthemmt umher tanzen, verschwenderisch sündigen und sich wie ein wild gewordenes Feierbiest aufführen, als gäbe es kein Morgen mehr. Wer den manchmal etwas übermäßig eingesetzten Bombastsound verschmerzen kann, erlebt hier ein kolossales und unheimlich entfachendes Musikwerk. Wärmstens zu empfehlen!
Line-up:
Pip Hancox (vocals)
Alex Pappas (drums)
Johnny Bowler (upright bass)
Gino Meregilano (guitar)
Tracklist
01:Intro
02:London Streets
03:Toxic Twins
04:Sally
05:Black Door City
06:Beautiful Creature
07:7th Daughter
08:Ellinore
09:Carburetor
10:Bleed
11:Shake
12:Vegas Lights
13:Call Me
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