Heart / Original Album Classics
Original Album Classics Spielzeit: 52:01 (CD 1), 50:30 (CD 2), 44:10 (CD 3), 40:51 (CD 4), 42:26 (CD 5)
Medium: 5-CD-Box
Label: Sony Music (Epic Records), 2013 (1977, 1978, 1980, 1982, 1983)
Stil: Rock


Review vom 29.09.2013


Steve Braun
»Ba Damm-Damm, Ba Damm-Damm, Ba Damm-Damm« 'donnert' es blechern-scheppernd aus dem Lautsprecher des ollen Schwarz-Weiß-Fernsehers. Was für ein geiles Riff! Die zwei zuckersüßen Sahneschnittchen ziehen die Studiokameras auf sich - zwei von der Sorte 'Phantasien pickeliger Pennäler'. Eine engelsgleiche Stimme ertönt und der andere Rauschgoldengel spielt sogar Gitarre! Häh? Können Frauen das überhaupt???
Es war das wilde Jahr 1976, der gute alte Musikladen lief, Heart brachten ihren ersten Superhit "Magic Man" zu Gehör und meine Kinnlade klapperte hypernervös und leicht irritiert auf den Kniegelenken herum. Eine unruhige Nacht sollte bevorstehen...
Am Morgen danach drehten sich die Diskussionen auf dem Schulhof einzig um Heart und die verklemmten Heranwachsenden fragten sich verwirrt, ob die blonde Schönheit tatsächlich Gitarrespielen kann oder das nur eine raffinierte Bühnenshow gewesen war. Waren das Zeiten...
Das Debütalbum "Dreamboat Annie" war schnell gekauft und es wurde ebenso schnell sonnenklar, dass diese Nancy Wilson wie der Teufel persönlich klampfen kann. Spätestens nach dem Intro zu "Crazy On You" - der ersten Single, die zuvor irgendwie an mir vorbeigelaufen war - konnte es da nicht mehr den geringsten Zweifel geben!
Das war der Beginn (m)einer kurzen Lovestory mit Heart, die nach einer ganzen Serie von enttäuschenden Alben ab 1982 dann doch relativ jäh und glanzlos endete. Die ersten fünf Alben waren dagegen umwerfend - sie würden alle in meine persönliche, fiktive Top-100-Bestenliste gehören. Eine relativ unbekannte Nummer wie "Just The Wine" wird auch heute noch regelmäßig gespielt, wenn der Herr des Hauses mal wieder dem Geist deutscher und französischer Weinkeller zu stark zugesprochen hat und das weinselige Bedürfnis verspürt, dem Feeling der 'guten alten Zeit' nachtrauern.
Drei dieser Inselplatten - "Little Queen" (1977), "Dog & Butterfly" (1978) und "Bebe Le Strange" (1980) - wurden nun von Sony Music für die erfolgreiche Serie "Original Album Classics", mit einer Handvoll Bonustracks aufgewertet, neu aufgelegt. Als lehrreichen Kontrast dazu, hat man auch die beiden folgenden 'Zitronen' - "Private Audition" (1982) und "Passionworks" (1983) - dazugepackt. Vielleicht nicht die optimale Konstellation, aber wegen der Rechte von Sony/BMG war keine bessere möglich.
Heart Mit dem Hit "Barracuda" stürmt man ziemlich ungestüm in "Little Queen". Für viele Fans DIE Heart-Nummer, mir persönlich war der Song wegen des 'galoppierenden' Riffs immer etwas zu unruhig. Doch das Album entwickelt sich ganz anders, als dieser fulminante Auftakt erwarten lässt. Bis auf die zweite Single "Kick It Out" bewegt sich die musikalische Kost vorwiegend im Balladen- und Midtempo-Bereich - wie "Love Alive": pfiffig arrangiert, komplex, wie ein stiller See in sich ruhend. "Sylvan Song" und "Dream Of The Archer" spinnen in diesem Stil den Faden reichlich zauberhaft weiter, spielen hier mit hintergründigen Folkelementen. Zwei weitere Highlights des Albums stellen die beiden Midtempo-Balladen "Treat Me Well" und "Go On Cry" dar, die m. E. zu den besten Kompositionen Hearts gezählt werden dürfen. Der Titelsong - die dritte Single, wie "Kick It Out" eher ein Flop - setzt mit einem Funky-Riff und der druckvollen Rhythmik dem Ganzen die Krone auf.
Es hätte wahrlich nicht das legendäre Stairway To Heaven als weiteren Bonus gebraucht, um Ann (gesangliche) und Nancy Wilsons (gitarristische) Qualitäten noch einmal in den Fokus zu rücken. Sie machen diesen live aufgezeichneten Song (es war wohl 2004) zu einem echten Erlebnis - wie das gesamte "Little Queen"-Album. Es war zu Recht ein Bestseller und zählt für mich auch heute noch zu den Referenzscheiben der Siebziger!
Heart "Dog & Butterfly" ist für mich das überzeugendste Heart-Album und eines der besten generell. Das liegt nicht nur an einem der schönsten Songs, die jemals geschrieben wurden. (Warum, zur Hölle, kennt jeder "Stairway.." aber kaum jemand "Mistral Wind"?) Hier wurde das Zusammenfügen von Gegensätzen auf die Spitze getrieben. Ein Teil der Songs ist bissig, wie Hunde eben - der andere bunt und spielerisch tänzelnd wie Schmetterlinge. Erneut wird die Platte stürmisch eröffnet - mutig, mit "Cook With Fire" ausgerechnet ein Live-Take dafür auszuwählen. Im Gegensatz zum Vorgänger wird das Tempo aber hoch gehalten und mit "High Time" ein weiterer Wadenbeißer nachgelegt. "Hijinx" groovt sehr lässig, aber mit deutlichen Widerborsten im Midtempo daher. "Straight On" spiegelt mit seinem stampfenden Rhythmus zwar den damaligen Disco-Zeitgeist wider, aber mit einem deutlichen Augenzwinkern und den 'Dog-Zyklus' erstmal beendend. Jetzt präsentieren Heart mit drei Balladen - wobei "Lighter Touch" allerdings auch schon mal zupackender wird - ihre 'Butterfly-Seite'. Und dann kommt das bereits angesprochene "Mistral Wind". Die Musen, die Ann und Nancy Wilson zu diesem göttlichen Song inspiriert haben, müssen tatsächlich dem Bodenpersonal des Olymp entsprungen sein. Schöner war Rockmusik selten - davor wie danach!!!
Der Reigen der Boni wird mit einer Live-Version von "Heartless", das im Original das (tolle) 1977er Album "Magazine" eingeleitet hatte, eröffnet. "Feels" ist eine weitere tolle Rarität, denn dieses Take wurde später komplett überarbeitet und als "Johnny Moon" auf dem 1983er "Passionworks" veröffentlicht. Mit "A Little Bit" beendet ein kurzes akustisches Zwischenspiel von Nancy Wilson
"Dog & Butterfly", das Sahnestückchen dieser Box
Heart Jede Band hätte Schwierigkeiten gehabt, nach einem solchen Hammerteil einen adäquaten Nachfolger zu präsentieren. Heart schafften das mit "Bebe Le Strange" nicht nur spielend, sondern konnten den Schwung ausnutzen und ihr bis dahin erfolgreichstes Album veröffentlichen. Der Aufbau unterscheidet sich allerdings deutlich von den beiden Vorgängern: Der Titelsong rockte eher mit angezogener Handbremse daher und wurde von einem samtweich-geschmeidigen, aber dabei durchaus druckvollen Slow Blues, "Down On Me", abgelöst. Erst nach dem obligatorischen, rein akustischen Nancy Wilson-Soloritt ("Silver Wheels") wurde die rockige Keule geschwungen, wobei "Rockin' Heaven Down" allerdings vergeblich versuchte, sich vom "Mistral Wind" in himmlische Regionen tragen zu lassen. Trotzdem eine bemerkenswerte Nummer! "Even It Up" war eine der Singles und eine - mit powernder Horn Section - absolut überzeugende, wohingegen der Titelsong diesbezüglich gnadenlos floppte. "Raised On You" basiert auf einer packenden, von Nancy gespielten Pianofigur und gehört ebenso wie die Pianoballade "Sweet Darlin'" zu den Glanztaten eines Albums, das vielleicht 'qualitativ' nicht an "Dog & Butterfly" anschließen, aber immerhin durch eine deutlich rockigere Ausrichtung glänzen konnte.
Als Boni gibt es mit "Jackleg Man" einen Outtake aus den Sessions zu "Bebe Le Strange", der sehr ausbaufähig klingt und sich auf der Scheibe sicherlich besser als das etwas 'verwirrte' "Strange Night" gemacht hätte. Der Uptempo-Rocker "Break", einem mir unbekannten Konzert entliehen, ist mir persönlich etwas zu eindimensional, aber sicherlich eine nette Geste.
Heart Hatten Heart ihren Zenit bereits mit "Bebe Le Strange" leicht überschritten, so beschleunigte sich dieser Abwärtstrend mit den beiden folgenden Alben kontinuierlich. Die Bandleaderinnen sprechen in Interviews von den frühen und mittleren achtziger Jahren stets von einer verko(r)ksten Zeit. "Private Audition" kann zu keinem Zeitpunkt an die drei vorgenannten Alben anschließen, ist allerdings nicht 'ungeniesbar'. Das an sich gute Potenzial des Ausgangsmaterials scheint vielmehr nicht optimal inspiriert ausgeschöpft worden zu sein. Waren Hearts Balladen zuvor meist von luftiger Leichtigkeit und einem inneren Zauber geprägt, so geraten diese bei "Private Audition" eher schwülstig, mit klebrigen Streichern aus der Synthesizer-Konserve verkleistert. Man kann sie eigentlich allesamt mehr oder weniger vergessen und hat immer das Gefühl, dass die Arrangements auf Massenkompatibilität getrimmt wurden. Das gilt auch für so manchen Rocker, wie bspw. das eröffnende "City's Burning", dessen Potenzial für meinen Geschmack völlig vergeigt wird. Kaum ein Song ist richtig schlecht - doch der Gesamteindruck überzeugt nur sehr bedingt. Auf die Habenseite gehören auf jeden Fall - wenn auch mit leichten Abstrichen - "Perfect Stranger", "The Situation" und "This Man Is Mine", das immerhin noch mal einen Top-20-Hit abwarf.
Insgesamt verkaufte sich "Private Audition" trotzdem in den US auffallend gut - vielleicht zu gut, weil sich dadurch der kreative Stillstand kaschieren ließ. Die falschen Freunde - Schulterklopfer und bedingungslose Ja-Sager - werden das Übrige beigetragen haben...
Heart Man darf beim Abgleiten Hearts in mainstreamige Gefilde allerdings nicht unterschlagen, dass die Geschäftspolitik der Plattenfirmen seinerzeit einen enormen Druck auf alle Künstler ausgeübt hatte. Das wird beim 1983er Output "Passionworks" nicht anders gewesen sein. Nummern wie "Blue Guitar", "Sleep Alone" oder "Heavy Heart" werden gnadenlos dem Zeitgeist geopfert und damit verschenkt. Ganz schlimm in diesem Zusammenhang: "Ambush"! Aber zur Ehrenrettung von "Passionworks" muss man anmerken, dass die Balladen wie "Allies" und "Love Mistake" deutlich besser, weil weniger 'bedeutungsschwanger' ausgefallen sind. Wenn dann noch etwas Zug in die Halbballade "Together Now" kommt, kann sogar noch einmal ein richtig guter Wurf herauskommen.
Kommerziell wie künstlerisch war "Passionworks" ein deutlicher Durchhänger, bevor zwei Jahre später zunächst mit "Heart", dann mit "Bad Animals (1987) und "Brigade" (1990) die - zumindest was die Plattenverkäufe betrifft - erfolgreichste Phase der Band beginnen sollte...
Die "Original Album Classics"-Serie von Sony Music läuft und läuft und... Mit der vorliegenden Heart-Kollektion sollte mal wieder eine unprätentiöse Käuferschicht angesprochen werden, die mehr Wert auf den Inhalt als die Verpackung legt.
Tracklist
CD 1 - Little Queen:
01:Barracuda
02:Love Alive
03:Sylvan Song
04:Dream Of The Archer
05:Kick It Out
06:Little Queen
07:Treat Me Well
08:Say Hello
09:Cry To Me
10:Get on Cry
Bonus Tracks:
11:Too Long Time (early demo of "Love Alive")
12:Stairway To Heaven (live)
CD 2 - Dog & Butterfly:
01:Cook With Fire
02:High Time
03:Hijinx
04:Straight On
05:Dog & Butterfly
06:Lighter Touch
07:Nada One
08:Mistral Wind
Bonus Tracks:
09:Heartless (BBC live concert)
10:Feels
11:A Little Bit
CD 3 - Bebe Le Strange:
01:Bebe Le Strange
02:Down On Me
03:Silver Wheels
04:Break
05:Rockin' Heaven Down
06:Even It Up
07:Strange Night
08:Raised On You
09:Pilot
10:Sweet Darlin'
Bonus Tracks:
11:Jackleg Man
12:Break (live)
CD 4 - Private Audition:
01:City's Burning
02:Bright Light Girl
03:Perfect Stranger
04:Private Audition
05:Angels
06:This Man Is Mine
07:The Situation
08:Hey Darlin' Darlin'
09:One Word
10:Fast Times
11:America
CD 5 - Passionworks:
01:How Can I Refuse
02:Blue Guitar
03:Johnny Moon
04:Sleep Alone
05:Together Now
06:Allies
07:(Beat By) Jealousy
08:Heavy Heart
09:Love Mistake
10:Language Of Love
11:Ambush
 
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