Der Rock & Roll ist tot, es lebe der Rock & Roll!
Ist diese Phrase nicht etwas abgedroschen?
Es wird ja immerhin von einschlägigen Print- und Onlinemedien geradezu gebetsmühlenartig der beklagenswerte Zustand des Musikbusiness im Allgemeinen und der Verlust guter (Rock) Musik im Bewusstsein der Allgemeinheit im Besonderen an den Pranger gestellt. Rundfunk, Fernsehen, die großen Konsensmusikmagazine und nicht zuletzt die Werbeabteilungen großer Plattenfirmen, sofern diese denn im allgemeinen Fusionierungswahn überhaupt noch in der Mehrzahlform geschrieben werden dürfen, überfluten uns mit leicht konsumierbarer Dutzendware, die so schnell aus den Ohren und sonstigen Sinnen verschwunden ist, wie sie dort hereingekommen ist.
Die sogenannten Halbwertzeiten werden immer kürzer und das Tätigkeitsprofil eines Marktforschers wird im Geschäft immer dominanter, da nur noch Trends hinterhergejagt wird, um diese dann mit einem flugs aus dem Ärmel geschüttelten Angebotsoverkill umgehend zu Tode zu reiten.
Sollte an dieser Zustandsbeschreibung unserer popularmusikalischen Kultur wirklich etwas dran sein, so ist das in der Tat ein beklagenswerter Zustand, und der Rock & Roll ist fürderhin in die ewigen Jagdgründe gegangen.
Aber halt! Stopp! Haben wir da nicht etwas übersehen?
Was sagen uns denn beispielsweise Namen wie The Hives, Turbonegro, Gluecifer, Siena Root, Diamond Dogs und nicht zuletzt The Hellacopters?
Richtig, sie kommen alle aus Skandinavien, vorzugsweise Schweden, und spielen dreckigen (Retro-) Rock ('n'Roll) in der Tradition der Endsechziger/Anfangsiebziger Rockmusikrevolution. Nichts wird hier neu erfunden, dafür aber munter neu wiederentdeckt!
Und was ist mit Jet, Kings Of Leon, Steepwater Band, Danko Jones, The White Stripes oder auch Silvertide ? Sie kommen alle nicht aus dem Vereinigten Königreich und machen ansonsten alles so ähnlich wie die vorgenannten Skandinavier.
Teilweise sind diese gesamten Bands bei großen Labels unter Vertrag und tauchen durchaus mal in den Medien auf, interessanterweise aber grundsätzlich nicht im deutschen Radio. Hier ist der Rock & Roll wahrlich mausetot, verantwortliche Programmchefs scheinen in einem ewigdauernden Dornröschenschlaf vor sich hin zu dämmern.
Aber ansonsten rappelt es durchaus im Karton, mensch muss ihn nur finden!
Beispielsweise die Hellacopters aus Schweden, ein hochenergetischer Fünfer, welcher sich 1994 zusammengeschlossen hatte, um den Rock & Roll zu retten.
Und nun heißt ihr inzwischen sechster regulärer Studiolongplayer ausgerechnet "Rock & Roll Is Dead"!
Eine Provokation vor dem Herren (welchem auch immer) und gleichzeitig Ausdruck einer herrlichen Schlitzohrigkeit dieser sympathischen Endzwanziger/Anfangdreißiger, denn auf diesem Album finden wir nicht weniger als das wahre Rock & Roll - Lebenselixier!
Das beginnt mit einem frechen Chuck Berry - Gedächtnisrocker Marke "Sweet Little Sixteen" ein paar Umdrehungen schneller gespielt, über einen "Monkeyboy" würde sich auch Pete Townshend freuen, "No Angel To Lay Me Away" überrascht mit souligem Female-Backgroundgesang und erinnert musikalisch etwas an das Zweitwerk der Black Crowes ("The Southern Harmony And Musical Companion", 1992), während "Bring It On Home" eindeutig an die Zeiten gemahnt, als die Höllenschrauber noch bei einem skandinavischen Indie-Label unter Vertrag waren und sie ungehemmt dem Punk 'n' Roll frönten, also ein Highlight für alle Fans der ersten Stunde, die mittlerweile etwas den ungestümen Dreck im Knüppelsound vermissen. Genau diese werden dann bei "Leave It Alone" ein großes Fragezeichen in ihre Mimik zaubern, denn hier erklingen wiederum Black Crowes-typische Tunes, die auf ihre Vorbilder, nämlich die Rolling Stones der Endsechziger/Anfangsiebziger treffen, einschließlich eines herrlichen Huuuuh - Choruses der beiden Backgrounddamen, eine davon übrigens schwarzer Hautfarbe mit entsprechend authentischem Organ, wirklich sehr gelungen!
Bei "I'm In The Band" kommen wir dann zum absoluten Höhepunkt dieser Scheibe, denn hier wird endgültig gerifft, als hätten sich Malcom Young, Keith Richards und Parfitt/Rossi zusammengetan, mit einem kurzen Angus Young - Tributesoli zwischendurch und einem untergründigen Grand Funk (Railroad) Touch dabei, nicht zufällig gab es von denen einen großen Hit namens "We're An American Band" (1973).
"I Might Come See You Tonight" klingt dann wie die Who im Glitterrockgewand, wiederum ein herrliches Drei-Akkord-Geriffe, wobei Gitarrist und Sänger Nicke Andersson in einem Interview bei den Kollegen von 'laut.de' den wunderschönen
Satz sagt: "(...) Dabei (die Musik der Hellacopters, d. Verf.) geht es doch nur um drei Akkorde ..."
Auch "Nothing Terribly New" lebt von eingängigem Refrain und den lockeren Riffs, die durch kurze Soli einer schneidenden Gitarre konterkariert werden.
"Make It Tonight" wird von einer flüssigen Orgel und einmal mehr zum Mitwippen animierenden Hooks begleitet und der Rausschmeißer "Time Got No Time To Wait For Me" bringt mir noch einmal nachdrücklich Grand Funk (Railroad) ins Gedächtnis, ist aber wesentlich rock'n'rolliger, als diese jemals waren, denn der Schlussteil des Songs kickt uns so richtig schön in den A...!
Es bleibt festzuhalten, dass die vielen Referenzverweise nicht darüber hinwegtäuschen sollen, dass die Hellacopters spätestens seit dem 2000er "High Visility" Album ihren eigenen, individuell sehr gut erkennbaren Sound entwickelt haben.
Großer Pluspunkt dieser aktuellen Produktion ist dabei, dass sie endlich ihre Tracks in nur zwei Wochen komplett im Studio live eingespielt haben, was ihre Energie und ihren Drive einfach besser zur Geltung kommen lässt.
Live on stage ist sowieso die Hölle los, das sind sie ihrem Bandnamen schließlich auch schuldig.
Darüber hinaus kann ich die von mir wahrgenommene Einschätzung anderer Kritiker, die von großen Einflüssen von Bands wie Kiss, Motörhead, Stooges, MC5 oder auch AC/DC schreiben, nur sehr bedingt teilen.
Zumindest ihre nunmehr letzten drei Produktionen scheinen sich eher an den von mir genannten Rolling Stones, The Who, Grand Funk (Railroad) oder Black Crowes zu orientieren, mit einer Portion Glitterrock gewürzt, ohne die punkige Vergangenheit vollkommen aus den Augen zu verlieren.
Das ergibt eine sehr scharfe und dennoch bekömmliche, weil diesmal auch sehr abwechslungsreiche Kost, trotz der berühmten drei Akkorde, die dem Titel dieser CD erfreulicherweise Lügen straft und eingangs erwähnte Phrase zu absoluter Aktualität verhilft.
Es gibt dieses Teil übrigens auch als DeLuxe Edition, wo eine ca. 25minütige Dokumentation der Plattenaufnahmen in Stockholm auf DVD enthalten ist!
Highly recommended!
Spielzeit: 40:45 - (DVD 25:00), Medium: CD, Universal Music, 2005
1:Before The Fall 2:Everything's On T.V. 3:Monkeyboy 4:No Angel To Lay Me Away 5:Bring It On Home 6:Leave It Alone 7:Murder On My Mind 8:I'm In The Band 9:Put Out The Fire 10:I Might Come See You Tonight 11:Nothing Terribly New 12:Make It Tonight 13:Time Got No Time To Wait For Me
Olaf "Olli" Oetken, 16.07.2005
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