Hello Cleveland / Pretty One
Pretty One
Wabbernder Bass, treibende Wah Wah Gitarre, teils vertrackte Songstrukturen, dann wieder punktgenau auf den Garpunkt kommende Titel. Angesiedelt im Grenzbereich Rock / Progrock.
Hört sich nach genialem 70er Jahre Rock an und das ist gut so, war doch gerade diese Zeitspanne definitiv die Hoch-Zeit des Genres.
Mancher mag jetzt einwerfen: "Wozu brauchen wir so was heutzutage? War doch alles schon da und man kann ja die alten Scheiben hören."
Finde ich nicht, denn das würde ja implizieren, dass, nur weil etwas schon mal in ähnlicher Form vorhanden war, gute Musik heutzutage keinen Stellenwert mehr hat. Leider scheint sich die Musikindustrie diese Denkweise auch zu eigen gemacht zu haben.
Stellen wir uns vor: Keinen guten Sex mehr, denn den hatten wir ja schon, keinen alten Bordeaux mehr, gibt es doch jedes Jahr einen Primeur.
Schlimme Vorstellung denke ich und so erfreue ich mich an Hello Cleveland.
Ich erwähnte die Wah Wah Gitarre und beim Opener “Pretty Nothings” sieht man förmlich die Fußarbeit am Pedal. Dazu gesellen sich angerissene, abgrundtiefe Basslines.
Überhaupt ist "Pretty One" gitarrenorientiert wie es gitarrenorientierter nicht sein könnte. Drei Gitarren, die Bassgitarre habe ich übrigens nicht mitgezählt. Dementsprechend ist immer etwas los und man kann mit drei Gitarren einfach “zaubern”.
Ist es Rock oder Progrock? Beides - in perfekter Symbiose. Klare Lines werden abgelöst durch irrwitzige Tempo- und Stilwechsel.
Mal klingt die Stimme etwas nach Saga (“The Way”), dann wieder fast wie Frank Zappa (“Sitting Here Waiting”) - Vielfalt eben in allen Bereichen.
Und wie sollte es anders sein: ich habe wieder einen - einen Killersong. “Gimme Back”, wird durch eines der geilsten Wah Wah Takes eröffnet. Mehrstimmiger Gesang, treibende Gitarrensoli und perfekte Choreografie. Wer genau hinhört, kann zweimal kurz eine Reminiszens an die Gitarrenorgie in Lynyrd Skynyrds “Free Bird” hören.
Leider nur kurz. Warum? Drei Gitarren schreien nach solchen Läufen.
Ich gebe den eingangs erwähnten Kritikern in soweit Recht, dass man zu keiner Zeit mit Experimenten rechnen muss. Songaufbau und Hinführen zum Punkt, bzw. zu den Punkten ist dem Kenner des Genres jederzeit klar. Man weiß was kommt und kann sofort beim ersten Hören mitrocken und mitgrooven. Ja, um bei den Beispielen zu bleiben: die Musik läuft runter wie ein 86er Margaux.
Lake meets Bad Company, mein Killersong Nummer zwei: “Life Means Nothing”. Mehr gibt es nicht zu sagen. Perfekt und noch mal perfekt.
Habe ich schon erwähnt, dass Hello Cleveland eine deutsche Band ist? Dabei klingen sie gottlob nicht so. Die Jungs spielen in der internationalen Liga. Mist, Track 14 springt im Player. Mein Reziexemplar scheint 'ne Macke zu haben. Ausgerechtnet bei “Question Of Live”. Ich mag den Song und auch den Text.
Apropos Texte, auch hier überzeugt die Band durch intelligente Lyrics, kein Trallalageplärre. Überhaupt ist neben der Musik auch das Booklet positiv hervorzuheben. Alle Infos sind vorhanden und neben den englischen Texten gibt es jeweils auch die deutsche Übersetzung. Ich glaube, das ist meine einzige CD die das bietet und es wäre bei vielen Alben doch so wünschenswert, die deutschen Übersetzungen mitgeliefert zu bekommen (Zappa z.B. *g*).
Klang und Produktion stehen Musik, Booklet und Lyrics in nichts nach.
Es leben die Siebziger, es lebe guter Rock und wie sang schon Ian Hunter: Cleveland Rocks. Und Ian muß es ja wissen.
Spielzeit: 56:01, Medium: CD, Mystery Records, 2000
1:Pretty Nothings, 2:The Way, 3:Charming, 4:Out To Nowhere, 5:Bad Company, 6:Live Your Life, 7:Middle Of The Night, 8:Sitting Here Waiting, 9:Gimme Back, 10:Decision, 11:News, 12:Life Means Nothing, 13:Not Alone, 14:Question Of Live, 15:Sometimes I Wonder, 16:Top Of The World
Ulli Heiser, 02.09.2002
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