Donnerlotten, hier kann ich mich tatsächlich mal ziemlich kurz halten (was mir doch wieder nicht gelingen wird).
Und ich bin erstaunt, welch unterschiedlichen Zweck ein musikalisches Erzeugnis individuell erfüllen kann. So habe ich schon mehrfach gehört, dass 'alte Hasen' der Rockmusik bei aktuellen Bands, die sich musikalisch irgendwie hörbar an klassischen Vorbildern orientieren, dazu inspiriert werden, das aktuelle Erzeugnis mehr oder weniger links liegen zu lassen, um stattdessen endlich mal wieder mit Lust und Wonne in der eigenen Plattensammlung zu stöbern, woher die Band XY wohl ihre Ideen geklaut hat.
Dabei wird häufig festgestellt, dass manche Sachen in der Sammlung schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört wurden und quasi fast vollständig aus dem kognitiven Dunstkreis des Musikfreundes entschwunden waren. Umso schöner gestaltet sich dann das Wiederhören mit alten Bekannten.
Genauso erging mir das jetzt auch, und zwar beim Hören der im Südosten von Chicago beheimateten Band Highway und ihrem neuesten Longplayer "Nine Fine Wines".
Ihre Musik scheint gerne in Verbindung mit Bands wie den Allman Brothers, Rolling Stones, Cream, The Steepwater Band , Jupiter Coyote oder Gov't Mule gebracht zu werden, was ich nach mehrfacher Befeuerung aus meinem Kasperplayer nicht grundsätzlich in Frage stellen kann und möchte, aber in allererster Linie handelt es sich bei diesem Werk um eine Blaupause der Black Crowes.
Das geht schon beim Opener "Rusted Nail" los, ein schwerer Heavy Blues-Rock mit leicht psychedelischen Sprengseln und einem Leadsänger, der unweigerlich etwas an Chris Robinson erinnert, alleine von seiner Phrasierung her. Dies zieht sich im Weiteren durch das ganze Album. Während "Rusted Nail" gut ein Outtake von "Amorica" (das dritte Black Crowes - Album, 1994) sein könnte, gemahnt "P.H.Y.S." eher an ein Outtake von "By Your Side" (1998).
Selbstredend gibt es hier typischstes Keith Richards - Riffing, aber schon den Black Crowes ist ja übelstes Stones-Epigonentum vorgeworfen worden.
Bei "Can't Go Home" wird's schließlich südstaatlich, feinste Refraingestaltung, eigentlich fehlt nur noch der volle Gospelchor. Im rechten Kanal sägt und slidet eine feine Gitarre, vermutlich von Jim Bonick gespielt. Entsprechend bedient John Bonick im linken Kanal überwiegend die Rhythmusgitarre, womit wir eine weitere Parallele zu den schwarzen Krähen haben … genauso arbeiteten diese nämlich auch!
"Right Where You Are" entpuppt sich als southern geerdete Midtempo-Ballade, mit teilweise gedoppelter Gitarrenarbeit, die zudem noch jubiliert wie zu besten Southern-Rock-Zeiten, very smooth gespielt. "Over Again" erinnert wieder außerordentlich stark an ein Black Crowes - Outtake, ohne allerdings dabei Spannung aufbauen zu können. Bei "All's Forgiven" wird's gar richtiggehend poppig, der Backgroundgesang 'uuuuht' was das Zeug hält und manch eine amerikanische Radiostation dürfte hocherfreut sein.
Kommen wir zu "That's Okay". Hier phrasiert David Varella wieder in bester Chris Robinson - Manier, die Gitarren riffen lässig vor sich hin, ein Piano klimpert im Hintergrund, die Orgel läuft mit, im rechten Kanal kracht beim Solo eine südstaatlich und immer melodisch gespielte Leadgitarre rein und schwups … sind wieder alle Trademarks der Black Crowes erfüllt.
Aber jetzt, plötzlich wird die Wah-Wah-Guitar angeschmissen, die Orgel röhrt, es rifft fast noch lässiger mit, als Bild erscheint Mick Jagger vor meinem geistigen Auge, nur dass er eher das Organ und Antlitz eines Chris Robinson hat, die melodische Gitarre von Jim Bonick fräst im rechten Kanal … liegt hier wirklich keine Crowes - Platte im Player?
Und dann kommt auch schon der Rausschmeißer, "How Does It Feel?" kann mich mit seiner schwermütigen, an Gov't Mule gemahnenden Ausrichtung und seinen wunderbar soulig, gospeligen Female-Backingvocals mit 'uuuuuhs' und 'aaaaahs' in jubilierender Form schwer begeistern. Aber eigentlich auch erst zum ersten Mal so richtig.
Also fix ins Regal gegriffen und die Black Crowes hervorgekramt. Den Silberling im Kasperplayer gewechselt, eine gute Hörposition eingenommen, den Gerstensaft griffbereit und die Lautstärke auf 'Nachbarschaftskrieg' gestellt … boah, was waren die gut, 1992, "The Southern Harmony and Musical Companion", Platz 1(!) in den USA(!), ich bin hin und weg, wusste gar nicht mehr, dass das vermutlich eine der besten 10 Rockscheiben des ganzen Jahrzehnts war. Arme, Beine, Füße, Kopf, Haare, alles fliegt wild durch die Gegend und ich bin nach standesgemäßen gut 50 Minuten klatschnass geschwitzt.
Tja, diesen Vergleich können Highway nur verlieren, alleine Marc Ford im rechten Kanal (was für ein Zufall) ist eine Klasse für sich!
Fazit:
Trotzdem machen die neun feinen Weinproben durchaus Spaß, die sechsköpfige Band (wieder eine Parallele zu den schwarzen Krähen) geht mit hörbarem Enthusiasmus ans Werk, klingt streckenweise durchaus inspiriert und ist vermutlich eine klasse Live-Attraktion.
Allerdings müssen sie anerkennen, dass es noch durchaus schmackhaftere Winzererzeugnisse im Geschäft gibt.
Apropos Geschmack: Der Klang des Silberlings schmeckt leider recht unausgewogen. Er ist sozusagen mit einem merkwürdigen Schleier versehen, geradezu wattiert und somit nicht wirklich klar in seinem Abgang.
Produktionstechnisch gibt es nichts zu bemängeln, die Weinproben sind auch säuberlich durcharrangiert, aber das klangliche Endprodukt erinnert an zu jungen Wein, der seinen Reifeprozess noch vor sich hat - also quasi ein Demo-Wein, äh, Demotape.
Dafür gibt es für eine Label-lose Produktion ein vergleichsweise hochwertiges Digi-Package und ein feines Booklet mit schicken Fotos und allen Texten.
Also, der junge 'Highway Vintage 2005' bietet nicht nur was für den Gaumen, sondern auch die Augen hören mit!
Spielzeit: 32:07, Medium: CD, Eigenvertrieb, 2005
1:Rusted Nail 2:P.H.Y.S. 3:Can't Go Home 4:Right Where You Are 5:Over Again 6:All's Forgiven 7:That's Okay 8:Ready For Change 9:How Does It Feel?
Olaf "Olli" Oetken, 25.02.2006
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