Spielzeit: 53:58 Medium: CD Label: Pelagic Records, 2012 Stil: Experimental Metal Review vom 20.05.2012 Jens Groh

Puh, da fahren die Franzosen mal wieder sehr schwere Geschütze auf.
Man kennt aus unserem Nachbarland ja schon so einige Querdenker-Bands wie Gorija, Eclectika oder Adagio, aber die vier Jungs mit dem ungewöhnlich geschriebenen Namen setzen da noch mal ein- bis zwei Schippen Wahnsinn mehr obendrauf.

Alleine schon der Opener und Titelstück "Acid Mist Tomorrow" setzt mit über zehn Minuten Laufzeit einiges an Geduld voraus. Wer an seinen Metal Forderungen wie Strophe Refrain Strophe setzt, ist hier auf jeden Fall am falschen Platz. Das soll auch gleichzeitig mein Anspieltipp sein, denn wer die ersten zehn Minuten übersteht oder sogar richtig genial findet, wird an den nächsten Songs seine wahre Freude haben.
Die Burschen aus Montpellier pfeifen auf sämtliche Vor- und Maßgaben. Hier wird geproggt im wahrsten Sinne des Wortes. Fast keine wiederkehrenden Songstrukturen lassen sich beim ersten Hören auf diesem Silberling erkennen. Alles ist im Fluss, jede Sekunde bleibt anders.

Langeweile kommt hier bestimmt nicht auf, allerdings sollte man schon so einiges an Toleranz mitbringen. Generell sollte man schon ein passionierter Tellerrandglotzer sein, oder zumindest nicht in vorgefertigten Bahnen denken bzw. Musik hören.
Das beginnt schon mit der Stimme Emmanuels, die oft in corige Regionen vordringt und leider auch das schwächste Glied in der Kette, die sich Hypno5e nennt, bildet. Schade, denn wenn Emmanuel nicht keift und geifert, bzw. von seinem Bassisten Cédric unterstützt wird, zeigen die beiden, dass sie auch richtig singen können. Vor allem dann spielen die Songs ihre großen Stärken am besten aus.

Und die Stücke an sich haben hier verdammt viel zu bieten, hat man sich erst einmal daran gewöhnt, dass mit Sprachsamples (die in Englisch wie auch Französisch gehalten sind) genauso locker umgegangen wird, wie auch mit ungewöhnlichen Melodiefolgen. Einiges klingt nach folkloristischer Herkunft. Auf jeden Fall ist einem eine knappe Stunde Hörgenuss garantiert.
Die Band jongliert mit Breaks und Stilen so leicht und locker umher, dass einem fast schon schwindelig wird. Auch die Instrumentierung (Gitarre, Bass und Drums klingen nach nichts Ungewöhnlichem), lässt einen so manches Mal mit den Ohren schlackern. Denn was die Instrumental-Fraktion aus ihren doch gewöhnlichen Werkzeugen hervorbringt, klingt oft ungewöhnlich. So tönt manches wie Mandolinen, anderes nach Synthesizern.
Man hat oftmals das Gefühl, dass hier der vertonte Irrsinn durch die Boxen wabert. Eine Reise, die einen in den Abgrund einer Gummizelle herunter zieht.
In Song Nummer vier "Story Of The Eye" dringt man sogar in My Dying Bride-artige Gefilde vor - es wird nicht nur kurzzeitig gedoomt, nein es kommt auch die für die 'Sterbebraut' typische Violine zum Einsatz, nur um Sekunden später von einer erdkerntief gestimmten Gitarre zermalmt zu werden.
Gleiches gilt auch für den Gesang, denn wo einem gerade noch liebliche Vocals die Ohren liebkosen, werden im Handumdrehen selbige von wüstem Fauchen und Schreien auf die Probe gestellt.

Wie gesagt, wer es einfach strukturiert oder gar fröhlich vor sich hin rumpelnd mag, ist mit Bands der Marke neue Manowar und Co. besser aufgehoben, wer sich aber schon morgens Gorija oder Meshuggah reinpfeift und zum Schlafengehen noch Mencea oder Cynic (mit letzteren waren Hypno5e schon auf Tour) aus den Boxen brettern lässt, ist hier goldrichtig. Denn aus diesen Zutaten ist auch "Acid Mist Tomorrow" geschmiedet.
Hier sind keine Amateure am Werk, nein, hier musizieren Wahnsinnige auf höchstem Niveau!

Achteinhalb von zehn Gummizellen mit starker Tendenz nach oben, denn die Scheibe wird mit jedem Durchlauf stärker und stärker...

Line-up:
Emmanuel Jessua (lead vocals, guitars)
Jonathan Maurois (guitars)
Cédric Pages (bass, backing vocals)
Thibault Lamy (drums, percussion)