Aus dem Meer von biografischen Aufarbeitungen des viel zu kurzen, aber dafür sehr intensiven Lebens des James Marshall, genannt Jimi, Hendrix ragt die vorliegende Arbeit des Regisseurs
Bob Smeaton mit Sicherheit heraus. Sie wurde im vergangenen Jahr, anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag der Gitarrenlegende, im US-Fernsehen in der PBS American Masters Series vorgestellt.
"Hear My Train A Comin'" beschreibt den kometenhaften Aufstieg aus eher unterprivilegierten Verhältnissen zum Superstar.
Bob Smeaton gelingt dies in sehr gründlicher, detailverliebter Weise, chronologisch und somit ohne lästige Zeitsprünge.
Dabei war es sicherlich die größte Herausforderung, neue Facetten über den strahlenden Helden dieser Dokumentation herauszuarbeiten. So hält "Hear My Train A Comin'" für den
Hendrix-Kenner wahrscheinlich nur wenige neue Erkenntnisse parat. Dass
Jimi ein extrem schüchterner Junge und rebellischer Zeitgeist war, der geradezu zwangsläufig bei der Army scheitern musste, sich einen 'Wolf' für seinen Erfolg arbeitete, obendrein eine fast 'sexuelle Beziehung' zu seiner Gitarre hatte - wenn wir es nicht schon wussten, so konnten wir es zumindest ahnen.
So liegt der Erkenntnisgewinn zumeist im Detail und ist damit sehr individueller Art. Dahingehend hat mir
Jimis 'Schule des Lebens' als Begleitmusiker der
Isley Brothers, Little Richard und
Curtis Knight And The Squires, wie daraus eine zum damaligen Zeitpunkt einzigartige musikalische Melange erwuchs, imponiert und mich nachhaltig beeindruckt. Selten wurde mir klarer, dass es diese Verbindung aus Blues, Soul, R&B und Psychedelic Rock war, die ein bis dahin lediglich subkutan schlummerndes, revolutionär inspiriertes Potenzial freisetzen konnte. Es waren gerade die Londoner Jahre, die
Jimi Hendrix' Karriere nachhaltig befeuerten. Kein Wunder, wenn Musiker von Kaliber der
Stones oder
Beatles unablässig bekundeten, wie 'erleuchtend' sie diese unbändig kraftvolle Musik fanden. Einen schönen Filmschnipsel findet man in diesem Zusammenhang in der Story verwoben:
Hendrix spielt "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" in einem Londoner Club - in einer nie zuvor gehörten Intensität!
Gerade hier liegt der maßgebliche 'Nährwert' der Dokumentation: Das teilweise noch nie veröffentlichte Livematerial ist größtenteils atemberaubend, Amateurstreifen aus Privatarchiven geben Impressionen aus dem Privatleben preis, eingeblendete Briefe - größtenteils an den Vater - gewähren intime Einblicke in die Gefühlswelt des damals jungen Mannes.
Die größte Stärke dieser knapp zwei Stunden liegt aber vor allem in der einfühlsamen Erzählweise, die den Ausführungen von Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden, Wegbegleitern, Musikerkollegen und ehemaligen Bandmitgliedern viel Raum gibt und mit musikalischen Sequenzen von teils hohem historischen Wert versetzt. Auch wenn man die Fragen natürlich nicht hört, glaubt man, den 'roten Faden' des Interviewers jederzeit nachvollziehen zu können.
Nicht unerwähnt dürfen allerdings einige Schwachpunkte von "Hear My Train A Comin'" bleiben. Es beschleicht einen immer mal wieder das Gefühl, als ducke sich Bob Smeaton bei den dunkleren Seiten des Jimi Hendrix verschämt weg. Schwache schulische Leistungen und anschließende Verirrungen im kriminellen Milieu sind kein Thema. Extensiver, geradezu suizidaler Umgang mit Drogen wird zumeist nur indirekt thematisiert. Gerade eine Erörterung von dessen Auswirkungen auf Hendrix' musikalische Leistungen wären hochspannend gewesen. Aber vielleicht sollte jeder Eindruck, man wage es, am 'Denkmal' zu sägen, im Jubiläumsjahr 2012 vermieden werden. Es mangelte hier wohl an der Einsicht, dass eben auch die Schattenseiten zu einer Persönlichkeit mit Legendenstatus gehören!!
Die fehlenden Untertitel in deutscher Sprache sind ebenfalls ein kleines Ärgernis. Bei allem gebotenen Respekt, aber warum unsere niederländischen Freunde hier bevorzugt werden, ist nicht ganz nachvollziehbar. Man sollte des Englischen also schon einigermaßen mächtig sein, wenn man die Dokumentation anwirft. Es kann übrigens hilfreich sein, auch in diesem Fall die englischen Untertitel auszuwählen, da manche Interviewpartner in breitestem Slang vor sich hinzunuscheln belieben.
Beim Bonusmaterial darf man die Ansprüche nicht allzu hoch hängen. Alle Aufnahmen sind weder professionell gefilmt noch aufgezeichnet worden. Bild- und Tonqualität wie die Kameraeinstellungen sind somit nur von historischem Wert. Die Szenen vom
Miami Pop Festival beginnen mit relativ aktuellen Interviewpassagen mit Veranstalter
Michael Lang. Die Bilder vom Konzert - erst vor wenigen Monaten entdeckt - sind im wahren Wortsinn farblos.
Jimi Hendrix im weißen Hemd, vor weißem Hintergrund mit weißer Telecaster - wenig erquicklich, zum Glück ist wenigstens die Hose knallrot... ;-)
Dafür sind die Aufnahmen vom New York Pop Festival, bei dem
Hendrix am 11. Juli 1970 aufspielte, bunter ausgefallen. Aber die vielen roten und blauen Spots - unsere Blueser kennen das von Livekonzerten in der Szene nur zu gut! - sorgen wahrlich nicht für den rechten 'Durchblick'. Immerhin ist die Tonqualität einigermaßen in Ordnung.
Die Amateurbilder vom Love & Peace Festival in Fehmarn, die einen der legendären Auftritte des Meisters in Deutschland zeigen, sind zwar extrem verwackelt und auch sonst ziemlich grottig, aber die Leute, die dabei waren bzw. es gerne gewesen wären, werden sich bestimmt kringelig freuen. Möglicherweise wird so mancher unserer Leser ein Wiedersehen mit seiner jugendlichen 'Ausgabe' feiern können. Es handelte sich übrigens um das letzte offizielle Konzert - zwölf Tage später war
Jimi Hendrix, gut einem Monat vor seinem 28. Geburtstag, tot...
Abgerundet wird der mengenmäßig sehr ordentliche Bonusteil mit dem
Hendrix'schen Auftritt vom 30. März 1970 bei der BBC-Kultsendung Top Of The Pops.
Trotz all dieser Einschränkungen ermöglichen diese Filmaufnahmen faszinierende und lehrreiche Beobachtungen von Jimi Hendrix' einzigartiger Spielweise. Ebenso verblüffend sind die Studien des geradezu animalisch agierenden Drummers Mitch Mitchell - das war wirklich ein positiv durchgeknallter Vertreter seiner Zunft!
Unterm Strich überwiegt die Habenseite - und dies ganz beträchtlich. Man kann die Dokumentation als essentiell für den allgemeinen Musikfreund charakterisieren, während die Freunde Hendrix'scher Hexereien beim Anschauen des Bonusmaterials mit der Zunge schnalzen werden. Abstriche bei der Bild- und Tonqualität sollten ohnehin kein Kriterium für diese Zielgruppe darstellen...