Vor gut zehn Jahren hatte ich ein weiteres Aha-Erlebnis bzgl. Jimi Hendrix. Ein junger Mann aus der erweiterten Verwandtschaft, damals beginnender Gitarrenschüler - heute Metal-Musiker, bat mich, ihm ein paar 'amtliche' Gitarrenhelden der sechziger und siebziger Jahre auf CD zu brennen. Was ich sehr gerne tat, fühlt man sich doch irgendwie als Botschafter für gute Musik. Nach einer Weile kam seine Rückmeldung. Einiges hätte ihn wirklich umgehauen, berichtete er... aber kein Wort zu "Are You Experienced", "Axis: Bold As Love" und "Electric Ladyland". Auf meine leicht irritierte Nachfrage meinte er nur lapidar: Joooh, das wäre ja schon interessant, aber er könne den Hype um Jimi Hendrix jetzt noch weniger nachvollziehen als vorher.
Uff, an so einem Brett hat man natürlich erstmal gewaltig zu nagen, aber trotzdem wurde mir in diesem Moment schlagartig bewusst, dass man das damalige Lebensgefühl, das sich in der Hendrix'schen Musik fokussierte, erlebt oder zumindest glaubwürdig nachempfunden haben muss. Diese drei epochalen Alben müssen in diesem Kontext gehört und verstanden werden - eine 'Gefühlstransplantation' ist offenbar nicht möglich. Eine vergleichbar radikale Revolution, die musikalischen und gesellschaftlichen Aufbruch verband, hat es in der Rockhistorie nie wieder gegeben. Das Ausmaß nachzuvollziehen fällt nachfolgenden Generationen zunehmend schwerer, denn (musikalische) Veränderungen verlaufen heute sehr viel evolutionärer!
Ich bin nun wirklich kein Freund von Veröffentlichungen aus dem musikalischen Nachlass von seit Jahrzehnten verstorbenen Musikern. Irgendwie hat das für mich - ich sag's mal etwas flapsig - etwas von Leichenfledderei und ist gelegentlich reichlich unappetitlich! Auch die Erbengemeinschaft Hendrix Eperience LLC konnte sich angesichts von vielen hundert, oftmals fertigproduzierten Songs einen Kehraus der Archive nicht verkneifen. Inwieweit hier eine ehrenvolle Nachlassverwaltung oder eher die Aussicht auf monetäre Gewinne eine Rolle spielen, vermag ich weder zu ermessen noch zu beurteilen. Die Tatsache, dass "People, Hell And Angels" eine Woche nach der Veröffentlichung auf Platz zwei der Billboard-Charts - so hoch, wie kein Hendrix-Album nach "Electric Ladyland" (1968) - einstieg, spricht für eine hohe Nachfrage, die solche Sammlungen von Resten zu rechtfertigen scheint.
Auf jeden Fall hat man sich bei der Gestaltung dieses Digipaks schon mal richtig Mühe gegeben. Ein reich bebildertes 24-seitiges Booklet beinhaltet zu jedem der Songs eine kleine Hintergrundstory - großartig gemacht!
Musikalisch wurden »neue Wege« des Wundergitarristen angekündigt: Abstecher in Richtung Funk und Soul, Experimente mit Hammond und Saxofon bzw. gleich einer ganzen Horn Section. Dem ist sicher so, aber um gänzlich unbekanntes Material handelt es sich keinesfalls - manches hat man bereits in anderen Versionen gehört. Tatsache scheint allerdings zu sein, dass diese Studiofassungen noch nie auf Tonträger gebannt wurden, wenngleich man hier einschränkend anmerken muss, dass ein paar Songs tontechnisch kaum über Demoqualität hinausgehen und somit schlicht enttäuschend sind.
Die Aufnahmen entstanden zwischen 1968 und 1969, größtenteils mit den Musikern, die wenig später die Band Of Gypsys bildeten: Billy Cox und Buddy Miles am Bass bzw. Schlagzeug. Das hypnotische "Hear My Train A Comin'" entstammt gar der ersten Session der Drei vom 21. Mai 1969 in den New Yorker Record Plant Studios. Es handelt sich fraglos um ein superbes Highlight (auch aus produktionstechnischer Sicht) von "People, Hell And Angels".
Der (bereits bekannte) "Earth Blues", in einer leicht funkigen Version, und "Somewhere" sind ordentlich, obwohl man beim Letztgenannten nicht nur wegen eines gewissen Stephen Stills am Bass gleich mehrfach Déjà-vus hat. Der flotte Uptempo-Blues "Let Me Move You" präsentiert zwar eine gute integrierte Hammond von John Winfield, doch das von Lonnie Youngblood geblasene Sax will bei allem feurigen Engagement nicht so recht zünden. Zudem zählt die Nummer, wie die folgenden "Izabella" und "Easy Blues", zu den technisch eher problematischen Aufnahmen.
Aber 'hintenraus' wird "People, Hell And Angels" wieder stärker. Bei "Inside Out" hat Hendrix gleich mehrere mit Phasern und Flangern verfremdete Gitarrenspuren übereinander gelegt, sodass man manchmal eine stark verzerrte Hammond im Hintergrund zu hören glaubt. Außerdem beweist er hier, dass er mehr als passabel Bass zu spielen verstand. "Hey Gypsy Boy" stellt einen (sehr schönen) frühen Vorläufer von "Hey Baby" dar, das auf dem (unvollendeten) Album "First Rays Of The New Rising Sun" erscheinen sollte.
Am ungewöhnlichsten ist ganz sicher der "Mojo Man" - ein 'Groover', der vor Soul und Funk nur so glüht. Der Song wurde in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama eingespielt. Gesungen wird die noch etwas unausgegoren wirkende Nummer übrigens von Albert Allen. Außer dem Pianisten James Brooker sind alle weiteren Musiker unbekannt - leider auch die wirklich messerscharf agierende Blechsektion. Ein höchst spannendes Take! Der abschließende "Villanova Junction Blues", hier eigentlich nicht mehr als ein Songfragment, entstammt ebenfalls der bereits genannten ersten Session des Trios Hendrix/Cox/Miles und sollte erst später zur vollen Blüte gelangen.
Die angekündigten »neuen Wege« halten sich - mit Verlaub - in überschaubaren Grenzen. Sie beschränken sich mit ziemlich unterschiedlichem Erfolg auf "Let Me Move You" und "Mojo Man". Leider hat Hendrix' früher Tod diese interessanten Ansätze zunichte gemacht...
Für mich ganz persönlich gab "People, Hell And Angels" die Möglichkeit für eine Reflektion, welchen Stellenwert eigentlich Jimi Hendrix' Musik heute, mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, noch für mich hat. Die Musikwelt hat sich seit dem 18. September 1970 beständig weiter gedreht - Hendrix selbst hätte sicherlich seine helle Freude daran...
Line-up:
Jimi Hendrix (vocals, guitars, bass - #9)
Billy Cox (bass, background vocals - #1-8,12)
Buddy Miles (drums, background vocals - #1,3,4,10,12)
Stephen Stills (bass - #2)
Lonnie Youngblood (saxophone, background vocals - #5)
Hank Anderson (bass - #5)
John Winfield (Hammond - #5)
Jimmy Mayes (drums - #5)
Larry Lee (rhythm guitar - #6,7)
Mitch Mitchell (drums - #6,7,9)
Rocky Issak (drums - #8)
James Brooker (piano - #11)
Albert Allen (vocals - #11)
Jerry Velez, Juma Sultan (percussion - #6,7)
Al Marks, Chris Grimes (percussion - #8)
Tracklist |
01:Earth Blues (3:35)
02:Somewhere (4:06)
03:Hear My Train A Comin' (5:42)
04:Bleeding Heart (3:51)
05:Let Me Move You (6:51)
06:Izabella (3:44)
07:Easy Blues (5:58)
08:Crash Landing (4:15)
09:Inside Out (5:05)
10:Hey Gypsy Boy (3:40)
11:Mojo Man (4:08)
12:Villanova Junction Blues (1:45)
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