Dass John Hiatt hierzulande zu den bekanntesten unbekannten und geschätztesten unterschätzten Songschreibern der Rockgeschichte gehört, weiß jeder halbwegs informierte Fan. Oder sollte er zumindest wissen, wenn er mitreden will. Reihenweise werden seine Songs durch diverse Stars gecovert (u.a. Bob Dylan, Bonnie Raitt, Willie Nelson, Bruce Springsteen, Buddy Guy, die Neville Brothers, Jewel oder B.B. King und Eric Clapton, die gleich ein ganzes Album nach einem seiner Titel benennen - "Riding With The King") und auch Hits damit landen ("Have A Little Faith" - Joe Cocker). Aber seine mittlerweile 18 Longplayer unter eigenem Namen werden weiterhin als Geheimtipps gehandelt.
Auch mit "Master Of Disaster", im letzten Jahr erschienen, ist das nicht anders. Lobeshymnen unter Kennern und Kritikern, aber ein richtiger (vor allem kommerzieller) Erfolg lässt bis heute auf sich warten. Und damit wohl auch ein weiteres, seiner eh seltenen Gastspiele in Deutschland.
Das Vorgänger-Album "Beneath This Gruff Exterior" nahm er mit seiner Back-Band The Goners auf, der rockigen Variante seines Schaffens (samt dem Wahnsinns-Slide-Gitarristen Sonny Landreth). "Master Of Disaster" ist wesentlich relaxter und mit semi-akustischen Titeln durchsetzt. Was nicht hießen soll, dass es kein astreines Rock'n'Roll-Werk geworden ist. Und schon gar nicht von geringerer Qualität.
John Hiatts Konstante ist die stete Veränderung. Kein Album gleicht dem anderen. Aber jedes steckt voller Songperlen, die es auf den Punkt bringen, egal ob er es krachen lässt oder eher gefühlvoll seine Geschichten erzählt. Selten ist auch eine Veröffentlichung sofort eingängig, der Hörer muss sich erst wieder mit dem 'neuen' Hiatt vertraut machen. Das kann schon einige Durchgänge erfordern, bis sich die oft sperrigen Strukturen eingeschliffen und die manchmal schneidende Stimme den Zugang zum tieferen, aber umso nachhaltigeren Genuss freigibt. Rockmusik mit Ecken und Kanten, mit Ironie und Herzblut, mit Eiern, Soul und Blues - "Fan was willst du eigentlich mehr?"
Das Cover ziert ein maskierter Wrestler, lediglich ein Reklame-Gag ohne Hintersinn. Die gesamte Cover Art ist wie der billige Programmzettel einer Show gestaltet, der auch schon ein paar Flecken abbekommen hat. Originell die ganze Aufmachung mit Digipack samt Booklet im Pappschuber.
Für das Album hat sich der 55-Jährige wieder einmal Top-Mitstreiter geholt. Produzent war der legendäre Jim Dickinson ( Stones, Dylan). Der sorgte für den Memphis Sound, aber Memphis Soul ist das deswegen keineswegs. Und der Kumpel (selbst als East Memphis Slim an den Keyboards) hat auch seine Söhne Luther (Guitar) und Cody (Drums) Dickinson mitgebracht, die als Zweidrittel North Mississippi Allstars für frischen Groove sorgen. Als weiterer Vertreter der 'alten Garde' mischt David Hood am Bass mit, was Hiatt von einem 'Fathers & Sons'-Projekt sprechen lässt.
Obwohl die Scheibe ein vertrautes Vintage-Gefühl verbreitet, ist sie mit allerneuester SACD-Technik aufgenommen (wohl dem, der einen Player dafür besitzt!).
Uns so rumpelt sich Hiatt durch eine herrliche Sammlung von All American Songs, rootsig sowieso und mit dem Flair von Pomade, Blue Suede Shoes & Pettycoats, Pferdescheiße in der Altöllache, großen Gitarren und großen Gefühlen. Wenn er, mit Inbrunst und herrlich umkippender Stimme, seinen heißen "Thunderbird" besingt, die Schnecke im Arm, auf Angebertour. Die ultimative Ami-Schlitten-Hymne.
Oder wenn er, herzzerreißend von der Slide begleitet, "I ain't ever goin back no more" maunzt und sich alle Dylans, Van Morrisons und Springsteens unisono und mit zusammengekniffenem Arsch fragen können, wann sie zuletzt einen solchen Song zuwege gebracht haben. Geschweige denn so eine geniale puristische Begleitung, wie sie die beiden Dickinsons zusammen mit Hiatt an der akustischen Klampfe zu "Cold River" (hello Townes *gg* ), hinzaubern. Die Highwaymen schickt er mit "Old School" auch gleich aufs Altenteil - "have a nice time folks!"
Auf "Wintertime Blues" weckt er sämtliche Skiffle- und Dixieland-Bands aus ihrem Dornröschen-Schlaf und mit "When My Love Crosses Over" Mr. Jammer-Young gleich dazu.
Natürlich langt der Mann auf "Master Of Disaster" auch zu, "he's just a mean old Bastard when he plays the Blues". Da sorgen dann die Bläser (glücklicherweise nicht die allgegenwärtigen Memphis Horns!) für wohldosierten Druck. Selbst bei "Love's Not Where We Thought We Left It", markiert er den Starken ohne krachende Guitars, sondern setzt dafür Fiddle und Harp zum Spannungsaufbau ein. Killer Voice und Watts'sches Drumming sorgen für 'Chicken Skin'-Feeling ("Gimme Shelter" is just a klick away...). Der Hammer ist jedoch "Find You At Last"; der verlassene Wolf ist auf der Spur und heult vor Eifersucht und Rache. Ohne Zweifel, John Hiatt ist "Back In The Corner Again" und müsste für sein letztes Werk einen Sack voll Gold-'Eagles' statt der paar lausigen Cents bekommen!
Spielzeit: 50:32, Medium: CD (SACD), New West Records, 2005
1.Master Of Disaster 2.Howlin' Down The Cumberland 3.Thunderbird 4.Wintertime Blues 5.When My Love Crosses Over 6.Love's Not Where We Thought We Left It 7.Ain't Ever Goin' Back 8.Cold River 9.Find You At Last 10.Old School 11.Back On The Corner
Norbert Neugebauer, 15.05.2006
|