Keef Hartley Band / Live At Aachen Open Air Festival 1970
Live At Aachen Open Air Festival 1970 Spielzeit: 68:02
Medium: CD
Label: Sireena Records, 2014 (1970)
Stil: Blues/Jazz Rock


Review vom 28.02.2014


Jochen v. Arnim
»Als die Gammler nach Aachen kamen…«
So in etwa wurde seinerzeit DAS Großereignis in der Aachener Soers von der lokalen Presse bedacht. Kein Wunder, war doch die Sportstätte, das ehrenwerte Reitstadion des Aachen-Laurensberger Rennvereins, eigentlich bis dato nur sittsame Reitturniere gewohnt. Dazu prallten natürlich schon in der Ankündigungsphase Welten aufeinander: Hier die verspießte Öcher Provinz Ende der sechziger Jahre, dort friedliebende und durchaus weltoffenere junge Menschen, denen nicht nur lange Haare und Militärparka Ausdruck eines Lebensgefühls waren. Auch die Musik, die sie in den westlichsten Zipfel des Wirtschaftswunderlandes lockte, konnte zur damaligen Zeit nicht unbedingt als gesellschaftskonform durchgehen.
Hätte ich seinerzeit nicht noch an irgendeinem anderen Ende der Welt gewohnt, die Chancen auf einen Besuch in der Soers (natürlich mit meinen Eltern) wären gar nicht mal so klein gewesen. Vielleicht hätte sie weniger der Hard Rock von Deep Purple gelockt, aber dafür ganz sicher die Klänge der angekündigten frühen Pink Floyd oder eben diese jazzig-bluesige Mischung, für die die Keef Hartley Band bekannt war. Die angekündigten Rolling Stones waren ja nicht gekommen, ebenso wie einige andere Bands, und dennoch waren die drei Tage prall gefüllt mit dem Who Is Who der damaligen Rock-Szene.
Wie auch immer, in bestimmten Kreisen der mittlerweile etablierten 'Öcher Gammler' (mir ist vermutlich die Hälfte aller auf dem Cover der vorliegenden CD abgebildeten Menschen vor der Bühne namentlich oder zumindest den Gesichtern nach bekannt) redet man heute noch davon, wer damals alles auf dem Plakat gestanden hat. Gleichzeitig wird damit ein großes Unverständnis ausgedrückt, ob der Unmachbarkeit, ein derartiges Ereignis an derselben Stelle wiederholen zu können. Die Naivität und auch Hemdsärmeligkeit, mit der man damals im Jahre 1 nach Woodstock zu Werke schritt, ist heute kaum noch zu finden. Dennoch sind die Beteiligten nicht im Orbit verschwunden und könnten das eine oder andere Detail zum Gelingen beitragen…
Vom sogenannten Open Air Pop Festival sind einige Bootlegs im Umlauf, in Teilen mitterweile richtig offiziell auf CD erhältlich. Darunter fallen die Auftritte von Deep Purple, Pink Floyd und auch
Golden Earring. Dass man nun noch Aufnahmen der Keef Hartley Band ans Tageslicht gezogen hat und via Sireena der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, überrascht auch das seinerzeitige Bandmitglied Miller Anderson äußerst angenehm. Seine Worte in den Liner Notes dazu: »It's a rare recording of a fine band which I am proud to have been a part of.«
Neben ihm und dem Meister selber stand im festen Line-up auch noch Gary Thain am Bass, der etwas später dann zu Uriah Heep wechseln sollte. Zudem holte man sich als Gäste (für diesen Auftritt) den Trompeter Dave Caswell und den Saxofonisten Lyle Jenkins, der auch in Passagen an der Flöte agierte. Caswell hat von Ashton, Gardner & Dyke bis zu The Who im Laufe seiner Karriere so ziemlich jede Band mit seiner Trompete unterstützt und auch Jenkins kann auf eine stattliche Liste an Referenzen zurückblicken.
Für ihren Auftritt am Sonnabend, den 11. Juli 1970, hatte sich die Band ganze vier Stücke ausgesucht. Diese vier Songs zogen sich allerdings über eine Länge von knapp siebzig Minuten hin und jede dieser Minuten ist auf dem vorliegenden Rundling vorhanden. Das Set beginnt vollkommen unprätentiös ohne dicke Ansage oder sonstiges (zu hörendes) Brimborium. Man stimmt die Instrumente an und gut ist es.
"You Can't Take It With You" zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Passagen aus, die von den Bläsern dominiert werden, speziell eine lange Saxofon-Phase sticht deutlich hervor. Dabei wird die sich steigernde Intensität und Dramatik vom unablässigen Bass-Spiel Gary Thains noch deutlich gefördert. Die Produktion, und das merkt man vom ersten Ton an, hat einen fast typischen Bootleg-Charakter. Es ist natürlich nicht der Kassettenrekorder unter dem Rock der Freundin gewesen, aber man merkt deutlich, dass man höchstens das Attribut semi-professionell vergeben darf. Der Gesang ist teilweise sehr stark in den Hintergrund gerückt, dafür an anderer Stelle wieder überdeutlich.
Wichtig ist allerdings, dass einem direkt und unvermittelt verdeutlicht wird, wie sehr die Keef Hartley Band doch eine begnadete Live-Truppe gewesen ist. Schon in den ersten beiden Stücken, mit neun und vierzehn Minuten vergleichsweise kurz, blitzt der unbändige Drang zu ausgedehnten Improvisationen auf. Sei es einer der Bläser oder der göttliche Anderson an der Gitarre, jeder bekommt mehr als ausreichend Platz für entsprechende Exkurse. Gelangt der Hörer dann aber zum Herzstück des Auftritts, der sog. "Halfbreed Suite", die sich in fünf Parts über eine gute halbe Stunde erstreckt, so wird die ganze Klasse der Musiker offenbar. Jede einzelne (improvisierte) Interpretation, und mag sie auch noch so lang sein, wirkt pass- und punktgenau. Die Stammcrew verschmilzt mit den beiden Gästen zu einer (wirkungs-)vollen Einheit. Ein Jahr zuvor waren noch "The Halfbreed" sowie die einzelnen Parts der Suite als separate Stücke auf dem Debütalbum "Halfbreed" veröffentlicht worden.
Und auch der Abgesang des Sets, das rund fünfzehnminütige "Think It Over" gehört ursprünglich auf das Debüt. In der ersten Hälfte der an diesem Nachmittag dargebotenen Variante orientierte man sich eher am zünftigen Blues Rock, bevor dann erst die typischen Saxofontöne des Jazz hinzukamen und das Set in einem fulminanten Finale endete.
Man kann sich vorstellen, wie gut dieser teilweise noch sehr bluesige Jazz Rock beim Publikum angekommen sein wird. Die Nähe zu den Niederlanden wird den Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen zur besseren Aufnahme komplexer musikalischer Töne zudem deutlich beeinflusst haben (angelehnt an Erzählungen von Zeitzeugen…).
Sireena hat mit diesem Output ein Kleinod am Start, dessen Existenz viele Zeitgenossen nicht für möglich gehalten hätten. Umso schöner, dass nun, mehr als vierzig Jahre nach dem Auftritt im Aachener Reitstadion, die alten Aufnahmen erhältlich sind. Das Booklet bietet neben den Worten Miller Andersons zudem noch eine schöne Sammlung von Abbildungen alter Plakate, Zeitungsausschnitte und sonstiger Zeitzeugnisse. Für diejenigen, die dabei waren, ein Muss, für den Fan der Keef Hartley Band und ihrer Mitglieder sowieso und für alle anderen ein schönes Stück Zeitgeschichte - ich an Eurer Stelle würde es kaufen.
Line-up:
Keef Hartley (drums)
Miller Anderson (guitar, vocals)
Gary Thain (bass)

with
Dave Caswell (trumpet)
Lyle Jenkins (tenor saxophone, flute)
Tracklist
01:You Can't Take It With You
02:The Time Is Near
03:Halfbreed Suite
(a)Intro - Sinnin' For You
(b)Leaving Trunk
(c)Halfbreed
(d)Just To Cry
(e)Sinning For You
04:Think It Over
Externe Links: