Es gibt wohl wirklich Songs, die mit dem grünen Punkt versehen sind. Sie werden recycelt und gecovert bis zum geht nicht mehr. Immer und immer wieder. Ken Hensley hat sich die Dokumente aus seiner Zeit bei Uriah Heep genauer angesehen und auf 12 seiner damaligen Stücke ebenfalls das Zeichen für die Wertstoffsammlung entdeckt. Flugs hat er ein paar Russen engagiert, sich ins Studio geschlichen und munter drauf los verhunzt. Auf der CD Hülle prangert ein gelber Aufkleber, der verrät, dass Ken die Tracks eigenhändig neu arrangiert und eigenstimmig zum ersten Mal gesungen hat. Also, ich kann mich erinnern, wie der Gute, ich glaube irgendwann Ende der 70'er Jahre, in Ilja Richters Disco mit der Akustikgitarre bewaffnet "Lady In Black" neuerlich in die Charts geführt hat. Wenn Ken also "Lady In Black" nicht schon immer gesungen hat, wurde offenbar schon damals kaltschnäuzig gegen das Klonverbot verstoßen. Aber vielleicht ist der Werbespruch auch nur missverständlich formuliert und die Texter meinten statt des "und" eigentlich ein "oder", stringent gemäß der Boolschen Logik.
Auch die Erklärungen Ken Hensleys im Booklet verraten nicht wirklich, in welche Richtung seine Neuarrangements eigentlich zielen sollten. Vielleicht soll der Name der Scheibe eine Fährte legen. Sie heißt immerhin "The Wizard's Diary". Wie auch immer, er hat es jedenfalls geschafft, so mache Perle seiner Laufbahn absolut und abgrundtief auf "Wetten, dass..."-Niveau zu drücken. Dort, wo der Hörer es am wenigsten braucht und sicherlich auch am wenigsten verzeiht, verunreinigen plötzlich sanfte Streichereinlagen den Sound. Dann auf einmal erklingen die Vocals mit Hall unterlegt, fast schon klerikal. Unser Held schafft es beispielsweise, den ursprünglich so dramatischen und epischen Song "The Wizard" in erschreckender Weise schwülstig zu verkitschen.
"Höchstens-eine-Oktave-Ken" ist gesanglich doch arg begrenzt. Wenigstens im Vergleich mit den früheren Heep Sängern wie Byron, Lawton oder auch Sloman. Nein, eine schlechte Stimme hat er nicht. Doch meistens dann, wenn der Musikfan in dem Song die stimmliche Steigerung erwartet, versagt Herr Hensley völlig. Wer sehnt bei "The Wizard" nicht die kraftvolle, laut und hoch intonierte, beherzt eingeklagte Passage herbei: "Why don't we listen to the voices in our heart?" Nun, in der 2005'er Version "monotont" Ken Hensley diese Schlüsselstelle mit der Leidenschaft einer gepellten Kartoffel.
Manchmal keimt dennoch so etwas wie Hoffnung auf. "Feelings" geht gut rockig und stampfig los. Aber der Wermutstropfen ist auch jetzt wieder Kens limitiertes stimmliches Spektrum, gerade beim Refrain. Trotz guter Unterstützung durch die Backgroundvocals von Irina Rodilez und Raisa Saed Shakh vermisst man ein weiteres Mal den dramatischen Moment. Aber das Schlagzeug kommt auf den Punkt, das ist ja auch schon was.
Als weiteres Negativbeispiel muss leider der Hensley-Standard "Lady In Black" genannt werden. Das Ding beginnt wirklich mit Himmelsgeigen! Dann fallen nacheinander die Bassdrum, der Bass und schließlich die Gitarre ein - in das, was mal ein Klassiker war. Ken singt irgendwie zu schnell und bar jeder Vevre. Er gibt dem Song damit einen Drive, der ihn total entstellt. Bei dem in allen Gesellschaftsschichten so beliebten Spiel "Lustiges Liederraten" würde ich vermutlich auf die Leningrad Cowboys als Interpreten setzen. Allerdings sind deren Coverversionen trotz allem ambitioniert und mit einem mächtig zwinkernden Auge eingespielt.
Einen relativ guten Eindruck macht "Easy Livin'". Vielleicht auch, weil es in Punkto Speed und Aggressivität näher am Original liegt. Aber es fehlt halt auch diesmal die intensive, durchdringende Stimme eines David Byron.
Machen wir es der Scheibe nicht schwerer, als sie es ohnehin schon hat. Natürlich muss sich Ken Hensley Vergleiche mit den Originalaufnahmen gefallen lassen. Uriah Heep galten nicht umsonst als eine der besten Hardrockbands der 70'er Jahre. Aber immerhin veröffentlicht er seine Songs in eigener Regie und nach seinen eigenen Vorstellungen. Was eindeutig besser ist, als dass "Free Me" mit elektrischen Drumbeats unterlegt zum Sommerhit einer usbekischen Girlieband wird.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass Ken die Finger von Kalibern wie "Return To Fantasy", "Gypsy" oder "Look At Yourself" gelassen hat. Allerdings trägt die CD den Zusatztitel "Volume One" und der soll bestimmt keine Aufforderung zum Leisehören sein. Ob das jetzt eine schlechte Nachricht ist, mag jeder für sich selbst entscheiden. Als Freund von Kuriositäten, Skurrilitäten und Geschmacklosigkeiten freue ich mich jedenfalls auch auf das wohl nicht zu vermeidende (Wasauchimmer) Vol. 2.
Fünf nostalgische RockTimes Uhren für die Absicht, den guten Sound, der nicht ganz entsagten E-Gitarre, den doch authentischen Orgelklängen und dem Lebenszeichen von Ken Hensley. Allerdings ist da doch ein Ehrenührchen fürs Frühwerk dabei.
Spielzeit: 66:47, Medium: CD, Horsepower Records, 2005
1: The Wizard 2: Illusion 3: Circle Of Hands 4: Rain 5: Weep In Silence 6: Feelings 7: Sweet Freedom 8: Lady In Black 9: Free Me 10: July Morning 11: Stealin' 12: Easy Livin'
Olli "Wahn" Wirtz, 17.07.2005
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