Jeder kennt das: Es gibt Phasen in der persönlichen Entwicklung, die nur mehr schlecht als recht vernarbt sind. Jede Erinnerung an diese ist mit lästigem Narbenschmerz verbunden. Viele Männer lassen Rückblenden in die Spätsiebziger und Frühachtziger wahlweise den Schweiß ausbrechen oder die Zornesröte ins Gesicht treiben. Jene Zeit, als Mann gefälligst 'anders' sein sollte, aber keiner wusste wie. »Neue Männer« brauchte das Land - am besten solche, die die gesamte Bandbreite zwischen windelweichem Windelwechseln und multiplem Machismo abdecken konnten. Das Ergebnis war allerdings der komplett »verunsicherte Mann«. Die Stimme dieser bemitleidenswerten Kreatur war seinerzeit Klaus Hoffmann. Es kann sein, dass ich dem sympathischen Liedermacher aus Berlin großes Unrecht antue, aber so kam er halt damals bei mir an... und genau deshalb verlor ich ihn nach so großartigen Alben wie "Westend" (1979) auch wieder aus den Augen.
Im Rahmen der "Orignal Album Classics"-Reihe von Sony Music wurde ich somit mit einem gut bekannten Unbekannten konfrontiert, denn die hier zu besprechenden Hoffmann'schen Alben von 1982 bis 1986 gingen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung komplett an mir vorüber. Standen die Scheiben aus den Siebzigern noch deutlich in der Tradition des französischen Chansons (in diesem Zusammenhang sei Hoffmanns Muse Jacques Brel besonders hervorgehoben), so zeigt er vor allem bei den Studiowerken "Ciao Bella" und "Morjen Berlin", dass der damalige (musikalische) Zeitgeist nicht spurlos an ihm vorübergegangen ist. Ja, man kann sogar sagen, mich hat der 62-jährige Sänger, Schauspieler und Autor hier teilweise richtig überrascht.
»Ich spiele oft den starken Mann
Den Vater, den Retter, den Held
Ich habe mir das alles nicht ausgesucht
Ich habe Angst, daß es nicht ausreicht
Lass dich dadurch nicht verwirren
Ich habe Angst, dass es nicht ausreicht
So wie ich bin«
Wie hier exemplarisch aus "So wie ich bin" zitiert, zeigt das 1982er Album "Veränderungen" den zerbrechlichen, in seiner Rolle als Mann hochgradig 'verwirrten' Klaus Hoffmann. In den zwölf Songs, die allesamt stark autobiografische Züge offenbaren, setzt sich der Liedermacher mit den Anforderungen, die ihn von verschiedensten Seiten bedrängen, auseinander. Heute fühlt Mann sich manchmal etwas unangenehm berührt, wenn man derart offen in die Seele eines fremden Menschen schauen darf. Ungeschminkt lässt Hoffmann den Hörer an seinen Zwiespälten, Ängsten und Widersprüchlichkeiten teilnehmen. Manchmal möchte man sich leicht verschämt abwenden, weil man sich wie in einem Spiegel selbst erkennt.
Musikalisch bewegt sich der Sänger noch eindeutig im 'Fahrwasser' des drei Jahre zuvor erschienenen Vorgängers "Westend" - modern interpretierte Chansons stehen im Vordergrund. Als besonders tiefgründige und aufwühlende Beispiele sind hier "Er dachte" und "Durch's Tor der Schatten" zu nennen. Aus der unspektakulär agierenden Begleitband ragt der Saxofonist Dave Kreitner hervor. Manches ist allerdings etwas zu zuckrig-poppig geraten. Hier fühlt man sich vor allem bei "Sind da auch so viele Steine" an das peinliche »Das weiche Wasser bricht den Stein« erinnert.
»Da ist die Tür zur Badestube, die Toilette
Da hab ich weniger gesessen als geheult
Denn da wurden mir die mütterlichen Sorgen
Mit dem Rohrstock auf den blassen Arsch gebläut
Das hieß Bestrafung für umgangene Gesetze
War ein, Schlag auf Schlag, Erziehungsritual
Und ich hörte noch nach 25 Jahren
Das wäre für gesunde Kinder ganz normal
Hinter jeder dieser Türen
Lernte ich verlieren
Habe ich verlieren gelernt«
Die Songs des ein Jahr später erschienenen "Ciao Bella" erscheinen kompakter, frischer, ja sogar ein wenig rockiger. Die NDW hatte seinerzeit bekanntlich viele alte Zöpfe gestutzt. Wenn ich nur eine stärkere Lupe hätte, um die wahnsinnig dicht agierende Combo hinter Hoffmann auf dem 1:1 auf CD-Größe geschrumpften LP-Cover entziffern zu können!! Der damalige Zeitgeist - friedensbewegt und atomverängstigt - spiegelt sich zwar vielfach wider, doch größtenteils arbeitet sich der ebenso stille wie wortgewaltige Poet hier an seiner Kindheit im kleinbürgerlich vermieften Nachkriegs-Berlin ab. Derart beklemmend, dass es dem Hörer gelegentlich die Kehle zuschnürt... Da ist es regelrecht erlösend, wenn Hoffmann auch mal was Positives ("Ich hab Dich so gern") zum Besten gibt. Musikalisch ist "Ciao Bella" zeitlos schön - erinnert mal an Konstantin Wecker ("Ein guter Untertan"), mal an Spliff ("Tschüss). Meinen neuen Lieblingssong habe ich mit dem seelenvollen "Vielleicht wirst du nicht fliegen", tolles Sax - dezent geslappter Bass, jedenfalls gefunden. Möglicherweise ist der Songzyklus aber einen winzigen Tick zu stark von Synthesizern geprägt, aber auch das war damals Zeitgeist, wie man bspw. bei Hoffmanns Kollegin Ulla Meinecke ebenfalls hören kann.
»Morjen Berlin, morjen du Schöne
Verhungertes Kind, Fussel im Bauch
Klappe, du Gör, hältst große Reden
Schlägst Riesenrad, stehst uffm Schlauch
Wartest auf Sonne, du lachende Träne
Zauberst dir Regen, du Trümmerkind
Morjen Berlin, morjen du Schöne«
Glanzpunkt der in "Original Album Classics" präsentierten drei Studioalben ist das 1985er "Morjen Berlin". Musikalisch bewegt sich Klaus Hoffmann hier noch einen gewaltigen Schritt näher an höchstes nationales Niveau heran. Mal balladesk, mal rockig (auch schon mal typisch deutschrockig), mal angejazzt - von Arrangement und Komposition, von der Qualität der Musiker wie der Produktionstechnik ist das allererste Sahne. Vielleicht Hoffmanns bestes Album bis zu diesem Zeitpunkt. Wie der Titel des Albums unschwer erraten lässt, ist dieses Album eine einzige Hommage an des Künstlers Heimatstadt, Berlin. Liebeserklärungen an die Schattenseiten wie den Glamour, an die Menschen unterschiedlichster sozialer Herkunft und ihr Lebensgefühl. Aber auch schonungslose Blicke in die Kieze... Hoffnungslosigkeit, die in Gewalt, Prostitution und Selbstzerstörung mündet. Nicht nur mit "Der Dreck der Straße" und "Gewalt" überrascht Hoffmann mit völlig neuen Tönen, hier harter Funk und Soul. Selten hat sich der Sänger lässiger und lockerer präsentiert - die Songs strahlen geradezu sonnenbebrillte Coolness aus, wie das saucoole "Ich hab die Liebe geseh'n". "Morjen Berlin" präsentiert sich als zeitlos schönes Klassealbum - eine ungeschönte Visitenkarte für unsere Bundeshauptstadt!
»Wenn ich sing', weiß ich immer noch nicht, warum ich sing'
Ich weiß nicht, vielleicht wenn ich sing'
Wenn ich sing', dann bin ich dir nah
Wenn ich sing', dann bin ich mir nah
Wenn ich sing'... SINGST DU!!«
Mehr als drei Jahrzehnte hab ich jetzt Klaus Hoffmann nicht mehr live gesehen und darüber fast vergessen, wie gut der Berliner auf der Bühne rüberkommt. Die Doppel-Scheibe "Wenn ich sing'" bietet da schöne Einblicke ins Bühnenprogramm. Da man seinerzeit mit dem aktuellen Album "Morjen Berlin" auf Tour war, setzt sich dieses vorwiegend aus diesen Songs zusammen, die hier wie eine Art Gerüst wirken. Dazwischen sind Klassiker wie "Salambo" oder "Wenn ich sing'" (beide von der "Westend") und uralte Brel-Interpretationen wie "Amsterdam" und "Geh nicht fort von mir" gestreut. Zwischendurch liest der Autor dreier Romane - ganz in Wecker-Manier - selbstverfasste kleine Abhandlungen, mal prosaisch, mal lyrisch. Die knisternde Spannung, die sich zwischen Bühne und Publikum in weit über eineinhalb Stunden aufbaut, ist förmlich greifbar. Es war übrigens ein 'Heimspiel' für den Sänger, denn die Aufzeichnungen stammen vom 3. und 4. März des Jahres 1986 aus dem Berliner Quartier Latin.
Im Gegensatz zu Hoffmanns erstem Live-Album ("Ich will Gesang, will Spiel und Tanz" von 1977) stehen auf "Wenn ich sing'" nicht Chansons sondern die modern interpretierten Lieder der drei vorhergegangenen Produktionen im Vordergrund. Eine überaus routiniert agierende Begleitband sorgt für eine angemessene Umsetzung, eng am Original orientiert.
Falls noch irgendjemand nicht wissen sollte, wofür die Sony-Reihe "Original Album Classics" steht, dann hier ein letztes Mal zum Mitschreiben: Eine CD-Box mit den Original-Alben im Original-LP-Look zum Tiefstpreis, keine Boni - keine Extras. Diese Klaus Hoffmann-Box ist für eine unprätentiöse Käuferschicht, die Wert auf Inhalt statt Verpackung legt, mal wieder ein guter Griff.
Tracklist |
Veränderungen (1982)
01:Veränderungen (3:32)
02:So wie ich bin (4:38)
03:Mann oh Mann (3:06)
04:Aber wenn, dann ganz (3:58)
05:Mir geht's ähnlich (4:08)
06:Zu den Wurzeln zurück (3:15)
07:Nur mal so sein (3:30)
08:Ich fühl' mich gut (3:16)
09:Er dachte (4:30)
10:Glaub an dich (2:33)
11:Durch's Tor der Schatten (3:37)
12:Sind da auch so viele Steine (4:56) |
Ciao Bella (1983):
01:Toter Mann (4:40)
02:Freches Kind (3:15)
03:Vielleicht wirst du nicht fliegen (3:45)
04:Ciao bella (3:35)
05:Allein (5:05)
06:Ich war ein guter Untertan (4:00)
07:Hinter Türen (6:30)
08:Kann nicht verzeihen (3:25)
09:Ich habe Dich so gern (2:38)
10:Tschüß (3:41) |
Morjen Berlin (1985):
01:Ich hab' die Liebe gesehn (4:28)
02:Morjen Berlin (3:43)
03:Der Dreck der Straße (2:58)
04:Ratten der Großstadt (3:22)
05:Tegel (3:05)
06:Städter sind cool (3:11)
07:Junge Hunde (3:19)
08:Gewalt (3:14)
09:Für zwei Stunden (3:51)
10:Keine Zeit (2:10)
11:Sommer in der Stadt (4:23)
12:Gesichter (4:03) |
Wenn ich sing' (live 1986) CD 1:
01:Hinter den Fratzen I (4:45)
02:Kreuzberger Walzer (4:22)
03:Der Lächler (1:30)
04:Städter sind cool (3:00)
05:Was fang' ich an in dieser Stadt (4:27)
07:Ratten der Großstadt (3:38)
08:Ich steh' im Regen (0:56)
09:Morjen Berlin (5:17)
10:Spaziergang (1:00)
11:Freches Kind (3:34)
12:Hinter Türen (7:24)
13:Geh nicht fort von mir (3:35)
14:Der alte Mann (1:10)
15:Ciao Bella (3:57) |
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Wenn ich sing' (live 1986) CD 2:
01:Junge Hunde (3:40)
02:Der Bäcker (1:08)
03:Der Dreck der Straße (2:58)
04:Gewalt (4:32)
05:Für det bißchen Zärtlichkeit (4:17)
06:Salambo (4:08)
07:Blinde Katharina (3:43)
08:Amsterdam (3:19)
09:Die Polizistin (2:26)
10:Hochzeit bei Zickenschulze (3:55)
11:Vielleicht wirst du nicht fliegen (4:17)
12:Hinter den Fratzen II (1:09)
13:Gesichter (3:36)
14:Ich hab' die Liebe gesehn (6:02)
15:Wenn ich sing' (5:38 ) |
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Externe Links:
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