Nina Hagen Band & Nina Hagen / Live @ Rockpalast
Live @ Rockpalast Spielzeit: 130:05
Medium: DVD
Label: Sony Music (licensed by WDR mediagroup), 2012
Stil: Deutschrock / Wave
Technik:
DVD-Format: DVD-9
Sound-Format: PCM
Bild-Format: 4:3
Region-Code: 2
FSK: 6

Review vom 23.12.2012


Steve Braun
Man mag Nina Hagen verspotten, sich über ihre wirren Lebensweisheiten die Haare raufen oder ihre Musik schlichtweg zum Kotzen finden - eines ist sicher: Ohne sie wäre es bedeutend langweiliger in der deutschen Rockszene. Trotzdem ist die Hagen eine tragische Figur ebendieser, denn eigentlich nimmt sie heute niemand mehr ernst. Das war zu Zeiten der Nina Hagen Band noch völlig anders. Damals war die Frau schlichtweg eine Offenbarung - eine Hoffnung auf eine Erneuerung der hiesigen Rockmusik, die allerdings wenig später wie eine Seifenblase zerplatzten sollte.
Warum teilt das Projekt Nina Hagen Band nicht das Schicksal so vieler anderer 'Eintagsfliegen'? Nun, das musikalische Genie der fünf Beteiligen fokussierte sich hier wie in einem Brennglas - die freigesetzte Energie war schlichtweg überwältigend! Mitteregger, Heil, Praeker und Potschka konnten diese auf Spliff und ihre Soloprojekte übertragen - die Hagen zehrt dagegen noch heute davon. Die Solomusikerin Nina Hagen wäre ohne diese Vorgeschichte obendrein nur eines der vielen Irrlichter der NDW gewesen und heute vergessen bzw. 'die Tochter von...' geblieben.
Man kann Sony Music (in Zusammenarbeit mit dem KulturSpiegel) nur dankbar sein, dass neben den 'eineinhalb' Studioalben nun endlich auch ein Dokument der Live-Aktivitäten der Nina Hagen Band vorliegt. Denn wenige Wochen nach dieser (einzigen) Tour mit dem hier zu besprechenden Rockpalast-Gig vom 9. Dezember 1978 wurde die Band bereits zu Grabe getragen. Dem 1979 nachgeschobenen "Unbehagen" merkte man die Lustlosigkeit (das sprichwörtliche Unbehagen) an, mit dem diese Verpflichtung gegenüber der Plattenfirma eingespielt wurde. Band und Sängerin gingen einander übrigens seinerzeit im Studio konsequent aus dem Weg.
Tolle Bilder, tolle Töne - auf diese schmissige Kurzformel kann man den ersten Teil dieser "Live @ Rockpalast"-DVD bringen. Die Nina Hagen Band schlägt wie eine Bombe in die Dortmunder Westfalenhalle ein. Mitteregger, Heil, Praeker und Potsch schaffen es spielend, den dichten Sound des Debütalbums auf die Bühne zu übertragen. Die Diva überzeugt grenzenlos mit einem Organ, das einen niederzubrüllen wie zu streicheln vermag. Sie lässt sich hier (noch) in ein straffes Bandkonzept pressen - ein Umstand, der in ihrer gesamten Solokarriere fehlen sollte. Im Gegensatz zu ihren Mitstreitern verstand es Nina Hagen nie, ihre unbestreitbare Genialität zu bündeln, auf ein Ziel zu fokussieren. Deshalb regiert auf ihren Soloalben eben der Wahnsinn, der kongeniale Partner des Genius.
Vom "TV-Glotzer" bis zum "Pank" wird das komplette Debüt runtergerotzt: hart, laut, provokant und schrill. Ein 'ohraler' Hörgenuss vom ersten bis zum letzten Ton - eine knappe Stunde lang. Da stört es überhaupt nicht, wenn Frau Hagen mal Probleme mit den Wunderkerzen oder einem Einsatz hat - dieser Auftritt ist der Hammer. Die erste Zugabe, die sex pistol'sche Version von My Way, wird noch zögerlich eingefordert - die zweite schon deutlich lautstärker. Bezeichnenderweise ist dies "Hermann hieß er", die schlechteste Nummer des Gigs. Und mit schlecht meine ich: grottenschlecht! Der Song irrlichtert ohne Konzept, völlig planlos vor sich hin. Offenbar ein Outtake der "Nina Hagen Band"-Sessions, das völlig zu Recht auf dem uninspirierten "Unbehagen" landete. Wie sagt die Hagen so trefflich zum Schluss: »Der Wahnsinn ist eine Reise nach Dortmund. Das Gehirn erkrankt und schwankt in immer neue Dimensionen, da wo böse Mächte wohnen.« Eine wahrhaft prophetische Aussage...
Die Einleitung des vorabendlichen Auftritts in den Bonner Rheinauen übernimmt ein Guru - natürlich vom Tape. Die schenkelklopfenden Lacher im Publikum sind nicht zu überhören! Aber das ist der volle Ernst der fröhlich die Handtasche schwingenden, rückkehrenden 'Godmother of Punk'. Die jugendliche Band groovt richtig schön druckvoll zu "Return Of The Mother", doch so engagiert die Hagen ihre Botschaft vom Blatt abliest, der Funke will nicht ins Publikum überspringen - die Kameraschwenks belegen es eindeutig. Dann begeht sie allerdings gleich zu Beginn des Sets einen schwerwiegenden Fehler, mit dem sie selbst ihre Band (unnötigerweise!!) deklassiert: Sie intoniert den "TV-Glotzer". Unpräzise und schwammig agiert der Vierer im Hintergrund - da liegen Dimensionen galaktischen Ausmaßes zwischen Nina Hagens Begleitung und der Nina Hagen Band. Somit entzaubert man sich leider schon zu Beginn - völlig überflüssig, diese Aktion! Der Applaus ist trotzdem kurz und ehrlich.
Nach diesem kurzen Ausflug in spliff'schen Hard Rock tummelt man sich vorwiegend im Wave-Bereich. Weitgehend wirr und orientierungslos - was tragisch ist, denn Nina Hagen bedürfte, wie weiter oben schon angemerkt, strenge Leitplanken. So wuseln beide - Band und Sängerin - eher planlos herum. Da ist das Chaos vorprogrammiert - wer das mag, wird allerdings bestens unterhalten. Wenn es eine Parodie wäre, könnte man das Programm sogar als genial bezeichnen. Aber das ist alles heiliger Ernst... "Nina For President".
Damit wir einander nicht falsch verstehen: Ich finde es unglaublich schade - um das verschleuderte Talent der Hagen ebenso wie die Lächerlichkeit, der sie sich preisgibt. Das Bonner Publikum quittiert es zwar stirnrunzelnd, spendet aber artig freundlichen Applaus. Einer Nina Hagen sieht man eben so manches nach... auch, dass sie in Bonn gleich zweimal Zarah Leander ihre Referenz erweist. Einer Sängerin, die sich von Goebbels bereitwillig vor den Propagandawagen spannen ließ und sich zeitlebens nie von ihrer Rolle im sogenannten Dritten Reich distanziert hat. Eigentlich passend zur zwiespältigen Hagen, denn sie hatte sich zwar stets glaubwürdig gegen Rechts positioniert, vergaloppiert sich aber hier mal wieder.
Bei "My Way" kommt dann doch noch so etwas wie Begeisterung in den Rheinauen auf - die Zugabeforderungen sind ehrlich und nachdrücklich. Bevor das überdrehte "Zarah" des Zuhörers Adrenalinausstoß wieder unter dem Normalniveau einpegelt.
Wie man es von den anderen Rockpalast-DVDs gewohnt ist, sind Bild- und Tonqualität auf dem üblichen hohen Niveau. Extras gibt es diesmal keine, aber bei über zwei Stunden Spielzeit braucht hier niemand zu meckern.
Allein wegen dieses einzigen Bild- und Tondokumentes der Nina Hagen Band, ist "Live @ Rockpalast" als Pflichtkauf zu werten! Über den Rest werde ich persönlich zukünftig den Mantel des Vergessens decken.
[Lachhafterweise gibt die FSK sechs Jahre als 'Einstiegsalter' an. Warum eigentlich?? Ach so!!
Nina Hagen singt einmal 'Fickmaschine'. Heutzutage hat man als Sechsjähriger dieses Wort natürlich bereits drauf... ;-)]
Line-up:

Nina Hagen Band:
Nina Hagen (vocals)
Bernhard Potschka (guitar, vocals)
Reinhold Heil (keyboards, vocals)
Manne Praeker (bass, vocals)
Herwig Mitteregger (drums, vocals)

Nina Hagen:
Nina Hagen (vocals, Indian Harmonium)
Joshua M. Lopez (guitar, vocals)
Eric Moon (keyboards)
Brad van Loenen (bass, vocals)
Jeff Mince (drums)
Tracklist
Nina Hagen Band, Dortmund, Westfalenhalle, 09.12.1978:
01:TV-Glotzer
02:Naturträne
03:Unbeschreiblich weiblich
04:Heiß
05:Auf'm Friedhof
06:Der Spinner
07:Superboy
08:Auf'm Bahnhof Zoo
09:Rangehn
10:Pank
11:My Way
12:Hermann hieß er

Nina Hagen, Bonn, Rheinaue, 28.08.1999:
01:Return Of The Mother
02:TV-Glotzer
03:Frequenzkontrolle
04:Yes Sir
05:Schachmatt
06:Wir leben immer... noch
07:Höllenzug
08:Wende
09:African Reggae
10:Nina IV President
11:Der Wind hat mir ein Lied erzählt
12:Right On Time
13:He Shiva Shankara
14:My Way
15:Zarah (Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn)
Externe Links: