Sie waren wohl die ersten, die Rockmusik in deutscher Sprache vortrugen. Im Gegensatz zu all den Bands und Musikern die folgten und sich ebenso entschlossen in ihrer Muttersprache zu singen, war das damals, Ende der Sechziger und anfangs der Siebziger, gar nicht so einfach. Rockmusik hatte gefälligst englischsprachige Texte zu haben. Nun ja, Wegbereiter und Pioniere hatten es noch nie leicht, zumal in einer Zeit, die man getrost als die Hochzeit der Rockmusik bezeichnen darf, schoss doch jede Woche eine neue Truppe mit geilen Alben - die man heute zu den Klassikern zählen darf - aus dem Boden.
Ihre LP "Leere Hände" (1970) müsste sich noch in meinem Bestand befinden. Die wurde damals bei mir und meinen Mithörern rauf und runter gespielt. Dann - vergessen. Umso größer die Freude, als mich das Sireena-Päckchen mit dem 1971er Werk "Werdohl" erreichte. Da war sie wieder, die Erinnerung an diese deutschsprachige Krautband. Selbstverständlich hat Sireena der Neuauflage Vinyl spendiert, farbiges gar und wie gewohnt: limitiert und schwer. Und das ist gut und angebracht, denn im Vergleich zu den kurze Zeit später gegründeten, agitativen Floh de Cologne sowie den etwas holprigen Ton Steine Scherben, hatten Ihre Kinder diese psychedelische Verträumtheit und waren musikalisch viel näher an den Bands aus England und den USA. Neben Psychedelic beherrschte die Gruppe aber auch Rock und Blues Rock und war meilenweit davon entfernt, seichte Texte zu verwenden. Apartheit, Krieg, Drogen sind nur einige Beispiele der sozialkritischen Themen ihrer Lieder. Aber auch für sich selbst konnte und kann man viel aus den Songs entnehmen.
"Ihre Kinder" bzw. der Name geht zurück ins Jahr 1969. Davor standen (noch englischsprachig) Jonah & the Whales und Empire State Building. Bei letztgenanntem Vorläufer begann Urmitglied Sonny Henning bereits mit deutschen Texten, was sich dann schließlich mit der Namensänderung in Ihre Kinder manifestierte.
"Werdohl" ist das vierte Album der Band und trägt den Namen einer sauerländischen Stadt. Der Plattentitel ist einfach ein Synonym für die Tourtätigkeit der Gruppe und sicher hätten die Nürnberger auch jeden anderen Ort, den sie bespielten, als LP-Namen wählen können. Auf jeden Fall sprach sich der Titel auch in Werdohl herum, sodass der Bürgermeister 20 Vinylscheiben als Gastgeschenk orderte. Wer die wohl bekommen hat ...?
Beachtenswert ist, dass gerade das Titelstück eher untypisch, da komplett instrumental, ist. Dies tut der Qualität der über siebenminütigen Nummer aber keinen Abbruch. Feine akustische Gitarrenarbeit, Klavierintermezzi und verträumtes Flötenspiel sind Tupfer, die den elektrischen Instrumenten einen progressiven Anstrich verleihen. Vielleicht haben Ihre Kinder damit ihre Eindrücke aus Werdohl musikalisch verarbeitet.
Die Tracks mit Texten sind - natürlich - zum Zuhören da und auch heute, 45 Jahre nach der Erstveröffentlichung, immer noch aktuell. Als da z. B. wären "Rosa Rot", die Story über den Lebensweg eines kleinen, behüteten Mädchens, das im weiteren Verlauf in der Hoffnungslosigkeit der Prostitution landet. Oder "Komm, wir fahr'n auf's Land", dessen Lyrics von Landflucht hin zum Geld in der Stadt handeln, wo doch das wahre Leben, die Ruhe, Sicherheit und Natur mitnichten in einer Stadt zu finden ist. Quasi als Fortsetzung dieses Stückes kann man "Die graue Stadt" sehen - mit umgekehrtem Vorzeichen. Nun wird es konkret, denn statt Bäume gibt es dort Stahl, das Wasser ist grau und die Schwalben sind aus Pappe. Zeitlos und nach viereinhalb Jahrzehnten topaktuell präsentiert sich das "Schlaf-Lied". Wie die Bandbreite der Themen, die Ihre Kinder auf "Werdohl" behandeln ist auch die musikalische Stilistik vielfältig. Folkig, psychedelisch angehaucht, rockig und bei "Worte" gibt es gar leicht Jazzrockiges mit starker Percussion.
Das edle Vinyl steckt in einem tollen Klappcover und lässt keine Infos vermissen. Allerdings stellt sich mir die Frage, wieso 'Urkind' Sonny Henning als Gast aufgeführt ist, zumal zwei der Titel ("Babylon" sowie "Die graue Stadt" textlich als auch musikalisch aus seiner Feder stammen. Wie auch immer, nach zwei Versuchen in den Achtzigern, die Band neu zu beleben, gab es 2000 noch ein Konzert mit allen bisherigen Musikern.
Liebe 'Kinder', eure Musik wäre gerade in der heutigen Zeit mit Sicherheit nicht fehl am Platze. Konstatierte dereinst doch der Panik-Udo, dass ihr seine Inspiration wart. Ihr wart die Ersten, die Wegbereiter für Rock mit deutschen Texten. Einige eurer Kinder machen das auch recht gut, aber es gibt zu viele, die dringend Nachhilfe bräuchten. Vielleicht hilft da ja die Neuauflage dieses Klassikers.
Line-up:
Olders Frenzel (Schlagzeug, Congas - #4, Konzertgitarre - #6)
Muck Groh (Gitarren, Posaune - #7)
Georgie Meyer (Congas, Flöte, Gesang - #3,4,8, Klavier - #4, Orgel -#4,5)
Tommi Roeder (Baß, Klavier, Orgel, Alt-Saxophon, Celeste, Gitarre - #1,8, Gesang - #5)
Ernst Schulz (Gesang, Sechs- und Zwölfsaiten-Gitarre, Baß - #1,6-8)
Gast:
Sonny Henning (Gesang - #1,7, Orgel & Klavier - #1,7)
Tracklist |
Seite 1:
01:Babylon
02:Rosa Rot
03:Unterwegs 8 vor Zwei
04:Worte
05:Komm, wir fahr'n auf's Land
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Seite 2:
06:Werdohl
07:Die graue Stadt
08:Kennst du den Mann
09:Schlaf-Lied
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Externe Links:
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