Light Grenades - Lichtgranaten. Ein Titel mit dem man erst mal herzlich wenig anfangen kann. Doch wie die Band verlauten ließ, handelt es sich eher um Granaten der Erleuchtung - soweit sie das selber überhaupt so richtig wissen. Macht ja auch nichts, denn wichtiger als das was drauf steht, ist ja nunmal das, was drin ist. Und hier verbirgt sich eine ganze Menge.
Nachdem die Band stärker in die Poprichtung zu gehen schien, orientieren sich die fünf Jungs auf dieser Platte merklich Richtung Alternative. Wobei Alternative es nicht so ganz trifft. Wie auch wohl kaum eine andere Genreumschreibung, denn auf diesem Album gibt es viel zu hören. Fette Rock-Licks wechseln sich ab mit schmalzigen Balladen, welche dann wiederum dem Riffrock die Klinke in die Hand geben. Und all das stelle man sich jetzt konstant gewürzt mit ein bisschen Kraut vor.
Hier findet jeder Incubus-Fan etwas für sich. Die Jungs und Mädels, die seit dem ersten Album zu den Konzerten pilgern ebenso, wie die jüngere Generation, welche erst durch "Morning View" auf die Band aufmerksam geworden ist. Leicht verdauliche Kost ist dieses Album dennoch nicht. Oftmals als undurchsichtig, schwer eingänglich oder abstrakt bezeichnet, birgt es für den Incubus-Kenner jedoch nichts so umwerfend Anderes. Und auch jeder, der zum ersten Mal mit der Band in Berührung kommt, wohl aber das ein oder andere Radiohead-Lied 'mit Erfolg' gehört hat, sollte keine Probleme mit dieser CD haben.
Sicher muss man sich in dieses Album einhören, und auch nach dem zehnten Mal entdeckt man immer noch Neues. Dennoch muss man keine Angst haben, hier vor unhörbare Kakophonien gestellt zu werden. Das Gros der Songs ist immer noch guter Rock-Pop mit Radiotauglichkeit. Jedoch gibt es eben auch jene Nummer, wie "Pendulous Threads" mit seinen scheinbar schiefen, ungewohnten Tönen, die nicht direkt an die Tür klopfen und mit offenen Armen empfangen werden. Dieses Album möchte gehört werden.
Der gute Sound tut sein Übriges. Hätte man bei Incubus auch nicht anders erwartet, oder? Immerhin handelt es sich um eine berühmte Band eines Majorlabels, die sich einfach einen beliebigen Produzenten und Mixer an Bord ziehen kann. Und jetzt aufgemerkt: »Produced & Mixed by Brendan O'Brien«.
Für alle Unwissenden: Es handelt es sich um einen der bedeutendsten Produzenten der Neunzigerjahre. Man nennt ihn auch Mr. Grunge und die Liste der Künstler, für die er tätig war, liest sich wie das Who is Who der letzten Jahre. Zwar kommen jetzt noch einige Credits für Assistenten, dennoch kann man hier eine beachtliche Leistung attestieren. Dieses Album wartet mit einem gern genommenen, sehr direkten Sound auf, der dabei jedoch die meiste Zeit sehr verspielt bleibt. Man hätte das Ganze auch beliebig rauer, trockener, süßer oder schwebender aufnehmen können. Gut, dass man es nicht getan hat. Ich persönlich mag den Mix sehr gerne. Alles ist gut zu hören, die Frequenzen haben ihren Platz, jedes Mal tauchen neue Parts auf, von denen man schwören könnte, dass sie letztes Mal noch nicht da gewesen waren. Im Bezug auf den Titel könnte man jetzt mit einem Wort wie 'erleuchtend' um sich werfen, das würde dann doch zu weit gehen. Interessant sind dann aber doch noch die teilweise recht unkonventionellen Hallräume, welche auf den Instrumenten, aber auch dem Gesang liegen.
Die Aufmachung des Albums repräsentiert das Gehörte in bester Art und Weise. Allein schon das Booklet mit seinen verspielt psychotisch-paranoiden Grafiken wäre es für alle MP3-Fans wert, auch einmal ein Album zu kaufen. Dass einige Songs ein wenig unkonventionell klingen, erkennt man schnell. Dazu muss man das Album nicht mal gehört haben. Wie das geht? Ganz einfach: Man schaue hinten aufs Booklet und wundere sich über Instrumente wie Mellotron, Marxophon oder Theramin. Jedoch sollte man nun nicht erwarten, sich in virtuosen Klanggefilden der Metamusik zu verlieren, viel eher spricht dies für die Experimentierfreudigkeit des Ensembles und ist - so viel sei versichert - sehr geschmackvoll und mit Bedacht eingesetzt.
Schon "Quicksand", das Intro der CD, lässt mit seinen 30 Sekunden, bevor der schwebende, langgezogene Gesang einsetzt, keine Fragen offen: Dieses Album ist nicht nur für das Radio gemacht. Konnte man von den "Morning View"-Sessions noch quasi jedes Lied in fast jedem Radio spielen, so ändert sich dies hier schlagartig. 30 Sekunden bis zum Gesang - da sind andere Nummern schon wieder aus dem Refrain raus. Aber nicht einmal den gibt es hier. Dieses Stück dient tatsächlich nur als reiner Introsong, der seine ganz eigene Charakteristik aufweist und schon fast vor dem erwähnten Radiohead-Album stehen könnte.
Der eigentliche erste Track - "A Kiss To Send Us Off" - besitzt dann schon eher die typischen Qualitäten. Mit einem Intro, welches wie eine Mischung aus dem Queen'schen "Flash Gordon"-Soundtrack und "Megalomaniac" (dem Opener der letzten Platte) anmutet, lässt es sofort frischen Wind durch die Speaker ziehen. Dicht gefolgt wird dieser Song von den drei ersten Singles der Platte: "Dig", "Anna Molly" und "Love Hurts". Alle drei schöne Popsongs, wobei "Dig" in meinen Ohren schon fast ein wenig langweilig und uninspiriert klingt. Immerhin bleibt eine der Stärken von Incubus das Texten. Die Freundschaft mit- und Selbsthilfe durch das andere Ich ist wohl eher seltener Thema.
Kommen wir nun aber endlich zu den ersten wirklich bemerkenswerten Tracks des Albums: "Anna Molly" und "Love Hurts". So, einmal scharf nachdenken: Was erwartet man für einen Text bei einem Titel wie "Anna Molly"? Richtig. Und damit dürfte auch schon fast genug zum Text gesagt sein. Zur Musik jedoch noch lange nicht. Hier spielen Incubus endlich ihre große Stärke aus: Das umwerfende Songwriting und die dazugehörigen Killerlicks. Und damit meine ich jetzt keine Malmsteen Frickel-Aktionen, sondern vielmehr ein schnelles trockenes Akkordriff, welches durch den Song leitet und in seiner Art schon ein wenig an Pete Townshend erinnert. Dieses Stück hat so richtig schön viel Platz. Hier stört sich nichts gegenseitig, hier sind keine Instrumente zu viel, dennoch klingt alles nochmal einen Tick runder und voller. So etwas können die Profis halt :-)
Und wen das Break knapp nach der Hälfte des Songs nicht gepackt hat, der wird diese Nummer wohl auch nicht mehr lieben lernen. Während der Gesang gewohnt gekonnt auf sich aufmerksam macht, bleiben Bass und Gitarre mit dezent fetten, langen Akkorden schön am Ball, lassen jedoch den nötigen Platz. Beim ersten Mal von mir zugegebenermaßen kaum beachtet, spielt sich hier aber gerade der Drumpart in mein Herz. Eine knappe halbe Minute lang sich steigernde Trommelwirbel zu spielen, kann erstens nicht jeder und vor allem kann es wohl kaum jemand so gekonnt einsetzen wie diese Band.
Der nächste Track, "Love Hurts", ist eine Popschnulze ohnegleichen. Schön instrumentiert, schön gesungen, gekonnt inszeniert, ohne Frage. Aber ist es tatsächlich noch erlaubt, Texte wie »Love hurts, but sometimes it's a good hurt« zu schreiben? Bei diesem Lied würde sich wie wohl bei kaum einem Anderen, ein Backgroundgesang anbieten. Der bleibt aber leider aus. Macht ja nichts, nachdem man erstmal auf den Text geachtet hat, hört man das Lied ohnehin nicht mehr ganz so gern.
Aber da haben Incubus natürlich noch was in petto: Der Titelsong des Albums geht gleich ganz gewaltig nach vorne! Ein Riff das seinesgleichen sucht, sich ständig steigert und sich letztendlich im energiegeladenen Gesang auflöst. Power ohne Ende also. Drums und Bass zimmern hier einen Soundteppich, auf dem sich Mike und Brendan so richtig austoben können. Endlich hört man auch mal mehrere Gitarrenspuren gleichzeitig. Kurze Zeit später wird die Instrumentalisierung wieder auf Gitarre pur zurückgestuft, um dem Gesang Raum zu geben. Dieser besticht nicht nur durch die Energie, sondern auch durch seine besonderen Hallräume und den Effekt den es gibt, wenn der Gesangstake nicht an einem Stück aufgenommen wurde. Man hört deutlich die Schnitte. Dies ist aber keinesfalls negativ gemeint. Vielmehr ist es hier so interessant als Stilmittel eingesetzt, dass man nicht umhin kommt, O'Brien erneut gratulieren zu wollen. Zum Schluss des Songs blitzt sogar kurz noch mal etwas wie die harte Screamo-Vergangenheit der Band auf.
Dieses Album ist ganz sicher etwas für jeden Incubus-Fan und definitiv werden es auch die Genre-Freunde mögen. Alle Anderen sollten durchaus mal ein Ohr riskieren. Meine Anspieltipps wären "Anna Molly" und "Light Grenades","Love Hurts" für die kitschigen unter euch und "Pendulous Threads" für alle, die herausfinden wollen, ob sie mit den Soundwelten, die hier geboten werden, auch klarkommen.
Also: Ab in den Laden und die CD-Regale plündern.
Line-up:
Brandon Boyd (vocals, percussion)
Michael Einziger (guitar, piano, rhodes & string arrangement)
Ben Kenney (bass, vocals)
Jose Pasillas (drums)
Chris Kilmore (turntables, organ, piano, mellotron, theremin)
Tracklist |
01:Quicksand
02:A Kiss To Send Us Off
03:Dig
04:Anna Molly
05:Love Hurts
06:Light Grenades
07:Earth To Bella (Part I)
08:Oil And Water
09:Diamonds And Coal
10:Rogues
11:Paper Shoes
12:Pendulous Threads
13:Earth To Bella (Part II)
|
|
Externe Links:
|