Elton John / Goodbye Yellow Brick Road
40th Anniversary DeLuxe Edition
Goodbye Yellow Brick Road - 40th Anniversary DeLuxe Edition Spielzeit: 76:20 (CD 1), 78:03 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: Mercury/Universal Music 2014, (1973)
Stil: Pop, Rock


Review vom 09.04.2014


Günther Klößinger
Was kann man zur Neuauflage eines Albums schreiben, über das schon so gut wie alles geschrieben wurde? Welche Geschichten kann man über solch ein Werk erzählen, die nicht schon dutzendfach erzählt wurden? Hieße es nicht, Elton nach Athen tragen, wenn man zum x-ten Mal erwähnt, dass die originale Doppel-LP damals das siebte Studioalbum von Herrn John in nur drei Jahren war, dass es gleich eine ganze Handvoll von Singlehits enthält, unter anderem den Megaseller "Candle In The Wind", der in drei unterschiedlichen Versionen in drei Jahrzehnten die Charts stürmte und der global erfolgreichste Shortplayer aller Zeiten wurde? Wer kennt nicht bereits die Anekdote, dass mit "Bennie And The Jets" erstmalig ein weißer Künstler Einzug in eine ansonsten rein schwarze Vorzeige-Soulshow im US-TV hielt? Nicht zu vergessen die bombastischen Verkaufszahlen des Albums - bis heute liegt die Bilanz bei 31 Millionen Exemplaren.
All diese Fakten beeindrucken schon für sich, dazu muss man die Scheibe nicht mal anhören. Über die Qualität der Musik sagen solche Stories aus der Popgeschichte freilich noch nichts aus, aber eines wird angesichts all der Superlative schon klar: Elton John hatte mit diesem aufwändigen Opus einen Nerv getroffen, und zwar zielsicher. Noch dazu einen, der auch nach mehr als vierzig Jahren noch kribbelt, wenn diese zeitlosen Songs aus den Boxen tönen. Hier hat jemand, wahrscheinlich sogar ohne es zu wollen, mal nicht nur den Zeitgeist bedient wie viele Sternchen mit ihren One-Hit-Wonders, sondern tatsächlich einen Meilenstein der Rock History aus der Taufe gehoben.
Sicher wäre es zu hoch gegriffen, die ambitionierte Doppelscheibe zum Konzeptalbum zu erklären, aber einige Themen ziehen sich doch wie ein roter Faden durch die Songs: Film, Liebe und Tod. Bei diesem Hattric wird klar: Hier geht's um große Gefühle, doch sollte uns das bei Elton John ja nicht gerade verwundern. Dank seines grandiosen Texters Bernie Taupin hat selbst der größte Schmachtfetzen eine Aussage.
Mag "Candle In The Wind" auch eine Hommage an die große Marilyn Monroe sein, so stürzt sich der Text nicht auf den Glamour und den Sexappeal dieser unbestrittenen Movie Queen vergangener Tage, sondern beschreibt ihr einsames Dahinscheiden. Norma Jean, deren Manager sie am liebsten als dummes Püppchen gesehen hätten, ihre Karriere mit falschen Versprechungen pushten, der man sogar ein Pseudonym verpasste und die sich doch nicht verbiegen lassen wollte. Und dennoch wurde sie gebrochen. Taupin beschreibt das aus der Sicht eines jungen Mannes, der erst nach dem Verlöschen des Lebenslichts der Diva deren Faszination entdeckt hat und feststellen muss, dass da weit mehr war als vordergründiger Sex und abgeschmacktes High Life. Hätte Bernie Taupin seine Texte nicht für Elton John geschrieben, sondern sie zwischen Buchdeckel gepresst, sie würden als 'große Literatur' durchgehen - aber bestimmt nicht so viele Leute erreichen.
Nun ist "Candle In the Wind" ja bis heute der Überflieger und das überschattet die Rezeption von "Goodbye Yellow Brick Road" ein wenig, da die übrigen Songs ein wenig im Schatten dieses musikalischen Blockbusters stehen.
Dabei hat die Scheibe noch viel mehr zu bieten als den Abgesang auf Norma Jean.
Allein schon der Opener ist grandios: Schicksalschwangere Synthieklänge schwingen sich zu Klangbombast von Wakeman'schen Ausmaßen auf. Wer weiß - wäre der gute Rick bei den Strawbs verblieben, hätte Elton vielleicht seinen Schemel bei Yes erklimmen können. Doch nachdem bei "Funeral For A Friend" (schon wieder der Tod…) die letzte musikalische Schippe ins Grab gekippt wurde, reißt Elton stilistisch die Zügel herum. "Love Lies Bleeding" zeigt, in welche Richtung "Goodbye Yellow Brick Road" sich bewegt. Der Sound geht vom britisch angehauchten Prog-Gewitter zum lockeren Flair Americana-seligen Countryrocks über. Die Gesangsharmonien erinnern zeitweilig gar an die Eagles, doch damit ist die Palette noch nicht ausgereizt. Wuchtige Gitarren übernehmen das Ruder, mehr Drive entert die Szenerie. Die Gitarren zelebrieren urgewaltige Riffs und die 'O-ooos' im Hintergrund gemahnen an "Sympathy For The Devil".
Eins ist nach diesem Feuerwerk unterschiedlicher Stilistiken und Soundkulissen sonnenklar: Elton John ist weitaus mehr als ein Fließbandproduzent für gefällige Popsingles. Wie kunstfertig die Kompositionen und Arrangements sind, erschließt sich bei vielen Songs erst nach mehrmaligem und genaueren Hinhören. Erstklassiges Songwriting, gepaart mit Virtuosität und jeder Menge Seele, das macht dieses Werk aus.
Prinzipiell könnte man jedes Lied für sich als kleines Kunstwerk betrachten, was wohl auch erklärt, warum die Scheibe gleich vier erfolgreiche Singles für die Charts abwarf. Die ganze Pracht dieser Musik erschließt sich allerdings erst beim Hören des gesamten Albums.
Das Thema "Film" outet sich bereits im Titel "Goodbye Yellow Brick Road" - eine Reminiszenz an den legendären Hollywoodschinken "Der Zauberer von Oz", in dem die kleine Judy Garland der gelb gepflasterten Straße bis zum Ziel ihrer Träume folgt. Insofern kann man dieses "Goodbye" auch als symbolisch für Elton Johns Karriere betrachten. ‚Goodbye, Yellow Brick Road, ich bin angekommen, wo ich hinwollte!' In der Tat hatte der wild bebrillte Singer/Songwriter hier endgültig den Schritt in die Welt des Glam Rock gemacht und den Grundstein für seine weitere stilistische Ausrichtung gelegt. Der Rest ist Geschichte...
Weitere Highlights aus der Tracklist zu picken, fällt wirklich schwer. Natürlich ist "Saturdy Night Alright's For Fighting" eine begnadete Rocknummer, was schon dadurch belegt ist, dass The Who diesen Knaller lange Zeit in ihrem Live-Repertoire hatten, und auch "Bennie And The Jets" ist eine perfekte Fingerübung in Sachen Pop und Soul, aber letztlich erweist sich jedes einzelne Take als Kleinod, das genossen werden will.
Bleibt lediglich die Frage: Was hat eine erneute Auflage dieses Klassikers im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen zu bieten. Ein großer Pluspunkt ist das Remaster, das hörbar mit Herzblut von den originalen Analogbändern gefertigt wurde. Wer danach nicht seine Uralt-CD aus den Achtzigern in die Tonne kloppt, kann sie wenigstens als Untertasse verwenden. Der Klang ist plastisch, nuancenreich und warm. Da wurde ein altes Schmuckstück gewissenhaft von Staub und Schmutz befreit, poliert und geschliffen, sodass es nun in neuem Glanz erstrahlt. Die DeLuxe-Edition hält noch so manches Schmankerl bereit.
Zunächst einmal enthält die Bonus-CD einige Coverversionen zentraler Stücke aus "Goodbye Yellow Brick Road". Hervorzuheben wäre hier Ed Sheerans Fassung von "Candle In The Wind" als Folkballade mit leichtem Rockabilly-Touch. So hört man die tragische Story mal ganz anders. Die akustischen Instrumente, allen voran eine hübsch eingesetzte Fiddle, untermalen den Text ungewohnt lässig, aber nicht despektierlich. Sehr gelungen ist auch Emeli Sandés Bearbeitung von "All The Girls Love Alice". Der Gesang vermag es gar, den guten Elton in Modulationsfähigkeit und Ausdrucksvielfalt zu toppen. Da hat sich jemand wirklich in die Vorlage hineinbegeben, sie ins 21. Jahrhundert transponiert und mit ganz neuem Leben erfüllt. Der Track verlässt sich fast ausschließlich auf die Stimme der jungen Chanteuse, die Begleitung bleibt dezent und begnügt sich mit dem Einstreuen weniger Akzente. Dem Klassiker selbst kann diese Version sicher nicht den Rang streitig machen, aber es handelt sich dennoch um weit mehr als ein bloß mal so heruntergeschrubbtes Cover. Vielmehr handelt es sich um eine liebevolle Hommage an das Original.
Der übrige, "Revisited"-Teil der Bonus-CD mit Fremdeinspielungen ist zeitweilig ganz hübsch anzuhören, aber hier zeigt der Vergleich mit den ursprünglichen Songs doch deutlich, wo der Hammer hängt. Die Interpreten halten den Ball flach und stets heißt es 'love fifteen' für Elton.
Interessanter ist da schon die zweite Hälfte des Extramaterials, die "Beyond" betitelt ist. Es handelt sich um Studio-Outtakes, Liveaufnahmen und Singles, die nicht auf dem originalen Album enthalten waren. Gerade die Konzertaufnahmen reißen mit, zeigt sich hier doch, welch fantastische Begleitmusiker Elton an seiner Seite hatte. Deren grandiose Fähigkeiten mussten sich im Studio oft den Ideen von Produzenten und Arrangeuren unterwerfen, auf der Bühne jedoch durften sie zeigen, was sie drauf hatten. Und das hieß vor allem: Rocken!
"Bennie And The Jets", in der Singleversion eine passable Soulpop-Nummer, verwandelt sich da plötzlich zum Stadionrocker. Auch "Rocket Man" und "Crocodile Rock" zeigen, mit welchem Hochdruck die Hitmaschine Elton John damals arbeitete. Sieben Alben in drei Jahren, die erfolgreichen Singles zählt man besser gar nicht. Das Team Taupin/John befand sich zweifelsohne in einem kreativen Adrenalinrausch und an Burnout war noch lange nicht zu denken. "Your Song" und "Daniel", zwei weitere Balladen, die es problemlos mit "Candle In the Wind" aufnehmen können, runden dieses würdige Jubiläumsalbum ab. Wer "Goodbye Yellow Brick Road" bislang nicht im CD-Rack stehen hatte, sollte nicht zögern, sich diese DeLuxe-Edition zu angeln. Wer noch jene simple Veröffentlichung aus den Tagen vor der Ära vernünftigen Remasterings besitzt, sollte erst Recht zugreifen. Und alle anderen auch, denn allein das Bonusmaterial ist sein Geld wert.

Und jene, die sich die Scheibe nur wegen "Candle In The Wind" gekauft haben: Hört Euch dringend mal die ganze Platte an. Es ist nie zu spät, nicht mal nach vierzig Jahren!
Line-up:
Elton John (vocals, piano, electric piano, organ, mellotron)
Dee Murray (bass guitar, vocals)
Davey Johnstone (acoustic guitar, electric slide guitar, banjo, steel guitar, vocals)
Nigel Olson (drums, percussion, congas, vocals)
Ray Cooper (tambourine)

Additional musicians:
Leroy Gomez (saxophone)
David Hentschel (arp synthesizer)
Kiki Dee (vocals)
Del Newman (orchestral arrangements)
Tracklist
Disc One
01:Funeral For A Friend / Love Lies Bleeding
02:Candle In The Wind
03:Bennie And The Jets
04:Goodbye Yellow Brick Road
05:This Song Has No Title
06:Grey Seal
07:Jamaica Jerk Off
08:I've Seen that Movie Too
09:Sweet Painted Lady
10:The Ballad Of Danny Bailey (1909-34)
11:Dirty Little Girl
12:All the Girls Love Alice
13:Your Sister Can't Twist (But She Can Rock'n'Roll)
14:Saturday Night's Alright For Fighting
15:Roy Rogers
16:Social Disease
17:Harmony
Disc Two: Goodbye Yellow Brick Road Revisited . . . and Beyond
01:Candle In The Wind - Ed Sheeran (3:22)
02:Bennie and the Jets - Miguel (5:10)
03:Goodbye Yellow Brick Road - Hunter Hayes (3:15
04:Grey Seal - The Band Perry (3:48)
05:Sweet Painted Lady - John Grant (3:58)
06:All The Girls Love Alice - Emili Sande (3:40)
07:Your Sister Can't Twist (But She Can Rock And Roll) - Imelda May (2:51)
08:Saturday Night's Alright For Fighting - Fall Out Boy(3:42)
09:Harmony - Zac Brown Band (2:55)
10:Candle In The Wind - Elton John (4:12)
11:Goodbye Yellow Brick Road - Elton John (3:22)
12:Rocket Man - Elton John (5:30)
13:All the Girls Love Alice - Elton John (7:33)
14:Bennie And The Jets - Elton John (6:20)
15:Daniel - Elton John (2:58)
16:Honky Cat- Elton John (7:14)
17:Crocodile Rock - Elton John (4:50)
18:Your Song - Elton John (4:29)
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