Lecker essen oder Kantinenfraß?
Bevor um 20:00 Uhr diese Frage beantwortet werden sollte, schlich sich als 'Vorgruppe' ein mit einer akustischen Gitarre bewaffneter Herr allein auf die Bühne und unterhielt mit einem gut 15-minütigen Programm das Publikum, das eigentlich überwiegend gar nicht richtig zuhörte, sondern sich lieber weiter unterhielt (irgendwie respektlos, aber man war ja wegen der Hauptband da).
Dieser Herr ist erstens Mitglied der Braunschweiger Zwei-Personen-Band Silent Radio und heißt Lars 'Louie' Bottmer und trug internationale Rockhits auf seine ganz besondere Art mit kraftvoller Stimme vor. Seine Versionen waren sehr gut und mit starkem Ausdruck. Zweitens entpuppte er sich als Gastsänger der Jazzkantine, wobei in diesem Zusammenhang anzumerken ist, dass laut Pressemitteilung ein 'ganz besonderer Gastsänger' angekündigt wurde. Erwähnung fand dabei, dass die Band immerhin mit namhaften Künstlern wie Xavier Naidoo, Sam Leigh-Brown, Pat Appleton, Max Mutzke und Tom Gaebel für ihr aktuelles Projekt, "Hell's Kitchen", dass hier heute Abend vorgestellt werden sollte, zusammenarbeit.
Das mag dann auch eventuell die Erklärung dafür sein, dass sich relativ viel junges Publikum sowie auch viele Damen eingefunden hatten.
Aber - ach - welch Unglück, weder das Mutzke'sche Mäxchen noch der St. Xavier schlugen auf, sondern mit dem vorab weitestgehend verschmähten Louie als Gaststar musste man sich nun abgeben.
Die Jazzkantine - 1993 in Braunschweig gegründet, hat sich zwischenzeitlich durch viele Musikstile gekämpft und ist nun beim Heavy Metal gelandet. In der "Hell's Kitchen", auch Titel der aktuellen CD, wurde nun also schweres Metall geschmiedet.
Als Köche fungierten:
Tachi - rap
Cappuccino - vocals, rap
Jan-Heie Erchinger - keyboards
Christian Eitner - bass
Air-Knee - DJ
Christian Winninghoff - trumpet
York - saxophone and flute
Tom Bennecke - guitars
Dirk Erchinger - drums
Das Musikprogramm bot eine Mischung aus ganz alten Stücken wie "Respekt" (1994), "55555" (1995),"Kein Bock" (1998) oder "Krankenhaus" (1998). Dazu natürlich Aktuelles wie Highway To Hell, "Jump", Nothing Else Matters, "Walk This Way" oder "Hell's Bells".
Und gleich als erstes eine total chaotische Version - mit total 'schiefer' Gitarre und einem 'röhrenden' Capuccino - des Motörhead-Stückes "Iron Horse". Die eine oder der andere mag vielleicht Angst bekommen haben, dass es so weiter geht, aber diesen Auftakt habe ich doch mehr als Gag verstanden, denn in der Folge wurden genannte Rockstücke dann in einer eigens arrangierten Form dargeboten: auf groovendem Rhythmusgerüst. Jaaaa, es funkte höllisch bisweilen!
Positiver Aspekt in dieser Hinsicht: Die Band ist perfekt eingespielt, und die Bläserarrangements des Trompeters waren erste Sahne, die 'deutschen Tower Of Power Horns'!
Wo wir gerade beim Thema sind, jener Trompeter, also Christian Winninghoff, war für mich persönlich der beste Musiker des Abends, verstand er es doch, das höchste Maß an Virtuosität vorzulegen...
Und hier setzt dann auch mein persönlicher 'Negativaspekt' an.
Als jazzverwöhnter Hörer waren es jene Stücke, die viel Improvisation forderten, z.B. eine vom Rahmen her grundsätzlich gelungene Version des Desmond/Brubeck-Klassikers "Take Five", die für mich gewisse Grenzen aufzeigten.
York am Saxofon, grundsätzlich einwandfrei und gut, fehlten dann, wenn es darum ging, gewisse Grenzen zu überschreiten, die Ideen, die aus einem guten Solo eines zaubern, das vom Hocker reisst.
Auch Bennecke an der Gitarre bot eine einwandfreie, solide Grundleistung, doch auch hier war schnell Schluss, wenn es, sowohl jazz- als auch rockmäßig, darum ging 'noch einen draufzusetzen'.
Zum Chef der Band, Christian Eitner: Ich habe bislang noch nie einen solch fast bewegungslosen Bassisten gesehen, allerdings schien diese Ruhe dann auch das sichere Fundament zu bieten. Der Drummer, vorsorglich bereits hinter einer schallschützenden Plexiglaswand versteckt, dröhnte mir einfach viel zu laut, und der rechte Swing wollte auch nicht aufkommen, wenn es dann einmal locker wurde.
Die Funkpassagen waren einwandfrei, wenngleich auch ohne den satt federnden Groove, und über das einfallslose Solo lasse ich mich besser nicht aus. Vielleicht bin ich einfach zu verwöhnt.
Weiter - ich kann mangels Unkenntnis und Vergleichsmöglichkeiten nicht beurteilen, ob Rapper Tachi nun ein guter ist oder nicht, auf jeden Fall kam er sehr sympathisch, energisch und impulsiv und konnte mich als Nichtkenner dieser Art des Vokalvortrages durchaus überzeugen.
Leider, und das ist oft so bei Konzerten, war der Gesang nicht so gut abgemischt, dass man alles auch verstehen konnte.
Ein echter Höhepunkt war sein Auftritt als türkischer Arzt im Kittel bei "Krankenhaus" (»isch mach Disch Krankenhaus«). Super!
Diese alten Stücke waren es dann auch, die wirklich gute Stimmung verbreiteten, und gerade der Vortrag des alten Stückes "Respekt" war für mich ein Highlight.
Maßgeblichen Anteil daran hat mit Sicherheit auch der 'Conférencier und Moderator' Capuccino - dieser lange schlaksige Bursche, der so sympathisch auftrat und auch als Sänger eine gute Figur machte.
Gastsänger Louie, der mich als 'Vorgruppe' sehr ansprach, war bei vielen Stücken nicht immer die geeignete Wahl, zumal er m. E. als Sänger von Rock im 'Americana-Stil' oder auch als Folkie eine bessere Figur machen dürfte denn als Soulsänger.
Erchinger an den Keyboards war für mich solistisch nicht unbedingt wichtig, auch hier keine echten Höhepunkte.
Und der DJ Air-Knee? Nee, das war zur Ausschmückung sicher eine gelungene Ergänzung, aber wenn denn da nur noch gescratcht und irgendwelche Töne in den Raum geworfen wurden, dann nervte das eher, als dass es mich begeistern konnte… und das dann noch als 'Solo' deklariert! Nun gut, es war letztlich nur eine Überbrückung einer nach etwa der Hälfte der gesamten Spielzeit von gut zwei Stunden und 20 Minuten im Stück eingelegten Pause und somit einigermaßen erträglich.
Mein persönliches bestes Konzerterlebnis ergab sich während der Zugabe, als das Stück "55555" nahtlos in "Could You Be Loved" von Marley überging - mit tollen Vocals von Capuccino und sich das Stück, auch nahtlos, zu einer Art Salsa-Gebräu entwickelte und die Band die 'Leinen los' ließ, inklusiver beherzter Soli der beiden Bläser.
Fazit: Es war schön, es einmal gesehen zu haben. ICH war nicht enttäuscht über das Fernbleiben von Mutzke und Naidoo. Noch einmal: In dieser Formation müsste ich es nicht noch einmal sehen und hören, es sei denn, Gunter Hampel, einer unserer dienstältesten deutschen Free-Jazzer, der 1994 bis 2001 mit dabei war, käme wieder zurück....
Also - zu genießen gab es ein gemischtes Menü aus der Kantine.
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