Die, die Dir helfen möchten, sind meist selbst zu schwach. Und die, die Dir helfen könnten, die das Geld haben, sind darauf versessen, den Schwachen alles abzujagen
Jürgen Kerth Mitten im momentan trüben Herbst, schien für mich am vergangenen 25. September die Sonne. An diesem Tag bot sich mir die Gelegenheit, mit dem Erfurter Jürgen Kerth einen der für mich besten deutschen Blueser zu interviewen. Dabei lernte ich nicht nur einen fantastischen Musiker kennen, sondern einen äußerst sympathischen Menschen, mit dem es sich sehr locker plaudern ließ.
Daraus entwickelte sich ein Gespräch, das sich zum Teil auch außerhalb der Musik bewegte und somit unseren Lesern tolle Eindrücke über Jürgen Kerths Karriere vermittelt. Doch nun lest selbst...


Interview vom 22.10.2015


Mike Kempf
Rocktimes: Hallo Jürgen, es ist mir eine Ehre, Dich zu interviewen, denn Du kannst auf eine gut 50-jährige Karriere zurückblicken und ich interessiere mich als Westberliner - seit dem Mauerfall - immer mehr für den ostdeutschen Rock und somit natürlich auch für Dich .
Jürgen Kerth: In der Tat, Mike. Angefangen mit 'ner Schülerband bin ich seit 1963 im Geschäft. Also habe ich mein 50-jähriges Jubiläum bereits hinter mir.
Rocktimes: Das ist 'ne Hausnummer Jürgen. Apropos Jubiläum: In diesem Jahr feiern die Deutschen 25 Jahre Wiedervereinigung. Kannst Du Dich noch gut an die Tage des Mauerfalls erinnern? Wie hast Du die Zeit damals erlebt?
Kerth: Ich habe eigentlich daraufhin gearbeitet, obwohl ich es anders gewollt hätte. Aber das ist ein anderes Thema. Ja gut, letztlich haben wir mit Frau Merkel auch einen Fuß in der Tür. Sie ist nicht die typische Westdeutsche, sondern nimmt auch die Bedürfnisse der Ostdeutschen war.
Rocktimes: Wie war das eigentlich damals in der DDR? Hattest Du Probleme mit dem Staat? Konntest Du Dich musikalisch frei entfalten?
Kerth: Ich hatte 1981 das "Gloriosa"-Album herausgebracht. Es war mir wichtig, etwas Religiöses mit einzubringen. Warum soll man nicht etwas andächtig sein? Anschließend haben sie mich bei Amiga gefeuert. Die hatten damals geglaubt, von Jürgen Kerth alles aufgearbeitet zu haben. Wie wir wissen, kam alles anders.
Rocktimes: Hatte sich der Rauswurf negativ auf Deine Auftritte ausgewirkt?
Kerth: Nein, das ging schon. Nur haben die mir keinen neuen Plattenvertrag gegeben. Ich denke, sie wollten, dass ich mehr im Kollektiv arbeiten solle. Hör Dir mal "Geburtstag im Internat" an - die Freunde singen, tanzen und lachen. Das Geburtstagskind, es lächelt. Es bedeutet für mich: Ich hätte lieber zu Hause gefeiert, als im Internat. Also weniger im Kollektiv, dafür mehr Selbstsein. Verstehst Du?
Rocktimes: Ja, verstehe. Warst Du denn von Amiga extrem abhängig?
Kerth: Nein. Im Nachhinein war es sogar eine Belobigung. Wenn ich zum Beispiel über Amiga durchgängig Platten herausgebracht hätte, wäre ich trotzdem nicht pflegeleichter gewesen. Im Prinzip müssten sich die, die über Jahre über Amiga-Platten produzierten, komisch vorkommen. Schau mal, ich hatte in meinen Liedern viele zivile Themen aufgegriffen, bewegte mich viel im Blues und Swing und das kam später bei Amiga nicht gut an. Vergleichbar mit der Zeit im 2. Weltkrieg, als der damalige Führer Swing verbieten ließ. Dabei hatten Swing, Blues und Jazz die Menschen lockergemacht. Aber eben nicht folgsam.
Jürgen Kerth Rocktimes: Warum hast Du bis zum heutigen Tag Deine Songs in Deutsch vorgetragen?
Kerth: Ha ha, deutsche Sprache. Ich sag's Dir: Aus purem Neid! Als ich mit meinem Schulfreund 1963 anfing zu musizieren, wurden wir umgehend, auch weil wir sächsisch sangen, verboten und zwar auf Lebenszeit! Damals wurde noch über Fernschreiber an alle Städte, Kreise und Bezirke mitgeteilt: Diese Band und diese Musiker dürfen nie wieder zusammenspielen und nirgendwo auftreten! Ich dachte immer, Ulbricht sei der Schlimme, aber Honecker war noch viel schlimmer! An einem Bitterfelder Kongress hat er unsere Musik als feindlich und gefährlich beschrieben, in der Zeit, als er noch an die Macht wollte. Erst später veränderte er sich etwas und sah es ein wenig lockerer. Ich sag's Dir, wir hatten das Zeug, die deutschen Beatles zu werden. Wir hatten das Potenzial, wir wussten es ganz genau, wir hätten groß rauskommen können. Aber was sollten wir machen? Honecker & Co. wollten uns nicht. Wir waren also verboten und spielten später in konkurrierenden Bands. Gottschalk bei den Nautiks und ich bei den Unisonos. Als ich in Berlin mal Leute fragte, ob sie die Unisonos kennen, antworteten die, die mir aus Erfurt über den Weg liefen: Wir kennen nur die Nautiks. Diese hatten schon ein paar deutsch gesungene Titel und waren deshalb im Radio zu hören. Da war für mich klar, dass wir auch deutsch singen mussten, obwohl mein Organist und Freund Lothar Wilke sagte: Deutsch singen finde ich Sch... - so sagte es immer meine Mutter: Sch...hm...hm (schmunzelt).
Rocktimes: Hattest Du damals Kontakt zu Speiche von der Berliner Monokel Bluesband?
Kerth: (lacht) Das war ja genau die Zeit - das muss ich Dir erzählen. Wir wurden so um 1964, als wir noch nicht verboten waren, nach Berlin zu einem Festival geschickt. Da sind wir von Erfurt aus mit dem Zug nach Berlin gefahren und sollten in einem bestimmten Club auftreten. Wir hatten unseren Kram - unser bescheidenes Equipment - unterm Arm, als wir die Location betraten und es war schon beeindruckend, als ich die großen Boxen sah, die in der Mauer eingebaut waren. Und wer spielte dort?
Rocktimes: Keine Ahnung.
Kerth: Das Diana-Show-Quartett! Und wer war das Diana-Show-Quartett? Es war unter anderem Speiche (lacht). Sie waren damals wahre Stars in Berlin und quasi unsere Verbündeten und wir bewegten uns auf einer Linie. Leider war die Band an diesem Abend nicht da, doch wir durften ihre Boxen benutzen, was uns natürlich sehr entgegen kam.
Jürgen Kerth Rocktimes: Es war damals bestimmt nicht leicht, an Boxen, Verstärker usw. ranzukommen.
Kerth: Das kann ich Dir sagen. 1970 haben sie mich zu einer Zollstrafe im Gegenwert von 21.000 Ostmark verdonnert. Ich hatte mir das Zeug über'n Schwarzmarkt, zum Teil in Bulgarien oder auch von anderen Musikern besorgt bzw. abgekauft und hatte von daher natürlich keine Rechnungen. Ich war schon nahe dran, mir einen Strick zu nehmen, denn sie wollten mir auch noch meinen Triumph-Verstärker enteignen. Der hatte einen fantastischen Klang, der war so was wie meine Stimme als Gitarrist. Dann wäre für mich Schluss gewesen, so ernst war damals für mich die Lage! Letztlich habe ich dann jeden Monat 500 Ostmark bezahlt, bis die Summe beglichen war.
Rocktimes: Hast Du 1983 eigentlich mitbekommen, dass Udo Lindenberg Honecker besuchte?
Kerth: Ja, sicher habe ich das mitbekommen. Ich meine, Udo hat sich schon verdient gemacht und er hatte damals den richtigen Ton getroffen. Im Prinzip wie bei mir, nur auf einer anderen Art. Letztlich hat er Honecker auch ein bisschen verarscht. Honecker wollte cool bleiben, doch Udos Aktionen waren treffsicherer, wirksamer und hatten mehr Langzeitwirkung.
Rocktimes: Grönemeyer zum Beispiel wollte nie in der DDR auftreten.
Kerth: Er war eben auf seine Art konsequent. Trotzdem war er bei unseren Fans ebenfalls ein Star, genauso wie einige amerikanische Bands, die nie in der DDR auftraten.
Rocktimes: Jürgen, jetzt komme ich zu einer Frage, die mich seit Langem beschäftigt. Und zwar interessiert mich Deine Gitarre, die Dich wohl schon während Deiner ganzen Karriere begleitet. Erzähl doch mal was über sie.
Kerth: Ja, da bin ich stur (lacht). Also, da bin ich treu - "Ich liebe die Eine".
Rocktimes: Und wie lange ist sie in Deinem Besitz?
Kerth: Ca. 48 Jahre. Der Heinz-Jürgen Gottschalk hat sie mir ausgesucht. Obwohl ich ihn immer noch als meinen Freund erachte, sind wir mittlerweile nicht mehr so befreundet wie früher. Tja, was soll ich sagen? In der Freiheit löst sich eben auch vieles auf. Zu DDR-Zeiten hat man eben mehr die Freundschaften gepflegt, das ist heute leider nicht mehr so.
Rocktimes: Hast Du eigentlich früher von Deinen Plattenverkäufen gut leben können?
Kerth: Am Anfang ja - ab ca. 1981 haben wir mehr von den Auftritten gelebt.
Jürgen Kerth Rocktimes: Und wie sieht es aktuell aus?
Kerth: Ich würde mich nie - auch heute nicht - mit einem Marketing-Trick verkaufen. Nein, ich stehe nicht auf Effekthascherei, das kommt für mich nicht infrage. Aber gut, so läuft meist das Geschäft. Selbst die Stones waren früher stets in der Presse, haben so für viele Schlagzeilen gesorgt und erhöhten dadurch natürlich ihren Bekanntheitsgrad. Ich glaube, dafür sind wir Künstler aus dem Osten einfach zu schüchtern. Die im Westen waren einfach wilder. Ich kann mich erinnern, dass Keith Richards sich von einer Kokospalme fallen ließ - so sorgt man für Schlagzeilen. Oder als AC/DC-Drummer Phil Rudd kurz vor der "Rock Or Bust"-Tournee angeklagt wurde - so was lesen die Fans und die Band bleibt dauerhaft im Gespräch.
Rocktimes: Wie entstehen Deine Texte?
Kerth: Hm, gute Frage. Wenn sich eine Thematik häuft. Ich habe zum Beispiel einen Song geschrieben, den ich bisher nicht veröffentlicht habe - "Dass dir einer hilft" - den gibt es nur auf einer gebrannten CD. Der Song entstand, als Kohl noch Kanzler war. Ich dachte: Moment mal, das mit dem Geld läuft nicht so richtig. Schau mal, wenn die Spielbank alle Chips hat, ist das Spiel zu Ende. Also muss die Bank wieder Chips runtergeben, damit weitergespielt werden kann. Doch die Banken hatten alle Chips aufgesaugt und dabei gar nicht gemerkt, dass sie sich selbst das Spiel verdorben hatten. Aber da die Bankbosse am längeren Hebel sitzen, ihre Lobbyleute haben, sind sie immer ungeschoren davongekommen. Aus diesem Grund habe ich "Dass dir einer hilft" geschrieben. Es ist doch so: dass dir einer hilft, kannst Du voll vergessen. Die, die Dir helfen möchten, sind meist selbst zu schwach. Und die, die Dir helfen könnten, die das Geld haben, sind darauf versessen, den Schwachen alles abzujagen. Von denen bekommst Du nichts.
Rocktimes: Das sehe ich genauso, Jürgen. Da stellt sich ich mir die Frage: Was würde Kanzler Kerth verändern?
Kerth: Eieiei, Du stellst Fragen (schmunzelt). Ich sag Dir was: Der beste Präsident ist immer der, den man nicht sieht, den man gar nicht kennt. Der wie ein Dienstleister für die Leute, die ihn gewählt haben, vieles regelt. Das war eine Zeit lang in der Schweiz so. Wenn es aber umkippt, sich nur zum Selbstzweck dient, dann kommen so komische Sprüche wie: Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen. Das ist der schlimmste Spruch, den es gibt! Die Politiker müssen froh sein, wenn das Volk SIE mitnimmt.
Jürgen Kerth Rocktimes: Wie hat sich aus Deiner Sicht die Musikbranche entwickelt?
Kerth: Hm, mir fällt gerade Clueso ein. Der hat sich schon ein paar Mal fast um Kopf und Kragen geredet, als er meinte, dass sich die Plattenfirmen fast wie in einem Rotlichtviertel bewegen. Und das, obwohl er ziemlich gut dabei war. Er hat aber vermutlich bemerkt, dass für ihn gar nicht soviel rüberkommt. Es sieht von außen oftmals besser aus, als es in Wirklichkeit ist. Da wird was abgezogen, hier wird was abgezwackt usw. Wenn man da von einem guten Gerechtigkeitssinn geprägt ist, merkt man, wie ungerecht man behandelt wird. Letztlich hat sich Clueso selbstständig gemacht, hat eine eigene Firma gegründet und macht nun alles in Eigenregie.
Rocktimes: Du vermarktest Dich auch selbst?
Kerth: Ja, in kleinerem Rahmen. Hauptsache unabhängig - klein aber frei.
Rocktimes: Jürgen, ich hatte vor längerer Zeit eine wahnwitzige Story über Dich und B.B. King gelesen. Er soll Dich auf einer Bühne gebeten haben, mit ihm zu musizieren. Doch Du sollst die Bühne einfach verlassen haben. Stimmt die Geschichte?
Kerth: (Zeigt mir eine Karte von B.B. King). Oh ja, es stimmt wirklich. Als ich ihn 1994 bei einem Weimar-Konzert besuchte, forderte er mich auf die Bühne. Doch ich war sehr nervös und habe ihn einfach missverstanden, als er mich fragte, ob wir etwas zusammenspielen wollten. Doch ich verstand, ob wir irgendwann etwas zusammenspielen sollten und antwortete ihm: Jederzeit und verließ dann die Bühne. Meine Frau schaute mich entgeistert an und sagte: Warum bist Du denn nicht oben geblieben (lacht)?
Rocktimes: Bonamassa hat sich einst mit B.B. King als seinem Mentor geschmückt. Mittlerweile verdient er richtig viel. Allein seine Gibson-Sammlung soll Millionen wert sein.
Kerth: Ich weiß, aber genauso wollte ich es nie machen.
Rocktimes: Sag mal, gibt es ein Erlebnis in Deiner Karriere, das Du am liebsten streichen würdest?
Kerth: Naja, einmal ist mir meine Gitarre auseinandergefallen, weil sie nicht richtig geklebt war. Das war in Nordhausen und einmal ist es mir sogar hier in Berlin passiert (schmunzelt). Davon existiert sogar noch ein Bild.
Rocktimes: Meinst Du, Deine Gitarre hat ein Eigenleben, eine Seele?
Kerth: Absolut ja! Ich habe auch mal den Spruch geprägt: Das Instrument spielt den Musiker.
Rocktimes: Kannst Du den Wert Deiner Gitarre einschätzen? Ich denke, so eine fast 50 Jahre alte Klampfe dürfte Einiges kosten.
Kerth: Das ist schwer zu sagen und das müssten andere einschätzen. Aber es soll Anhänger geben, die für so eine alte Gitarre bereit sind, eine Million auszugeben.
Rocktimes: Wow, Jürgen, ich mach Dir einen Vorschlag. Ich lass mich heute Abend von Dir adoptieren und kann somit Deine Gitarre erben.(lache).
Kerth: Haha, ja so machen wir das. Dann hat sie später einen guten Platz.
Rocktimes: Vielen Dank, Jürgen. Ich bin so weit mit meinem Fragenkatalog durch und so wie ich es immer halte, gehört meinem Befragten das letzte Wort.
Kerth: Danke Mike. Alles ergibt sich. Wenn die Zeit 'ran ist, kommt zu unseren Konzerten und freut Euch.
An dieser Stelle möchte ich mich noch beim Clubboss der Hellersdorfer Kiste, Fred, bedanken, der uns völlig problemlos seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellte.
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