Sie liebten jede Stunde - Ostrocklegende Karat starteten ihre Konzerttournee traditionell im Erfurter DasDie
»Mich zwingt keiner in die Knie« sang Herbert Dreilich erstmals vor über zwei Jahrzehnten in einem seiner Songs, dass das Lebensmotto des Frontmannes der ostdeutschen Kultrockband Karat trefflicher nicht zu schildern vermochte. Wenige Tage nach seinem 62. Geburtstag im Dezember 2004 wurde er doch dazu gezwungen, verlor den langen Kampf gegen eine mächtigere Krankheit. Eine geplante große Konzertournee anlässlich des 30-jährigen Bühnenjubiläums durfte er leider nicht mehr erleben.
Aber diese Band, die von 1974 bis zur Wende die Popszene im ehemaligen Arbeiter- und Bauern-Staat mitregierte und es sogar zustande brachte, mit dem Lied "Über sieben Brücken " einen gesamtdeutschen Klassiker vor dem Mauerfall zu produzieren, ließ sich von solchen Widrigkeiten des Lebens nicht in die Knie zwingen. Denn Karat waren immer mehr als Ostalgie-Missionare und bravouröse Rockpoeten, sie waren bzw. sind es heute noch: eine Musikerfamilie.
Das um so mehr, da Herberts leiblicher Sohn aus zweiter Ehe, Claudius Dreilich (37) nicht lange zögerte, eine lukrative Berufskarriere zu beenden, um beherzt das schwierige Erbe am Mikrofon dieser deutschsprachigen Rockinstitution anzutreten.
Heute, fast drei Jahre später, nach unzähligen Geschichten bunter Boulevardblätter, haarsträubenden Streitigkeiten um die Bandnamensrechte und viel Arbeitsschweiß, meint man als Konzerbesucher, man befinde sich in einer Zeitmaschine, lässt sogar angesichts des verjüngten Frontmannes Gedanken an Reinkarnation zu.
Man stelle sich eine etwas größere Silvesterparty oder sogar eine Betriebsfeier um verdienstvolle Arbeitnehmer ( gelernte Ostbürger wissen von was ich rede) [na einfach eine Brigadefeier - die Redaktion], in einem etwas angestaubten, altwürdigen Saal vor, von dessen Wänden bzw. Balkonen einst die DDR-Flagge und andere Insignien der Peiniger prangte, heute aber eher nüchtern mit viel Stuck und einer plüschigen Bühne seinen Charme erzielt.
Die besagte Lokalität, das etwas räumlichere Erfurter DasDie Brettl, schmückte sich als Austragungsort einer nun schon über ein Jahrzehnt anhaltenden Pilgertradition: Für zwei ausverkaufte Abende Startpunkt einer neuen Konzertreise der Ostrocker Karat zu sein.
Die textsicheren, generationsvermischten Besucher an den dekoriert reservierten Tischen, zwischen prallgefüllten Gläsern und Cordon Bleu nebst Pommes, zeugten an diesem
zweiten Konzertabend, lauthals und feuchten Auges von der neuen Sehnsucht nach eigener
Identität und den Wurzeln.
Karat entwarf schon immer pompöse Rockballaden für die Festsäle, Musik fürs
Volk, welche von der Freiheit ("Albatross") oder von der Sehnsucht nach wahrhaftiger Liebe
("Schwanenkönig") handeln. Ihr 'liedhafter Rock', wie einst vom Komitee für Unterhaltungskunst betitelt, vermochte es schon damals, mit seiner verschlüsselnden Poesie
und pathetischer Melodik einen gewissen Kunstanspruch unterhaltsam zu transportieren.
Karat verkörperten an diesem Erfurter Abend eine kompakte Einheit wie schon lange
nicht mehr - Familienmusizieren mit Freude und Esprit.
Claudius ist mittlerweile so in diese Bruderschaft eingewachsen, versprüht unendlich
entertainment'sches Charisma, dass man sich, gelinde gesagt, keine Alternative mehr vorzustellen vermag.
Gitarrist Bernd Römer, Bassist Christian Liebig, Tastenmeister Martin Becker sowie Bandurgestein und Schlagzeuger Michael Schwandt, spielten einfach technisch perfekt und voller Hingabe (nach einer Woche Lokalprobe nicht verwunderlich), und zogen dichte, instrumentale Maschen, um die Performance ihres Frontmannes dienlichst zu tragen.
Konzertant wurden die geteilten zwei Stunden - strategisch klug - zum größten Teil mit
hinreißenden Klassikern aus der 35-jährigen Bandgeschichte ausgefüllt, und zu Beginn mutig sogar mit zwei neuen Songs (siehe Setlist) am Publikum ausgetestet.
Emotionale Höhepunkte wie "Über sieben Brücken" und "Der blaue Planet" wurden
von den anwesenden Besuchern lautstark gefeiert, und machte so manche putzige, verklärte Ostalgie-Sendung privater Fernsehstationen sowie Ignoranzen westdeutscher Musikliebhaber vergessen.
Letztgenannte Hymne war damals aus der geschlossenen Republik heraus an die Welt gerichtet, und ist heute, fast dreißig Jahre später, aktueller denn je: »Tanzt unsere Welt mit sich selbst schon im Fieber? Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen? Uns hilft kein Gott, unsre Welt zu erhalten.«
Ein sehr bewegender Konzertabend, alle fünfhundert Besucher, ob aus dem Osten oder Westen, verneigten sich am Ende beglückt und tief, wohl wissend, diese Musiker zum Anfassen nächstes Mal an gleicher Stelle in dieser einzigartigen Kulisse des DasDie Brettl wieder zu treffen.
Die, die diese Musik nie mochten bzw. wer die Ex-DDR und anspruchsvolle Rockmusik für Gegensätze hielten, wurden heute mit Sicherheit eines Besseren belehrt.
Fakt ist, dass es immer weniger Bands (insbesondere deutschsprachige) wie Karat auf diesem Erdball gibt, die wirklich jede Stunde des Musizierens lieben bzw. leben, und nicht nur nach dem großen Mammon schielen.
RockTimes nutzte aus diesem Anlass die Gelegenheit zu einem exklusiven Interview mit Karat: Demnächst mehr an dieser Stelle.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei: Adele Walther (Managerin der Band, Happy Production), Wolfgang Staub (Intendant vom DasDie Brettl Erfurt), bei den Musikern von Karat und dem Fotografen Axel Clemens.
Bilder vom Konzert
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