Karthago / Live At The Roxy
Live At The Roxy Spielzeit: 46:16 (CD 1), 43:31 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: MiG Music, 2011 (1976)
Stil: Krautrock

Review vom 24.05.2011


Steve Braun
Zur Geschichte Karthagos hat Kollege Bauerochse bei der Besprechung der Originalplatte einen großartigen Überblick gegeben, dem nichts hinzuzufügen bleibt. Vielleicht möchte ich noch eine einzige Facette kurz herausarbeiten.
Krautrock war damals ein Kind seiner Zeit: Einer Zeit des Aufbruchs. »Unter den Talaren - der Mief von tausend Jahren!!« Der unterschwellig noch immer omnipräsente Nazismus wurde von einer aufmüpfigen Generation einfach in die Geschichtsbücher gewischt. Es entstand eine herrlich-chaotische musikalische Kakophonie. Manche Bands wollten eine freizügige (auch und vor allem in sexueller Hinsicht) Lebenshaltung demonstrieren. Wieder andere wollten etwas Revolutionäres, Politisches zur gesellschaftlichen Diskussion beitragen - empfanden einen klassenkämpferischen, missionarischen Auftrag. Schöngeister 'verrockten' die Klassik oder tummelten sich in elitären, jazzigen Zirkeln. Karthago waren zwar unverkennbar 'Freaks' (arbeitsscheue Gammler, wie das im damaligen BILD-Jargon hieß), aber sie wollten nicht im oben genannten Sinne die Welt verbessern. Karthago machten einfach moderne, durchaus auf die Charts schielende Rockmusik - nicht mehr, aber auch nicht weniger! Wenn man die Ergüsse politischer Rockbands in der Retrospektive auf sich wirken lässt, war das sicherlich eine recht kluge Entscheidung.
Karthago bildeten mit ihrem hohen professionellen Anspruch quasi die qualitative Speerspitze des Krautrocks. Was hätte sich daraus entwickeln können, wenn diese großartigen Einzelkünstler zu einer wirklichen Band zusammengewachsen wären...
1975 war die Band im Streit auseinander gelaufen. Jethro Tulls Ex-Bassist Glenn Cornick verschwand wieder aus Berlin und Ingo Bischoff schlüpfte bei Kraan unter. Der Druck der Schulden wurde übermächtig und die Nachfrage nach Auftritten Karthagos war nach wie vor vorhanden. Also entschlossen sich Joey, Ingo und Tommy mit den neuen Leuten, Gerald Hartwig (Bass) und Ringo Funk (Schlagzeug), 1976 zu einer Deutschlandtournee. Die beiden letzten Termine - am 20. Januar in Hamburg und am 22. in Berlin - wurden für eine LP aufgezeichnet. Vor allem das Abschlusskonzert der Tour, im ausverkauften Roxy im heimischen Berlin, war gigantisch. Dreitausend Zuschauer waren für eine deutsche Band seinerzeit alles andere als alltäglich. Geblieben ist als Ergebnis die wohl beste Live-Scheibe der damaligen deutschen Rockszene - hier in einer gegenüber der Originalplatte um drei Songs ergänzten Version, die als Doppel-CD in einem schönen Digipak samt fettem Booklet daherkommt.
Mit "The World Is Like..." startet der erste Silberling in Hamburg. Fett drückt die Hammond den Song voran, der Bass pumpt mächtig - so kennen wir das von einem weiteren Hochkaräter der damaligen Szene: Frumpy aus Hamburg. Nach einem tollen Mini Moog-Solo leitet ein wunderschöner Doppellauf von Gitarre und Moog auf die abschließende Strophe über. Ein Kickstart für Karthago... Weiter geht's mit dem wohl schönsten Song von Rock'n'Roll Testament: dem balladesken "Sound In The Air". Erneut glänzt Ingo mit seinen handwerklichen Fähigkeiten: dem glockengleichen Fender Rhodes und dem einfühlsam gesetzten Pitch-Rad des Mini Moog. "Rock'n'Roll Testament" hätte auch Skynyrds "Nuthin' Fancy" entliehen sein können.
Warum man die Band gerne mit Santana verglichen hat, kann man beim herrlich 'groovigen' "We Gonna Keep It Together" bestaunen. Hier brennt Tommy Goldschmidt ein wahres Feuerwerk an den Percussions ab. Dieser Song war ebenso wenig auf der Original-LP wie das folgende "Thema In C" zu finden. Dieser ist 'krautiger' als alles andere, was man so von Karthago kennt. Eine sehr 'jammige' Nummer aus den Anfangstagen der Band - niemals aufgenommen und (zu Unrecht) lange Zeit aus den Setlisten verbannt. Mit "The Second String Rambler" beschließt ein weiterer Long Track den ersten Silberling des Doppelalbums. Dieser Funk geht - erneut an Santana erinnernd - unweigerlich in die Beine und steigert sich über wilde Duelle Joeys und Ingos in ein wildes Percussion-Solo. Nach ruhigeren Jams nimmt der Song neuen Anlauf, um dann in einer finalen 'Orgie' zu münden. Wie gerne wäre man hier persönlich vor Ort gewesen...
Weiter geht es vor der respektablen Kulisse des Berliner Roxy... mit "Wild River", einer durchaus radiotauglichen Ballade von internationalem Format, die von einem jazzigen Fender-Pianosolo zweigeteilt wird. "Highway Seeker" 'funkt' wieder direkt in den Bauch, allerdings 'macht' Joey Albrecht hier gelegentlich gewaltig den Hendrix. Den Höhepunkt bildet in diesem Stück ein minutenlanger Jam Joeys - zuerst mit der seinerzeit ziemlich angesagten Talkbox, dann mit seiner Gitarre. Erst nach knapp fünfzehn Minuten kehrt man zum ursprünglichen Thema zurück.
"We Give You Everything You Need" bildete die erste Zugabe im Roxy. Während einer sehr tanzbaren R&B-Nummer erhalten auch Bassist Gerald Hartwig und Schlagzeuger Ringo Funk ihren 'Auslauf'. Die zweite Zugabe, Don Nix' Gassenhauer "Goin' Down", wird hier mit einem extrem 'angefuzzten' Hohner Clavinet D6 als dynamischer Funk-Rocker verpackt. So hat man die Nummer noch NIE vorher gehört!
Dreitausend Leute holten Karthago dann noch einmal für "See You Tomorrow In The Sky" auf die Bühne. Den knackig-kurzen Rocker hat man nachträglich mit einigen Klangspielereien abgemischt.
Hui, ein Fest für die Sinne und trotzdem stimmt es irgendwie traurig, dass Karthago das in ihnen steckende Potenzial nicht ausschöpfen konnten. "Live At The Roxy" bildet den Abschied von den besten Tagen der Band (beim 1978er "Love Is A Cake" war einzig noch Joey Albrecht an Bord) und ist aus diesem Grund essentiell für jede ordentliche Plattensammlung.
Line-up:
Joey Albrecht (guitar, lead vocals)
Ingo Bischof (keyboards, vocals)
Gerald Hartwig (bass)
Thomas Goldschmidt (percussion)
Ringo Funk (drums)
Reinhard Bopp (guitar, vocals)
Tracklist
CD 1:
01:The World Is Like A Burning Fire (5:17)
02:Sound In The Air (4:50)
03:Rock'n'Roll Testament (4:44)
04:We Gonna Keep It Together (7:29)
05:Thema In C (10:40)
06:The Second String Rambler (12:15)
CD 2:
01:Wild River (6:44)
02:Highway Seeker (Did Nobody Tell You) (15:49)
03:We Give You Everything You Need (13:24)
04:Going Down (5:02)
05:See You Tomorrow In The Sky (3:32)
Externe Links: