Was für ein ausgelutschtes Klischee, und trotzdem: Dies hier ist der Stoff, aus dem Träume wurden. Das Erstlingswerk einer Band, die in ihrer neuesten Inkarnation ihre eigene Legende feiert. Und wer wollte bezweifeln, dass dies nicht zu Recht so wäre. Es ist geradezu begrüßenswert, nicht nur diese geballte Musikalität zu erhalten, sondern auch das eigene Musik-Museum lebend(ig) auf der Bühne zu zelebrieren.
Bemerkenswert genug: Konzerte mit einer solchen hochwertigen Musik und viel Zuspruch von verschiedenen Generationen auszuverkaufen, gelingt nicht so vielen Interpreten. Vor allem nicht denjenigen, die als Deutsche schon vor über drei Jahrzehnten aktiv waren.
Ich selbst hab Kraan am 19. Mai 1973 in der Frankfurter Festhalle beim German Rock Super Concert '73 auf der Bühne erlebt. Die Eintrittskarte dazu hängt noch mit allen meinen Tickets als Collage an der Wand im Arbeitszimmer, direkt über einem aus dem selbem Jahr stammenden Riesen-Receiver von Kenwood. Das passt zusammen. Schöne Erinnerungen!
Dieses im Mai 1972 im Münchener 'Studio 70' aufgenommende Werk zeigt zwar krautige Ansätze, aber im Großen und Ganzen ist es dann doch kein teutonischer Krautrock, auch wenn man Musik von Kraan immer mal wieder auf einem Krautrock-Sampler finden wird. Es ist eine Art Fusion, eine seinerzeit innovative Spielart des Jazz-Rock, der damals auf noch keine lange Tradition zurückgreifen konnte. Klänge, die auch heute noch runtergehen wie Öl, ohne je ranzig zu schmecken.
Zumindest bei denjenigen, die dieses Album schon seit ihrem Erscheinen kennen und lieben. Fans, denen die späteren Platten der Band geläufig sind, jedoch nicht der Ur-Sound, könnten eine freudige Überraschung erleben und sollten sich dem einfach anvertrauen. Ein solcher Fan kann gar nichts verkehrt machen, denn die erste Hürde - die niveauvollen Klanggemälde von Kraan - hat man dann ja schon hinter sich und genießt sie. Wem hingegen komplexe Strukturen einfach nicht ins Gehör gehen wollen, ist angeraten, sich mit dem vermeintlichen Weihwasser von seichteren Songs zu besprühen.
Die Band stammt aus Ulm und wurde 1970 gegründet, ein Jahr später verschlug es sie nach Berlin. Dort befassten sie sich eingehend mit der Kultur des Orients, Drogenerfahrungen waren im selbsterstellten Studienpaket natürlich auch enthalten. Diese Einflüsse sind dann auch überdeutlich aus diesem Debütalbum herauszuhören. Der Name Kraan stammt laut Booklet übrigens aus einer Sendung von Radio Bagdad, die damals mal in Berlin über den Äther lief.
Als kommerzieller Erfolg erstmal ausblieb, schloss sich Hellmut Hattler der Gruppe Erna Schmidt an, die einen Job als Bassist zu vergeben hatte. Diese Band bewohnte den von 4000 Quadratmeter Land umgebenen, vom Grafen Peter von Metternich zur Verfügung gestellten Gutshof Wintrup. Als sich Erna Schmidt auflösten, übernahmen Kraan - nun wieder mit Hattler am Bass - diesen Wohnsitz, und das kostenlos. Hier konnte man abrocken, keine Menschenseele konnte sich von zu lauten Klängen gestört fühlen.
In dieser Umgebung vermochte das gewählte Leben in einer Kommune mit Frauen, Kindern, Hunden und Katzen auch die musikalischen Leistungen der Band zu beflügeln. Nachdem man einen Plattenvertrag in der Tasche hatte, musste das Repertoire aus Kostengründen in kürzester Zeit eingespielt werden, und dies hat nach Aussage von Hellmut Hattler als Live-im-Studio Produktion bei fast unglaublichem Ergebnis gerademal zwei Tage gedauert.
Das von Hattler beherrschte "Sarah's Ritt durch den Schwarzwald" kommt ziemlich spacig aus den Startlöchern, um dann mit mächtigen Hooks und donnerndem Bass mit seinen typischen Sololinien die Marschrichtung des folgenden Geschehens vorzugeben. Hier ist neben allen guten Zutaten auch sicher ein angemessener Schuss Krautrock enthalten - auch in Form des fast trivialen Textes. »Oh Sarah, flipp doch aus, rauch ein Joint, komm zurück, yeah...«Die beiden anderen Songs, auf denen gesungen wird, haben dann aber englische Lyrics und wirken damit textlich weniger angestaubt.
Leise Orgeltöne eröffnen und durchziehen "M.C. Escher", das mit dem einnehmenden, gefühlsbetonten Saxophonspiel von Johannes Pappert voll überzeugt und bei geeigneter persönlicher Stimmung auch für eine Gänsehaut gut ist. Im Mittelteil geht es zwar mal free-jazzig abgedreht zu, mit aufgelösten Strukturen, dennoch berührt diese Musik unmittelbar die Seele.
Der letzte Song auf der ersten LP-Seite ist sicher einer der bekanntesten Titel der Band. "Kraan Arabia" verarbeitet die in Berlin gewonnenen Erfahrungen und ist eine Magie versprühende Fusion aus orientalischen Klängen und Jazz Rock. Feine Gitarrenparts und mitreißendes Schlagzeug, heftige Congas, eine fette Basslinie und das Saxophon wie aus 1001 Nacht vermischen sich zu einer atemberaubenden musikalischen Tour de Force. Diesen Song kann man getrost als Klassiker verbuchen.
Mit über 18 Minuten Spieldauer ist "Head" eine einzige Jam. Man sieht vor dem geistigen Auge den damals fast obligatorischen Joint die Runde machen. Dieses lange Stück besteht aus mehreren, verschieden kolorierten und trotzdem perfekt zusammenpassenden Klangbildern. Es wurde nichts kontemporäres ausgelassen, und dazu gehört natürlich auch ein Schlagzeugsolo. Darüber hinaus vernimmt man jede Menge ethnisch verspielte Musikalität. Das dagegen recht kurze "Sarah auf der Gänsewies'" setzt einen ruhigen Schlußpunkt unter das Originalalbum.
Die Bonustracks zeigen eher alternative Qualitäten denn pure Demoshow. Bei "Sarah's Ritt durch den Schwarzwald" gefällt mir der Einstieg in den Song sogar besser als auf der ursprünglichen Platte. Geschmackssache. Auf alle Fälle ist es interessant zu hören, welche Variationsmöglichkeiten die Band 1972 schon besaß. Dass hier instrumentale Könner am Werk waren, spürt man in jedem Augenblick.
Auffallend war auf diesem Album schon immer der Klang des Schlagzeugs, denn der wurde über die gesamte Spieldauer durch einen Phaser manipuliert. Das Remastering geht vollkommen in Ordnung, das Klangbild ist im Bass und den Mitten recht ausgewogen, im Hochtonbereich jedoch etwas dünn und manchmal auch leicht spitz, dafür ohne Rauschen.
Das Booklet hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Viele alte Bilder, auch von Zeitungsausschnitten etc. bereiten Spaß, während man der Platte zuhört. Allerdings nervt die zeilenweise Abwechselung von deutschem und englischem Text der Linernotes. Was für den Grafiker vielleicht schön aussieht, entpuppt sich für den Leser als Ärgernis. Das geschmackvolle Cover-Artwork stammt übrigens von Gitarrist Peter Wolbrandt.
Fazit: Insgesamt eine dicke Empfehlung! Man hört ein gemeinsames Musikschaffen ohne jegliche Starallüren, bei dem jeder der Beteiligten einen überragenden Beitrag für das Endergebnis leistet. Für manche ist diese Platte eine aus Tönen gebastelte Sternstunde und liefert ohne Zweifel ungekünstelte, ja auch ungehobelte Originalität in Nähe von Genialität. Eine Inselplatte, die mir persönlich wegen der Ursprünglichkeit mehr zusagt, als der spätere Output der Band - die tolle Live Platte von 1975 mal ausgenommen. Die gute Nachricht: Die CD kostet nagelneu nur 7 €, da muss man wohl nicht lange überlegen.
Line-up:
Johannes A. Pappert (sax., perc.)
Jan Fride (drums, congas)
Hellmut Hattler (bass)
Peter Wolbrandt (guit., voc., perc.)
Gast:
Romi Schickle (organ auf 2 & 4)
Tracklist |
CD 1:
01:Sarah's Ritt durch den Schwarzwald (6:23)
02:M.C. Escher (6:13)
03:Kraan Arabia (9:54)
04:Head (18:34)
05:Sarah auf der Gänsewies' (2:01)
Bonustracks:
06:Sarah's Ritt durch den Schwarzwald (Demo) (5:56)
07:M.C. Escher (Demo) (6:30)
08:Head (Demo) (13:56)
09:Sarah auf der Gänsewies' (Demo) (2:12)
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