Krankheit / Sanatorium
Sanatorium Spielzeit: 48:10
Medium: CD
Label: Echozone, 2013
Stil: NDH/Dark Industrial

Review vom 13.11.2014


Ulli Heiser
Was doch nicht alles einfach so ins Haus flattern kann... Gar eine eingeschweißte Krankheit, und wenn man diese Befindlichkeitsstörungen ansonsten gar nicht gerne bei sich hat, so sind sie in Form von Polycarbonat auch gerne mal ausgepackt und untersucht.
Nein, im Heurigen wird man Krankheit wohl kaum auf die Lauscher bekommen. Aber wenn man krank ist, hat man dort auch nichts zu suchen. Dann geht man ins "Sanatorium", weil einem da geholfen wird. Oder etwa nicht?
Im Falle der österreichischen Band Krankheit wage ich das zu bezweifeln. Deren "Kranke(n)schwester " zum Beispiel ist keine Kranzljungfer und wenn zum Einschlafen des guten Johannes Brahms' "Guten Abend gute Nacht" gespielt wird ist es nichts mit »von Englein bewacht« und »schlaf nun selig und süß«. Zur bekannten aber gewaltig aufgebrezelten Musik beschreibt da ein unter Taphephobi leidender seine Zeit im Grab »von Leichen bewacht« und »kein Flehen kein Schreien« kann ihn »jemals befreien«.
Nun ja, die Texte sind genau so, wie es Band- und Albumname vermuten lässt. Düster, morbid, es wird geschlachtet, gejagt und gefoltert und anders kann es ja auch überhaupt nicht sein, wenn es um Neue deutsche Härte geht. Wobei die Art und Weise der drei Österreicher auch durchaus die Bereiche Gothic Metal und Dark Industrial tangiert. Ja, Neue deutsche Härte - da fragt man sich, ob Text, Spielweise und vor allem Mimik, Gestik und Präsentation des Frontmannes Chris nicht in Richtung des Genrestars schielen. Es ist sicher nicht falsch, wenn der Gedanke kommt, zumal die Band in einem Interview bei newcomerszene.de (augenzwinkernd) meint: »Wenn wir könnten, dürfte Rammstein ein Jahr lang mit uns auf Tour gehen«. Und damit hake ich den Vergleich mit Till Lindemann und Co. auch schon ab. Rammstein sind nämlich mittlerweile Mainstream im Terrain. Perfekt poliert und (vielleicht zu, bzw. weil zu) groß. Krankheit dagegen sind roh, ungeschliffen und vor allem wirklich krank.
Zumindest werden das solche Semester denken, denen alte Klassiker heilig sind. Das Mischen von Mozart, Brahms und Beethoven mit tief sägender Gitarre, fiesen Vocals, die mal gebrüllt, mal geflüstert manch Unflätiges ("Schlampe") herausgeifern, wird einigen schier das Heu vom Happl wehen. Sei's drum, genau diese Kombination füllt Krankheits Habenseite. Der elektronische Unterbau ist relativ dezent, so dass das musikalische Aufeinanderprallen zweier scheinbar nicht kompatibler Partituren voll zur Geltung kommt. Es ist eigentlich nichts Neues, denn es gibt genug Beweise im Rock- und Metalbereich, dass Klassik adäquater Partner sein kann. Hier jedoch wirken die Gegensätze brachialer. Besonders dann, wenn Ronja Gassner ihre Klaviertupfer in die Krankenhausschale tunkt. Im Falle von "Teufelsneurose 488" ist das am Schönsten zu genießen. Wahrlich "Beauty And The Beast". Ein Doublebass-Walzer, der Haar-gepuderten Strumpfhosenträgern sicher die zarten Füße verknotet.

Das Faszinierende bei "Sanatorium" ist die dritte Komponente: die Lyrics. Fies sind sie, ich sagte es bereits, aber wenn man den Wust aus allerlei Abgründen erst mal eine Weile durchforstet hat, kann man feststellen, dass zum einen die Welt da draußen sehr oft genauso böse und perfide ist und dass zum anderen auch durchaus Kritik daran in manchen Songs zu finden ist. Natürlich werden sich Schöngeister an "Menschenjäger" und "Schlampe" reiben und auch sonst einen Schrecken bekommen. Aber sie werden auf der anderen Seite dieser Musik in ihrem Umfeld nicht begegnen. Und den berufsmäßigen Hütern des sprachlichen Anstands wird es zur Zensur nicht gereichen. Da hat ein Landsmann der Band seinerzeit mit "Jeanny" ganz anders 'zugeschlagen'. Allerdings mit wohlfeiner Stimme und Etat.
"Menschenfänger" hieß auch Krankheits EP aus dem Jahre 2011. Die sechs Stücke wurden überarbeitet und sind komplett auf "Sanatorium" erhalten. Die anderen sechs Tracks sind neu, d. h. aus dem Jahr 2013. Wieso wir diese Platte erst so spät erhalten haben, weiß wohl nur der Oberarzt. Vielleicht steckte sie in Quarantäne. Die Jungs jedenfalls arbeiten an einer Fortsetzung und ich bin gespannt, welche Krankheiten dann dahinterstecken.
Bis dahin wird die Scheibe noch eine Weile rotieren und sicher den einen oder anderen Besucher erschrecken. Oder auch nicht. Die Entscheidung, ob man mit dieser Krankheit leben kann oder nicht, wird instantan fallen, also ohne Inkubationszeit. Wer granteln will soll das tun, die anderen holen sich bitte einen Überweisungsschein.
Line-up:
Chris Präauer (vocals, programming)
Tony Gassner (drums, programming)
Roy Preissler (guitar, bass)

Ronja Gassner (Klavier - #9,12)
Tracklist
01:Tausendfüssler
02:Figaros Schlachfest (W.A. Mozart)
03:Komm zu mir
04:Menschenfänger (W.A. Mozart)
05:Kranke(n)schwester
06:Guten Abend gute Nacht (Johannes Brahms)
07:Die Antwort
08:Menschmaschine
09:Für Elise (Ludwig Van Beethoven)
10:Weisser Mann
11:Schlampe
12:Teufelsneurose 488 (W.A. Mozart)
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